Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel. Wilhelm König

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel - Wilhelm König


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Soldaten lachten noch mehr.

      Mir lief die Nase. Da ich nie ein Sacktuch einstecken hatte, wischte ich einfach mit dem Ärmel drüber. Das machte den Männern noch mehr Spaß. Jetzt marschierte ich mit durchgedrücktem Kreuz durch die Scheuer – vorher und nachher auch in der Stube, während die Soldaten am Tisch saßen. Die Männer kugelten sich, und ich hatte meine Freude daran, daß ihnen gefiel, was ich machte.

      Da war einer unter den Soldaten, dem folgten die anderen; der sagte auch immer, wann genug gegessen und getrunken war und sie wieder an die Arbeit – an das Krieg üben – öder aufs Stroh neben die Gäule in der Scheuer gehen sollten.

      Der hatte auch eine schöne Mütze, aber eine andere, keine mit einer Spitze auf dem Dach, so wie die von meinem Großvater, dem Landjäger. Sondern da war ein schwarzes Dach über den Augen.

      Er kam jetzt mit dieser Mütze auf mich zu – ich glaube es war sogar in der Scheuer, oder in der Stube nach dem Vesper –, nahm mir freundlich meine Pickelhaube ab und setzte mir dafür seine Kappe auf. Die war noch größer als die Pickelhaube, und ich konnte zunächst nichts mehr sehen. Aber dann hob ich den Schild über den Augen an und sah, daß der Soldat meine Pickelhaube auf hatte – jetzt kannte der Jubel keine Grenzen mehr, sogar meine Mutter mußte mitlachen.

      Es ist uns also noch ganz gut gegangen in der Zeit, wo die Soldaten im Haus waren. Und besonders ich hatte meine Unterhaltung.

      Ich mochte damals vielleicht neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Zur Schule brauchte ich nicht. Das hätte für mich keinen Zweck, ich solle nur auf mich aufpassen und meinem Vater und meiner Mutter folgen, sagten sie im Krankenhaus.

      Das tat ich dann auch, auf mich aufpassen und meinem Vater und meiner Mutter folgen, das heißt ich folgte mehr meiner Mutter, weil die mehr zu Hause war. Mein Vater war im Krieg – in Frankreich, in Belgien und Holland: er war beim Nachschub. Aber er kam immer wieder zum Urlaub heim: zweimal vierzehn Tage im Jahr. Und einmal hatte er vierzehn Tage Sonderurlaub wegen einer leichten Verwundung. Er trug den rechten Arm in der Schlinge, aber sonst fehlte ihm nichts.

      Unterm Dach

      Ich hauste unter dem Dach auf der Bühne: da war ein Bett hinter einem Verschlag aufgestellt, in dem noch Jahre nach der Heirat meiner Eltern die jüngste Schwester meines Vaters schlief, bis sie dann selber einen Mann fand und auszog.

      Bis dahin stand mein Bett in der Schlafkammer meiner Eltern, in die kam man nur von der Stube aus, aber sie hatte zwei Fenster: das eine ging auf den großen Garten mit der Gärtnerei und den Gewächshäusern darunter, das andere auf das Nachbarhaus mit der Schlosserwerkstatt nach unserer Seite. An unserem Haus war noch ein Schopf angebaut, dessen Dach bis unter dieses Fenster reichte; wie oft öffnete ich das Fenster, stieg hinaus und spazierte über das Dach. Das tat ich auch wegen der Birnen, die von dem Baum in Nachbars Garten zu uns herüberhingen.

      Zwischen dem Zaun der Schlosserwerkstatt und unserem Schopf war nur ein schmales Wegle freigeblieben, durch das man laufen oder noch mit einem kleinen Leiterwägele hindurchfahren konnte. Es war aber ein wichtiger Weg, vor allem für die Leute, die hinter dem unseren einen Garten hatten und die ihn nur über diesen Winkel erreichen konnten. Auch wir mußten da gehen, wenn wir hinter das Haus kommen und nicht durch die Scheuer wollten. Oder durch die Haustür. Auf der Bühne gefiel es mir sehr gut, und ich hatte auf den Tag gewartet, an dem die Tante uns endlich verließ und ich mich unter dem Dach einquartieren konnte. Natürlich war ich auch schon vorher ständig oben, wußte, mit und ohne Wissen der Tante, wußte genau, welche Schätze – und welcher Gruuschd hier lagen. Das meiste stammte noch vom Ähne, der Polizist und Gemeindeschreiber hier war. Ganz bestimmt wollte mein Vater sein Nachfolger werden; aber es ist dann nichts daraus geworden: ein anderer, vielleicht ein Schulkamerad, ist ihm zuvorgekommen.

