Chirurginnen. Volker Klimpel
durch einen Artikel im British Medical Journal von 2017, „Haben Chirurginnen weniger Komplikationen als männliche Kollegen?“ Gemeint sind natürlich die intra- und postoperativen. Die schon mehrfach erwähnte Doris Henne-Bruns hat diese Arbeit 2018 in der CHAZ kommentiert und kommt zu einem interessanten Schluss: „Es gibt mit Sicherheit Unterschiede im operativen Geschick zwischen Individuen – dass diese am Geschlecht festzumachen sind, ist zu bezweifeln“ [44]. Die Klinik für Allgemeine Chirurgie am Universitätsklinikum Lübeck hat 2011 ein Projekt zur Förderung von Frauen und frauenfreundlichen Strukturen in der Chirurgie ins Leben gerufen, FamSurg (für Family and Surgery) genannt, das von der EU gefördert wird. Prof. Nada Rayes (*1964), endokrine Chirurgin am Universitätsklinikum Leipzig, hat 2017 den „FamSurg-Preis“ – 2013 gestiftet durch Frau Dr. Sybill Storz von der Firma Karl Storz Tuttlingen und im Mai 2013 erstmalig verliehen –, für „vorbildhaften und den weiblichen Nachwuchs motivierenden Karriereverlauf von Chirurginnen“ erhalten. Prof. Rayes selbst ist zweifache Mutter und hat, wie auch die anderen Preisträgerinnen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig bewiesen.14
Der 2018 amtierende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Prof. Jörg Fuchs (*1963) von der Tübinger Kinderchirurgie, hat in seiner „Damenrede“ 15 ein Jahr zuvor den Frauen in der Chirurgie auf besondere Art seine Reverenz erwiesen, indem er sie in ihren Eigenschaften mit der Jungfrau von Orleans16 vergleicht: Enthusiastisch, hartnäckig, unbeirrbar im Glauben an ihre Sache. Charmant meinte Fuchs, die Chirurgen der Gegenwart seien in ihrer vermeintlichen Domäne wieder zu Minnesängern geworden, und widmete den Chirurginnen eine kleine Ode des Walther von der Vogelweide [33]. Womit freilich noch nicht alles gut ist und nicht überall eitel Sonnenschein in der Chirurgie zwischen Frauen und Männern herrscht. … Nehmen wir nur die Mammutkongresse der 1872 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Da ist jetzt freilich viel junge Weiblichkeit unter den Teilnehmern zu bemerken, in der „oberen Etage“ sieht es aber ein wenig anders aus. Das schwergewichtige 495 Seiten starke Tagungsprogramm zum 135. Kongress der DGCH aus dem Jahr 2018 weist unter der Rubrik „Verzeichnis Vorsitzende und Referenten“ 1445 Namen auf, darunter 305 Chirurginnen (<5 %). Echte „Chefinnen im Ring“, d. h. Tagungsvorsitzende und Workshop-Leiterinnen, sind davon 33. In den Vorständen der DGCH und den ihr angeschlossenen Fachgesellschaften finden sich fünf Frauen, erste Senatorin ist Prof. Schackert aus Dresden. Dennoch: Kindergeplapper und Kindertrubel auf den Fluren eines Chirurgenkongresses! Im „KidsClub Chirurgie“ wird der allerjüngste Nachwuchs, Kinder im Alter von 12 Monaten bis zehn Jahren, von geschulten Kräften zwischen 8 und 18 Uhr betreut. Abgegeben werden die Kleinen von chirurgischen Muttis oder Babysittern – chirurgische Vatis wurden nicht gesichtet.
Beim Blick über die Grenzen ist festzustellen, dass Frauen in der Chirurgie ebenfalls ein Thema sind. Die britische Tageszeitung The Guardian veröffentlicht z. B. die Geschichte einer Medizinerin unter der Überschrift „Ich bin eine Frau und ein Chirurg [sic] – warum ist das immer noch schockierend?“.17 Eine andere britische Studie erregte Aufsehen, in der postuliert wurde, es sei weniger wahrscheinlich, innerhalb eines Monats in der Chirurgie zu sterben, wenn der Chirurg eine Frau ist. Überhaupt hätten Forscher herausgefunden, dass Frauen bessere Chirurgen sind als Männer.18 Und manche Kollegin wird mit den Worten zitiert „Die Chirurgie hat einen Mann aus mir gemacht“, was selbstredend nicht anatomisch gemeint ist.
