Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel. Wilhelm König

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel - Wilhelm König


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Bank, das war der Platz der Kinder. Dann standen noch ein paar Stühle herum. Mein Ähne selber hatte seinen Platz auf einem Stuhl vorn vor der Tischlade; in dieser Tischschublade war das Brot, waren Salz und Pfeffer, waren Messer und Gabeln, und nur mein Ähne öffnete in der Hauptsache diese Schublade und verteilte das Brot und das Salz. Auch altes Brot war in dieser Schublade, Brotrinden, an denen man länger kauen mußte und die auch satt machten.

      Alle Kinder bekamen von meinem Ähne Most, alle Enkelkinder von klein auf – aber keinen Wein, den hatte er auch in einem kleinen Fäßle im Keller. Der Wein stammte aus dem eigenen Wengert.

      Und da hätte ich ja nochmal Schwielen in die Hände bekommen müssen und Kreuzweh. Denn die Leset an den steilen Hängen und das dauernde Bücken war auch kein reines Vergnügen. Aber ich tat die Arbeit gern, natürlich auch der Trauben wegen, die man dazwischen essen konnte, und auch der Rätsch wegen, die ich lange vorher schwingen durfte, um die Vögel zu vertreiben.

      Und ab einem gewissen Zeitpunkt wurde auf einer langen Stange auf einer Anhöhe ein Besen aufgestellt; das hieß – Weinberg zu, niemand darf mehr hinein, nicht mal der Besitzer. Und jetzt begann die Vorfreude auf die Leset und auf den süßen neuen Wein, auf den Saft, der so süß war wie der von den Äpfeln in der Mosterei. So wußte ich doch wenigstens, wo die Sachen alle herkamen.

      Mein Berufswunsch oder Bomben auf Stuttgart

      Ich wäre gern Schreiner geworden. Als der Hühnerstall zu einem Zimmer mit Bad ausgebaut wurde, habe ich den Handwerkern bei der Arbeit zugeschaut und ihnen auch tatkräftig geholfen, Bretter zu tragen, Bretter zu sägen, den Fußboden zu verlegen und das Fenster einzusetzen.

      Das Fenster kam an die gleiche Stelle, wo schon vorher ein Lichtloch war. Es ging zum Garten und auf die Gärtnerei, darüber lag der Bergrücken mit dem Dorf davor, in dem mein Ähne und meine Ahna, die Eltern meiner Mutter, lebten. Und hinter dem allem kam Stuttgart. Das wußten wir von den Christbäumen, die nachts diesen Himmel erleuchteten, und hinter diesen Christbäumen her oder zwischen ihnen hindurch fielen die Bomben.

      Meine Mutter und ich haben diesem Schauspiel oft zugeschäut, vom Hühnerstall aus und durch dieses Lichtloch hindurch.

      Ich habe gefroren wie ein Schneider, und ich glaube, meine Mutter auch. Sie tröstete mich: die Bomben kommen nicht zu uns.

      Aber nachher strichen die Flugzeuge leer über uns hinweg. Das war gegen Morgen, und wir wußten, wo sie gewesen waren und glaubten weiterhin, daß sie nur dieses eine Ziel in unserem Land, nämlich Stuttgart, kannten.

      Es sind bei uns nie Bomben gefallen, bis auf die eine. Aber das soll ein Blindgänger gewesen sein, und der steckte nachher in der Außenwand der Spinnerei, und dort wurde er von Soldaten und Polizei herausgegraben.

      Freilich gab es Fliegeralarm, bevor diese Bombergeschwaderjetzt noch voll und mit einem anderen Ton als nachher – über uns hereinzog: und dann sollten wir in den Keller, sind auch meistens in den Keller geflüchtet – oder in den Hühnerstall vor dieses Windloch – und haben gesehen, wovor wir verschont wurden. Damals habe ich vielleicht für Stuttgart gebetet, und meine Mutter wohl auch.

      Aber nicht immer sind wir in den Keller – fünfzehn feuchthölzerne Treppen – hinabgegangen zu den Mostfässern, den Kartoffeln und den Äpfeln auf der Hut über den Kartoffeln und gegenüber den Mostfässern.

      In den letzten Jahren des Krieges und der Bombennächte über Stuttgart sollten wir oben bleiben, unter dem Türrahmen des Eingangs zum Keller, so hatte uns der Vater angewiesen; das sei seine Beobachtung gewesen auf seiner Heimfahrt durch die zerstörten Städte und Häuser: Mauern und Decken seien eingestürzt und die Leute darunter begraben worden. Aber die Türrahmen seien stehengeblieben. Das möchte er nicht, daß wir in seinem Elternhaus ebenfalls im Keller begraben würden unter dem einbrechenden Gewölbe, deswegen sollten wir uns unter den Türrahmen hocken oder doch lieber oben in der Wohnung bleiben.