      Ich habe meinen Großvater, den Vater meines Vaters, leider nicht mehr gesehen, und er mich auch nicht, denn er ist kurz vor meiner Geburt gestorben. Dabei habe er sich so auf mich gefreut, den Stammhalter und ersten männlichen Nachfolger in der Familie. Wir hätten aneinander sicher großen Spaß gehabt. Jetzt hatte ich nur noch das, was von ihm übrig war, und das war sehr viel: die Pickelhaube, ein Gürtel und ein Haufen Papiere, Briefe und Strafzettel; die Strafzettel waren aber auf meinen Vater ausgestellt – und mein Großvater hatte sie bezahlt – für die Streiche in seiner Jugendzeit.

      An den Bälken hingen oder lagen auf dem Bretterboden allerhand ausgestopfte Tiere; die soll nicht mein Vater, sondern dessen jüngerer Bruder, mein Onkel Ernst, geschossen haben, der eine Metzgerei auf der Schwäbischen Alb hatte. Ich habe keine freundliche Erinnerung an ihn, das heißt ich habe überhaupt keine Erinnerung an ihn: er zog aus dem elterlichen Haus aus und kam nie mehr oder doch nur so selten, daß ich die Besuche vergaß.

      Ich weiß auch von keinen Ausflügen, die wir zu ihm auf die Schwäbische Alb und in sein Haus mit der Metzgerei gemacht haben.

      Da war auch einmal eine Menge Zinnsoldaten auf der Bühne gewesen, aber bevor ich richtig gucken konnte, war sie weg; vielleicht gehörte sie meinem Onkel Ernst oder der Tante Frieda. Dabei hätte ich so gerne mit ihnen gespielt. Unter dem verstaubten Fenster stand der Mehlkasten; wenn man auch nicht dauernd Mäuse herumspringen sah, so sah man doch den Mäusedreck im Mehl, weshalb es auch immer vor dem Backen gesiebt werden mußte. Aus diesem Grund – aus dem Mäusegrund – standen auch überall Fallen herum, und wenn einmal eine Maus in der Falle hing, so nahm ich sie am Schwanz heraus, lupfte eine Dachplatte und ließ sie das Dach hinunter in die Dachrinne oder auf die Straße rollen. Dort holte sie dann Nachbars Katze.

      Wir selber hatten keine Katze und keinen Hund im Haus, was ich sehr schad fand. Dabei muß es hier einmal einen Hund gegeben haben, einen Spitzer oder sowas. Mein Vater erzählte mir, daß er mit ihm immer zur Oberen Mühle gegangen sei; da hatte es viele Ratten, und auch andere Buben trafen sich hier mit ihren Hunden.

      Aber der Hund – Spitzer oder was er war – meines Vaters oder meines Großvaters war der beste: er packte die Ratte im Genick, schüttelte einmal kurz und warf sie wieder tot zu Boden.

      Das sei schon eine Leistung gewesen, denn die Ratten hätten manchen Hund in die Flucht geschlagen oder ihm die Schnauze verkratzt.

      Ja, so einen Spitzer hätte ich gut gebrauchen können.

      Oder eine rechte Katze, die ist ja so stark wie ein Hund gegenüber Ratten, manchmal noch stärker.

      Gärten und Felder

      Gärten gab es auch, wenn man auf der Straße, die an unserem Haus vorüberführte, weiterging: nach vierzig Metern bog sie rechts ab und hieß Friedensstraße. Geradeaus kam man zwischen Äcker und Felder.

      Auch wir hätten da ein Feld mit Kartoffeln, Gurken, Bohnen, Salat, Träubleshecken und herrlichen Breschtlingen. Viel besser schmeckten aber die Erdbeeren und Himbeeren im Nachbargarten – und noch mehr in dem eingezäunten Grundstück weiter oben.

      Zweimal habe ich es riskiert und bin drübergestiegen – einmal wurde ich erwischt! Herr Ostertag schleifte mich gleich zu meiner Mutter, und von der bekam ich dann den Ranzen voll, was nicht oft geschah. Aber dieses Mal hatte ich es verdient – da wir ja diese Sachen alle selber hätten und ich sie niemand stehlen brauchte!

      Dort auf diesen Feldern, die an unser Haus angrenzten, und unmittelbar dahinter ließ ich in jedem Jahr auch meinen Drachen steigen. Nicht nur ich, sondern alle Kinder in dieser Gegend. Den Drachen hatte ich selber gemacht; die Holzleisten hatte ich mir in einer Schreinerei geholt und sie zu einem Gerüst zusammengenagelt. Darauf spannte ich Packpapier oder Stoff. Genauso wichtig war natürlich die Schnur, an der man den Drachen hinaufließ und dann oben in der Luft führte. Da hatte ich auch immer Glück: die Schnur war lang und der Wind gut. Jeder Absturz war vorherzusehen und fiel also nicht so schlimm aus.

      Weiter hinten wurden diese Felder – dort mehr Wiesen mit Bäumen; Äpfel-, Kirsch-, Birnen- und Zwetschgenbäumen – von einem Wassergraben zerschnitten. Es war ein ziemlich wilder Graben von unterschiedlicher Breite und wechselndem Wasserstand; einmal war er links und rechts von Erlen und Eschen eingesäumt und eine Brücke


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