Das Gehirn - ein Beziehungsorgan. Thomas Fuchs

Das Gehirn - ein Beziehungsorgan - Thomas  Fuchs


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Patient geben. Mit anderen Worten: Ließe sich Wahrnehmung restlos als ein physikalischer Prozess beschreiben, der sich jeweils zwischen einem Gegenstand und einem Gehirn abspielt, dann könnten zwei Menschen nicht gemeinsam ein- und denselben Gegenstand betrachten. Die zwei Prozesse liefen, vom Objekt ausgehend, in verschiedene Richtungen und streng getrennt voneinander ab, und die beiden Personen blieben in ihre jeweilige Welt eingeschlossen, zumal sie ja auch selbst für einander nur Simulationen wären. Das aber liefe auf einen Neuro-Solipsismus hinaus.

      Insofern also der intersubjektiv konstituierte Raum Objektivität besitzt – besäße er sie nicht, dann wäre keine Verständigung über gemeinsam wahrgenommene Objekte möglich, ja nicht einmal ein schlichter Warenaustausch wie beim Einkaufen – erweist er umgekehrt die jeweiligen subjektiv erlebten Räume, auf deren Basis er sich konstituiert, als nicht nur virtuell. Die subjektive Sicht ist also zwar eine je individuelle, perspektivische Sicht, jedoch nicht etwa »nur subjektiv« in dem Sinne, als wäre das Gesehene »im Subjekt«. Sehend befinden wir uns immer schon in einem gemeinsamen Raum mit anderen (vgl. Fuchs 2020a).

      Der von Arzt und Patient übereinstimmend wahrgenommene Körper kann also kein subjektives Scheingebilde mehr sein. Er befindet sich im gemeinsamen, intersubjektiven und insofern objektiven Raum. Nun passt aber die subjektive Stelle des Schmerzes zum objektiven Ort des Körperteils. Der subjektiv-leibliche und der objektive Raum kommen also tatsächlich zur Deckung, und wir müssen die Frage wiederholen: Wie ist es möglich, dass der Patient den Schmerz dort empfindet und nicht im Gehirn?

      Die Koextension von subjektivem Leib und organischem Körper ist so gesehen nicht mehr verwunderlich. Sie ist aber auch funktionell sinnvoll: Das bewusste Erleben ist dort, wo die Interaktionen mit der Umwelt stattfinden – in der Peripherie, nicht im Gehirn. Schließlich ist der Körper der »Spieler im Feld«. Daher ist es sinnvoll, dass wir seine Grenzen, Stellungen und Bewegungen in der Umwelt »analog«, d. h. leibräumlich erleben und nicht nur kognitiv registrieren.

      Wenn ich also nach etwas taste, so bewege und spüre ich keine virtuelle, sondern meine wirkliche Hand, die ihrerseits einen wirklichen Gegenstand berührt. Das wird dadurch möglich, dass der subjektive Raum in den objektiven Raum des Organismus in seiner Umwelt eingebettet ist. Das heißt: Wir sind leibhaftig in der Welt – und nicht Wesen, die nur das illusionäre Gefühl haben, in ihrem Körper zu stecken.

      Statt nur zentrales Konstrukt zu sein, modifiziert sich also der ausgedehnte Leibraum in Abhängigkeit von der jeweiligen Grenze, an der die tatsächliche Auseinandersetzung mit der Umwelt stattfindet. Dies ist wiederum funktionell sinnvoll: Der physische Kontakt mit dem eigentlichen Widerstand der Umgebung muss in das subjektive Erleben eingehen, damit ein adäquater Umgang mit Objekten und Werkzeugen möglich wird. Die angeblichen Illusionen, die dabei entstehen, sind in Wahrheit höchst sinnvolle Ausdehnungen unseres Leibbewusstseins im Kontakt mit der Umwelt. Wiederum folgt: Der objektive Raum des physischen Organismus und der subjektive Raum des leiblichen Erlebens sind ineinander verschränkt und modifizieren sich ständig wechselseitig.

      Freilich zeigt das Phänomen der Phantomglieder oder -schmerzen, dass das gewohnheitsmäßige Körperschema (verankert im somatosensorischen Kortex des Gehirns) mit in den subjektiven Leibraum eingeht. Daher kann dessen Ausdehnung vom objektiv-körperlichen Raum ausnahmsweise erheblich abweichen. Solche Ausnahmen sprechen aber ebensowenig wie die schon beschriebenen Verschiebungsphänomene (Blindenstock, Autofahren) gegen die grundsätzliche Syntopiee, also die prinzipiell koextensive Räumlichkeit von Leib und Körper – im Gegenteil, sie bestätigen sie sogar: Wären Leib und Körper nicht normalerweise koextensiv, so würde dem Amputierten sein Phantomglied im Raum nicht weiter auffallen; es gäbe dann auch gar keine mögliche Diskrepanz beider Räumlichkeiten. Nur auf die grundsätzliche Syntopie kommt es aber an, soll die Illusionsthese bzw. die Vorstellung eines bloßen »Phantomleibs« widerlegt werden.

      Um diesen für die weitere Untersuchung zentralen Punkt ganz deutlich zu machen, fragen wir noch einmal: Wo ist nun der Schmerz, wenn mir der Fuß wehtut? – Nach gängiger neurowissenschaftlicher Überzeugung dort, wo er erzeugt wird, also im Gehirn. Selbst John Searle, einer der prominentesten Kritiker des neurobiologischen Reduktionismus, ist dieser Auffassung:

      »Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass unsere Schmerzen sich im physikalischen Raum innerhalb unseres Körpers befinden (…) Doch wissen wir nun, dass dies falsch ist. Das Hirn bildet ein Körperbild, und Schmerzen – wie alle körperlichen Empfindungen – gehören zum Körperbild. Der Schmerz-im-Fuß ist buchstäblich im physikalischen Raum des Hirns« (Searle 1993, 81).

      Der Schmerz-im-Fuß ist somit weder im physikalischen Raum des Fußes noch im


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