Auch in Frankreich ist das Thema relevant. Hier trägt das bemerkenswerte, 2012 in Rennes erschienene Buch von Emmanuelle Zolesio mit dem Titel „Weibliche Chirurgen? Frauen in einem Männerberuf“ zur Diskussion bei <QI27>. Frau Zolesio ist Soziologin und hat lange über die „chirurgische Sozialisation und sexuelle Disposition von [Abdominal-]Chirurginnen“ geforscht.
Ein weiterer Blick über die deutsch-französische Grenze führt uns zu Prof. Francine Leca (*1938), die „Frau der Herzen“ und Grande Dame der Kinderherzchirurgie in Frankreich. Ausgebildet bei dem Herzchirurgen Prof. Jean Mathey, blickt sie auf eine 34-jährige Karriere am berühmten Hôpital Necker in Paris zurück und wurde 2006 emeritiert. In dieser Zeit hat sie über 6000 Kinder und Jugendliche am Herzen operiert. Selbst Mutter zweier Kinder und Großmutter von fünf Enkeln, ist Prof. Leca weltweit bekannt geworden als Förderin der Organisation „Enfants du Monde“ und ihre Hilfe für Kinder der Dritten Welt. Sie ist u. a. Offizier(in) und Ritter(in) der Französischen Ehrenlegion <QI28>.
Francine Leca
Es finden sich, wenn man nur hartnäckig genug sucht, noch viele andere ausländische Chirurginnen von Ruf. Als eine der bedeutendsten Chirurginnen der Transplantationschirurgie gilt Dr. Nancy L. Ascher. Von 1982 bis 1988 war sie Direktorin des Lebertransplantationsprogramms bei John Najarian an der University of Minnesota in Minneapolis. 1988 wechselte sie an die University of California San Francisco, wo sie ein Lebertransplantationsprogramm aufbaute. 1991 wurde sie Chief of Transplantation, 1993 Vice-chairwoman der Abteilung für Chirurgie und agierte schließlich 1999 bis 2016 als Chairwoman. Eine weitere bemerkenswerte Chirurgin ist die Polin Prof. Maria Siemionow (*1950) mit Staatsexamen 1974 an der Universität Posen (Poznan), die an der Cleveland Clinic in Ohio das Departement für Plastische Chirurgie leitet und 2008 mit ihrem Team die erste Gesichtstransplantation in den USA durchgeführt hat. Dass eine große Anzahl von Chirurginnen der wiederherstellenden und kosmetischen Chirurgie zuneigt und diese hervorragend meistert, wurde bereits erwähnt. So auch MUDr. Véra Satánková in Prag. Die Tschechoslowakei war übrigens das erste Land der Welt, in dem 1932 die Plastische Chirurgie als eigenständige Fachrichtung anerkannt worden ist.
Zum 100. Jubiläum der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie titelte diese 2013 ihre mediale Präsentation „100 Jahre Schweizer Chirurginnen und Chirurgen. 100 Jahre für die Patienten“ (Hervorhebung vom Verf.).
Nur am Rande: Die US-amerikanische Verfasserin des Roman-Bestsellers „Die Chirurgin“ (2004), Tess Gerritsen (*1953), ist zwar Ärztin, aber keine Chirurgin.
An den Schluss dieses Kapitels sei die russische Ärztin Alla Ilyinichna Levushkina (1927–2020) gestellt, die mit ihren 93 Jahren die älteste aktive Chirurgin ihres Landes, ja vielleicht der ganzen Welt bis zum 23. Januar 2020 gewesen sein dürfte. Als sie vor 69 Jahren zum ersten Mal operierte, saß Stalin noch im Kreml. Wie zu lesen ist, griff die 1,50 m große Frau schon im Großen Vaterländischen Krieg zum Skalpell und operierte bis Ende 2018 noch immer – jeden Tag in Rjasan an der Oka <QI29>.
Alla Ilyinichna Levushkina operierte mit über 90 Jahren noch!
Wie weit es unsere Gesellschaft und in ihr die Chirurginnen (und ihre Förderer) gebracht haben, zeigt das Online-Angebot von T-Shirts mit dem Aufdruck „Die beste Chirurgin aller Zeiten“! Das von der französischen Designerin Malika Favre (*1982) gestaltete Titelbild des US-amerikanischen Magazins The New Yorker vom April 2017 mit dem Titel „Operating Theatre“ zeigt – ausschließlich Frauen! Wie sehr Frauen in der Chirurgie heute ein Thema sind, beweist u. a. ein Erfahrungsbericht einer jungen chirurgischen Assistentin im traditionsreichen Lancet [123].
Das US-Magazin The New Yorker
Dieses T-Shirt gibt es in unterschiedlichen Größen zu erwerben.
Die enormen Fortschritte, welche Frauen im