      Also hockten wir uns in den Türrahmen: meine Mutter genau auf der Schwelle mit meiner Schwester auf dem Schoß und der Tasche mit den schriftlichen Sachen an sich gepreßt, und ich eine Stufe darunter. Frierend. Und stumm.

      Das Bettelhaus

      Das Bettelhaus stand am Bettelsteg zwischen Bach und Kanal. Beide wurden von Brücken überspannt.

      Der Bach verlief in der Rinne durch den Ort, den er sich vor Urzeiten gegraben hatte. Dagegen wurde der Kanal künstlich angelegt, und zwar für die Obere und die Untere Mühle. Entlang dieses Kanals standen die drei Bachhäuser.

      Und in einem Loch unter der Straßenhöhe des Bettelstegs, eigentlich Hülener Straße, die hier zwischen Bach und Kanal kurz anstieg, hockte das Bettelhaus: das einzige Gemeindehaus, in dem während des ganzen Krieges eine kinderreiche Zigeunerfamilie hauste.

      Dieses Gelände mit dem «Festlandrücken» zwischen den beiden Wasserrinnen war unser Abenteuerspielplatz: über dem Bach reihten sich Holz- und Blechhütten; hier lagerten Holz und Kohle, wurden Hasen gehalten und Kleinwerkstätten aller Art betrieben.

      Das Holz war auch einfach so am Bach gestapelt, und es bedurfte in der Regel keiner besonderen Kraftanstrengung, um einen Teil davon den Hang hinunter zu befördern. Und über dem Weg zwischen Bach und Kanal baumelten auch die Straßenlampen, die ich mit meiner Schleuder ins Visier nahm. Und ich sehe noch die Reihe von Pappeln auf der anderen Seite des Baches vor mir: zum Hinaufsteigen waren sie zu hoch und auch zu glatt. Aber man könnte sie als Zielscheiben nehmen, und man konnte versuchen, mit einem Stein darüberzuwerfen, der dann oft drüben über dem Bach auf einem Dach einschlug.

      Mehr aber als über Pappeln warfen wir die Fenster des Bettelhauses ein: im Sommer mit Steinen – aus der Hand oder aus der Schleuder – und im Winter mit Schneeballen.

      Ich tat es einfach so, und die andern Kinder taten es sicher auch einfach so; vielleicht weil man es am Bettelhaus machen konnte, ohne daß da besondere Strafen zu befürchten waren – und weil es die meisten Kinder auch einfach so taten. Nur mußte man vor dem Alten und der Alten auf der Hut sein, aber wir konnten ja alle gut sauen.

      Es waren auch gleichaltrige Zigeunerkinder darunter, die nicht nur einmal bei unseren eigenen Spielen dabei waren. Eines dieser Zigeunerkinder, ein Bub in unserem Alter, fiel einmal von einem Baum – keine Pappel – in den Kanal: wir sagten, den hat dr »Hoogamoo« geholt, so versuchten uns auch unsere Eltern vor dem Wasser zu warnen.

      Der Zigeuner wurde dann auch ins Krankenhaus gebracht. Es blieb ihm aber nichts zurück. Nachher sprang er wieder wie alle herum, stieg aber auf keinen Baum mehr, schon gar nicht am Kanal.

      Die Scheiben am Bettelhaus wurden dann meistens wieder eingesetzt, zunächst waren die Löcher mit Tüchern oder Papier verhängt. In dieser Zeit hatten die drinnen ihre Ruhe und wir draußen andere Dinge im Kopf. Aber dann begann das Spiel von neuem – bis nach dem Krieg und bis die Zigeuner schließlich das Dorf verließen.

      Von dieser Brücke über dem Bach zum Bettelsteg hinauf wurde im Winter auch der Schnee ins Wasser gekippt: manchmal blieb er da liegen, wuchs aus dem Bachbett herauf, so daß man ohne Gefahr von oben hineinspringen konnte.

      Das war schon ein Erlebnis immer mit dem Schnee: wenn es schneite, fuhr bald der Bahnschlitten durch den Flecken; er wurde von vier Gäulen gezogen, und hinten drauf auf dem Schlitten hockten die Kinder.

      Den Schnee, der dann an die Häuser entlang der Straße geworfen wurde, brachten dann die Leute in der Umgebung zu dieser Brücke und leerten ihn hinab.

      Natürlich war ich auch schon mal im Bettelhaus drinnen – und die meisten anderen Kinder auch. Es war alles sehr nledrig und schmutzig; nichts war aufgeräumt, alles lag nur herum, und eigentlich gab es gar keine richtigen Möbel, bis auf ein Küchenbüfett und einen Kleiderkasten ohne Türe.

      Erst kam man in den Hausgang, der Boden war mit Steinplatten gedeckt, in der Mitte des Hausgangs, an der Wand zu einem Zimmer, stand der Herd, da werkelte meistens die dicke Zigeunerin, rührte in einem Hafen um und verschlug nebenher ein Kind.

      Es


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