George Best. Dietrich Schulze-Marmeling

George Best - Dietrich Schulze-Marmeling


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für ein Van-Morrison-Konzert in der Queen’s University liefert.1 O’Hare war begeistert von Morrisons Album „Astral Weeks“, eine bis dahin unbekannte Mischung von Folk, Blues und Jazz, die 1968 erscheint und 2009 in einer vom Musikmagazin „Hot Press“ unter Fachjournalisten veranstalteten Umfrage zum besten Werk eines irischen Musikers gewählt wird. O’Hare: „Wir hatten niemals zuvor derartige Musik gehört, gespielt von jemandem, der aus East Belfast kam, und mit einem kompletten Orchester hinter sich. In Belfast interessierten sich Republikaner meiner Generation für jede Form von Musik. Wenn Tanzmusik gespielt wurde, waren wir da, während Protestanten nicht einmal zum Céili gingen, das für sie ein katholisches Ding war. Uns störte das nicht. Ich denke, wir waren ihnen stets einen Schritt voraus. Wir hatten mehr Spaß.“

      Eamonn McCann, der prominente Sozialist und Journalist aus Derry, hat ähnliche Erinnerungen: „Als ich ein Teenager war, schienen mir junge Katholiken mehr auf Rock ’n’ Roll zu stehen. Sie waren weltoffener. Protestanten mögen auf Katholiken sozial, politisch und wirtschaftlich heruntergeschaut haben. Ich glaube, dass Katholiken kulturell auf sie herunterschauten. Es ist eine Verallgemeinerung und klingt etwas unfair, aber Katholiken hatten mit Sicherheit den Eindruck, dass Protestanten ein bisschen tonlos waren und keine Melodie besaßen.“

      Im protestantischen Belfast finden die Swinging Sixties kaum statt, auch wenn es Musiker wie Van Morrison stellt, der allerdings zum Zeitpunkt von „Astral Weeks“ bereits in den USA lebt. Vielleicht typisch für Belfast, das zu dieser Zeit noch so stark protestantisch geprägt ist, dass es in einer Chronik der nordirischen Metropole über die Swinging Sixties heißt: „Belfasts symbolischster Beitrag zu dieser hedonistischen Dekade war George Best, der aber das Etikett ‚der fünfte Beatle‘ erst erwarb, nachdem er die Siedlung in Cregagh für die Nachtklubs und Fußballfelder von Manchester verlassen hatte.“

      Eine Generation und ihre (individualistische) Kultur

      In Manchester korrespondiert Bests Fußballkarriere mit einem gesellschaftlichen Aufbruch auf der britischen Insel. Rückblickend spricht man von Großbritanniens „goldenem Zeitalter“. Viele europäische Gesellschaften werden in den 1960ern und frühen 1970ern von Um­brüchen erfasst, aber auf der britischen Insel beginnen sie schon Ende der 1950er und somit fünf bis zehn Jahre früher. Es ist zunächst eine kulturelle Bewegung, die dann aber auch sozialgeschichtliche Veränderungen bewirkt.

      Im Nachkriegs-Großbritannien boomt die Wirtschaft, es werden Arbeitskräfte benötigt, und die soziale Mobilität ist so groß wie nie zuvor. Zum ersten Mal öffnen sich die Tore der höheren akademischen Institutionen auch jungen Menschen aus der Arbeiterschaft. Dies füttert den Glauben, dass man mit Talent und Entschlossenheit die Klassengrenzen durchbrechen kann. George Best wird nicht nur der Enge der Arbeiterklasse, sondern auch des religiösen Sektierertums seiner Heimat entkommen. Hierfür gibt es kaum einen besseren Platz als Manchester, das sich immer schon durch ein hohes Maß an religiöser Toleranz und einen gewissen Hang zur Rebellion auszeichnete.

      Der zunehmende Wohlstand äußert sich in einer Konsumkultur, die, so der Großbritannien-Experte Thomas Mergel, „erstmals bis weit in die Arbeiterklasse reichte und nun auch die jüngere Generation erfasste. Die Vollbeschäftigung hatte nicht nur dazu geführt, dass so gut wie alle Leute, die arbeiten wollten, Arbeit hatten, sondern bescherte auch höhere Löhne. Sodass gerade die Schichten, die früher aus dem Bildungssystem entlassen wurden, also Arbeiterjugendliche, finanziell relativ selbstständig waren; sie prägten die ersten Jahre einer entstehenden Jugendkultur.“

      In den 1960ern erfasst eine explodierende Populärkultur die Fans des Fußballs und der Beat-, Blues- und Rockmusik. Erstmals werden Moden nicht nur von den oberen Etagen der Gesellschaft vorgegeben, sondern auch „von unten“ entwickelt. Der Historiker Eric Hobsbawn schreibt über diese soziokulturelle Revolution: „Modebewusste Jungen und vor allem Mädchen aus der Arbeiterklasse hatten ihren Lebensstil bis dahin häufig von den Moden der Oberschichten oder der Subkulturen der Mittelklasse, also der Künstlerboheme, kopiert. Nun begann sich eine seltsame Umkehr der Dinge anzudeuten.“ Ähnlich sieht es der Journalist Andrew Marr, bis 2005 Politikredakteur der BBC: „Die neue Kultur war weit davon entfernt, elitär zu sein. Sie wurde geformt von Leuten aus der Arbeiter- und der unteren Mittelklasse, die niemals zuvor so viel kulturelle Macht genossen hatten. (…) Die Kinder der LKW-Fahrer, Hafenarbeiter, Putzfrauen und Verkäuferinnen wurden in teuren Nachtklubs gefeiert und standen Schlange, um der Queen vorgestellt zu werden.“

