Das Gehirn - ein Beziehungsorgan. Thomas Fuchs

Das Gehirn - ein Beziehungsorgan - Thomas  Fuchs


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an neuronalen Zellmembranen. Wo ist der Schmerz dann? Er ist im »Fuß-als-Teil-des-lebendigen-Körpers«, denn dieser einheitliche lebendige Körper (einschließlich des Gehirns) bringt auch eine leibliche, räumlich ausgedehnte Subjektivität hervor. Dass ich sinnvoll aussagen kann: »Ich habe Schmerzen im Fuß«, und denselben Fuß auch meinem Arzt zeigen kann, setzt voraus, dass der subjektive Raum meines Schmerzes und der objektive Raum meines Fußes nicht zwei getrennten Welten angehören, die nur in einer indirekt-kausalen Weise (nämlich über physiologische Prozesse im Gehirn) miteinander verknüpft sind. Es setzt voraus, dass der subjektive und der objektive Raum meines Körpers syntopisch zur Deckung kommen können.

      Fassen wir vorläufig zusammen: Wir gingen aus von der Überlegung, dass Wahrnehmung nicht die passive Aufnahme von Bildern in ein außerweltliches Bewusstsein bedeutet. Alles Wahrnehmen ist vielmehr verkörpert: Es beruht auf dem sensomotorischen Umgang mit den Dingen, auf konkreter leiblicher Praxis. Das Subjekt der Wahrnehmung, so zeigte sich weiter, ist ausgedehnt über den leiblichen Raum, und dies nicht in Form eines bloßen Phantoms oder Gehirnkonstrukts, sondern als die mit dem lebendigen Organismus koextensive, verkörperte Subjektivität. Die somatosensorischen und -motorischen Strukturen im Gehirn sind freilich notwendige Bedingungen dieses Subjekterlebens. Doch bedeutet dies nicht, dass das Leibsubjekt im Gehirn zu lokalisieren wäre wie Descartes’ Seele in der Zirbeldrüse. Wir gehören der Welt an, mit Haut und Haaren – wir sind leibliche, lebendige und damit »organischere« Wesen als es der neurowissenschaftliche Zerebrozentrismus suggeriert.

      1.3.1 Der Raum der Wahrnehmung

      Was für die eigenleibliche Wahrnehmung gezeigt wurde, gilt es nunmehr auf die Wahrnehmung insgesamt auszudehnen. Trifft hier nun doch die Illusionsthese zu? Sehen wir in Wahrheit nur Bilder, passend konstruiert und auf den Schirm unseres Bewusstseins projiziert von der Camera Obscura des Gehirns?

      Natürlich verhält es sich phänomenal ganz anders: Beim Sehen, wie bei jeder anderen Sinneswahrnehmung, sind wir nicht im Kopf, sondern in der Welt und bei den Dingen. Wahrnehmung findet auch nicht in einem Behälter namens Bewusstsein statt, in den Sinnesreize von außen importiert würden. Ich nehme nicht »Sehempfindungen« oder Bilder wahr, sondern den Schreibtisch, das Fenster, den Himmel usw. Ich höre keine »Schallempfindungen«, sondern Musik. Wahrnehmung stellt eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Wahrnehmenden und dem wahrgenommenen Gegenstand her. Ist diese Unmittelbarkeit unserer Welterfahrung wirklich nur eine Täuschung?

      1.3.2 Die objektivierende Leistung der Wahrnehmung

      Was wir wahrnehmen, sind weder Bilder noch Modelle, sondern Dinge und Menschen. Das ist zunächst keineswegs selbstverständlich: Wenn ich beispielsweise ein Haus wahrnehme, dann sehe ich doch eigentlich immer nur eine, perspektivisch begrenzte Ansicht des Hauses. Wie überwindet die Wahrnehmung diese Begrenztheit?

      Husserl hat gezeigt, dass die Wahrnehmung ihre Gebundenheit an eine Perspektive aufhebt, indem sie weitere mögliche Aspekte der


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