      Britische Freizeitkulturen sind nun nicht mehr Kulturen von Klassen, sondern von Generationen. In Großbritannien zeigt sich ein Muster, das, so Thomas Mergel, „in ganz Westeuropa zum Ende des 20. Jahrhunderts leitend geworden ist und das für weibliche Lebensentwürfe ebenso gilt wie für Trends der Massenkultur: die Individualisierung der Lebensstile. Die Popkultur der sechziger Jahre hatte, so sehr auch Musikgruppen die Szene beherrschten, den Individualismus gefeiert. Eine Persönlichkeit wie John Lennon war eben nicht wie alle, und ebenso wenig war es der erste Fußballer, der zur Popikone geworden ist: der Nordire George Best, der bei Manchester United spielte. Genial, aber trainingsfaul und langhaarig, fuhr er Sportwagen, besuchte Nachtklubs und verändere dadurch das öffentliche Bild des bisher als Proletensport gehandelten Fußballs vollständig. (…) In der Verehrung, die solchen Stars entgegenschlug, äußerte sich die Sehnsucht der vielen, ebenso unverwechselbar und gegen den Mainstream zu sein und zu leben.“

      In einem Punkt irrt Mergel allerdings. Zwar schwänzt Best später wiederholt das Training, aber in seinen besten Jahren ist er alles andere als trainingsfaul. Best ist auch nicht der typische Playboy, als der er später bezeichnet wird. Zumindest im Manchester-United-Trikot bleibt sein Kerngeschäft der Fußball.

      Als Brian Kidd, drei Jahre jünger als George Best, 1966 zur 1. Mannschaft stößt, lernt er einen Best kennen, der auf dem Trainingsplatz so fleißig ist wie kaum ein anderer: „Seine Fitness war überragend, wurde von niemandem übertroffen, aber er arbeitete auch hart an seiner Technik. Wenn die anderen Spieler der 1. Mannschaft das Training beendet hatten und nach Hause gegangen waren, kam er noch einmal am Nachmittag mit einem Sack mit Bällen und übte Eckstöße – mit dem linken und dem rechten Fuß. Er versuchte sie direkt zu verwandeln, was ihm fast regelmäßig gelang. Ich erinnere mich daran, wie er dies einmal an einem Freitagnachmittag trainierte. Am folgenden Tag traf er dann auch im Spiel mit einem Eckstoß direkt ins Tor. Alle dachten an einen Zufall, aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Er hatte daran gearbeitet. Gott hatte ihn mit Talent ausgestattet, aber er arbeitete auf dem Trainingsplatz hart daran, sich weiter zu verbessern.“

      Manchester swingt

      Die Swinging Sixties sind nicht auf die Hauptstadt London beschränkt. Auch Manchester hat eine vibrierende Klub- und Musikszene. Dazu zählt das Twisted Wheel, der erste Nachtklub, in dem sich Best regelmäßig herumtreibt. Das Twisted Wheel ist ein ehemaliges Café für Studenten und Beatniks. Nicht der Alkohol lockt den späteren Alkoholiker Best in den Klub, sondern die Musik (vor allem Alexis Korner und Long John Baldry treten hier häufiger auf) und die jungen Damen. Auch hat Manchester seine eigene Bandszene, wenngleich nicht so dicht und ausgeprägt wie im benachbarten Liverpool. Aber im Frühjahr 1965 belegten mit Freddie & The Dreamers, Wayne Fontana & The Mindbenders und Herman’s Hermits drei Manchester-Bands die ersten drei Plätze in den US-Charts.

      Außerdem hat Manchester mit Le Phonographe eine der berühmtesten Diskotheken im Land. Der Laden spielt in den Swinging Sixties eine ähnliche Rolle wie in den 1990ern The Hacienda, ein Nachtklub, der in den Jahren von „Madchester“, einer Bewegung aus Independent Rock, Psychedelia und elektronischer Tanzmusik, angesagt ist und von United-Spielern wie Ryan Giggs und David Beckham frequentiert wird. Im Phonographe kann man laut Best die schönsten Mädchen treffen. Er erscheint dort meist gemeinsam mit dem drei Jahre älteren Mike Summerbee, der 1965 von Manchester City als Flügelstürmer verpflichtet worden ist und sich mit Best schnell angefreundet hat. Die beiden beginnen ihren Diskoabend meist an einem Tisch nahe der Damentoilette, wo die Mädchen sie passieren müssen.

      Später unterhält Best eine besondere Beziehung zum Club Phyllis, der von der Irin Philomena „Phyllis“ Lynott geführt wird. Phyllis ist die Mutter von Phil Lynott, Sänger und Bassist der Dubliner Rockband Thin Lizzy, die Anfang der 1970er nach London übersiedelt. Phil


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