Der Bergpfarrer Paket 4 – Heimatroman. Toni Waidacher
früher entfernten Verwandten meines Großvaters, und die hießen Brandner.«
Es war, als durchzucke ihn ein Blitz. Mit einem Schlag schien es ihm ganz klar vor Augen zu stehen.
»Brandner, sagen Sie?« fragte Franz Gruber mit belegter Stimme. »Und wieso wurde er umbenannt?«
»Das ist so«, erklärte der Bauer, »es gab da eine Tochter. Maria hat sie geheißen, die hat den Hubert Hirschler geheiratet, und nach dem Tod seiner Schwiegereltern hat der dann dem Hof seinen Namen gegeben.«
Maria und Hubert – diese beiden Namen hatte sein Vater immer genannt. Allerdings nie die Nachnamen. Kein Wunder also, daß er, Franz, bislang keine Spur gefunden hatte.
»Und da sind Sie ganz sicher?« hakte er nach.
»Freilich!« Wolfgang Brandner nickte. »Die Maria ist vor ein paar Jahren gestorben, aber der Hubert lebt noch. Er hat den Hof seinem Sohn überschrieben und wohnt auf dem Altenteil. Fahren S’ mal hin und fragen nach. Vielleicht sind’s ja die Leute, die Sie suchen.«
Franz Gruber nickte. Ja, genau das würde er tun.
»Vielen Dank«, sagte er und lud den Bauern seinerseits zu einem Schnaps ein.
Hatte es sich also doch gelohnt, herzukommen! Endlich war der Mann gefunden, dem Franz’ Vater all sein Unglück zu verdanken hatte, und das Beste war, er lebte noch und würde seiner gerechten Strafe nicht entgehen!
Franz Gruber unterhielt sich noch eine ganze Weile mit Wolfgang Brandner und forschte den Bauern aus. Allerdings war diese Quelle nicht sehr ergiebig. Was sein Vater ihm seinerzeit erzählt hatte, war das Wenige, was er nun dem Fremden mitgeteilt hatte. Tobias Brandner, der Altbauer, war damals noch ein Knabe und konnte sich später nur noch bruchstückhaft erinnern. Immerhin war Franz dennoch zufrieden mit dem Verlauf des Abends, und als er bezahlte und den Saal verließ, stand schon fest, wohin ihn morgen sein Weg führen würde.
Vor dem Eingang standen einige Gäste, die sich an der frischen Luft vom Rauch und der Wärme auf dem Saal erholen wollten. Einige waren auch schon auf dem Heimweg. Darunter auch Pfarrer Trenker, der eben durch die Tür kam. Er sah Franz Gruber ein paar Schritte vor sich und eilte ihm hinterher.
»Na, haben S’ sich gut amüsiert?« sprach er den Mann an.
Der blickte ihn an und nickte.
»Eine schöne Veranstaltung«, erwiderte er. »Aber jetzt wird es Zeit für mich.«
Es drängte Franz wirklich in die Pension zurück. Noch war es nicht so spät, als daß er nicht noch zu Hause anrufen konnte, und er wollte Lina doch von seinem Glück erzählen.
»Sagen Sie, Herr Gruber, wonach suchen Sie eigentlich?« fragte der Bergpfarrer unvermittelt.
Er war erstaunt, wie gut sich Franz Gruber in der Gewalt hatte, denn in dessen Gesicht zeigte sich keinerlei Regung.
»Sie irren sich, Hochwürden«, entgegnete er gelassen. »Ich suche niemanden.«
»Bitte, Herr Gruber!« Sebastian schüttelte den Kopf, »Sie müssen mir nix vormachen. Überall im Ort und auf den umliegenden Höfen ziehen S’ Erkundigungen ein. Wenn Sie etwas Bestimmtes über jemanden wissen wollen, warum fragen S’ dann net mich? Glauben S’, ein andrer kann Ihnen mehr Auskunft geben, als ich?«
Franz Gruber antwortete nicht, sondern ging stur weiter. Erst nach ein paar Metern drehte er sich um. Seine Augen fixierten den Geistlichen.
»Wir leben in einem freien Land«, sagte er. »Und ich kann gehen, wohin ich will, und fragen, wen und was ich will, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Bitte, Herr Pfarrer Trenker, ich will nicht unhöflich sein, aber meine Angelegenheiten gehen Sie nichts an. Guten Abend.«
Er wollte weitergehen, doch die Stimme des Geistlichen hielt ihn zurück.
»Wenn Ihre Angelegenheiten eine Person aus meiner Pfarrgemeinde betreffen, und es für mich ausschaut, daß Sie dieser Person Schaden zufügen wollen, dann geht es mich sehr wohl etwas an, Herr Gruber«, sagte Sebastian. »Und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um das zu verhindern. Glauben S’ mir das, Herr Gruber.«
Der drehte sich endgültig um und ging. Sebastian blieb noch einen Moment stehen und schaute hinterher.
Franz Gruber machte durchaus keinen unsympathischen Eindruck. Der Bergpfarrer hatte nicht das Gefühl, daß von diesem Mann wirklich eine Gefahr ausging. Aber gerade diese scheinbare Harmlosigkeit, die Franz Gruber umgab, war es, die Sebastian Sorge bereitete.
Er wurde einfach nicht aus ihm schlau!
*
Georg Mäder saß dumpfbrütend in seiner Jagdhütte. Sein Hund lag zu seinen Füßen und schlief, auf dem Tisch brannte eine Petroleumlampe und verbreitete ihr diffuses Licht in der Hütte.
Noch in der vergangenen Nacht war der Bauer losgezogen, hatte stundenlang auf dem Hochsitz gehockt, ohne wirklich ein Stück Wild erlegen zu wollen. Er saß nur da und dachte nach. Den Streit mit Liesl hatte er längst bereut. Und eigentlich war es auch gar keine richtige Auseinandersetzung gewesen. Sie hatte im Grunde ja recht, mit dem, was die Magd gesagt hatte. Er war stur, allerdings meinte Georg in diesem Fall auch das Recht dazu zu haben.
Andrea war seine große Liebe gewesen. Sie hatten glückliche Tage miteinander verbracht, auch wenn da immer die Gewißheit war, daß sie eines Tages abreisen würde. Doch dann gab es auch das Versprechen, wiederzukommen, und die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben.
Die Enttäuschung über ihren Wortbruch saß tief, hatte all die Jahre nicht nachgelassen, und daß sie jetzt zurückgekehrt war, machte es nur noch schlimmer.
Nein, bestimmt nicht, Liesl hatte nicht recht, Andrea liebte ihn nicht mehr, seinetwegen war sie bestimmt nicht wieder da. Mochte der Teufel wissen, was sie dazu veranlaßt hatte, auf den Hof zu kommen.
Gegen Morgen war Georg in die Hütte zurückgekehrt, hatte ein wenig geschlafen und war später wieder durch den Wald gestreift. Diesmal ging es ihm nicht so schlecht wie in der Nacht, und er hätte auch geschossen, wenn ihm ein Wildschwein vor die Flinte gelaufen wäre. Doch es ließ sich keines blicken, und so kehrte er gegen Abend wieder zurück.
Im Dorf sind jetzt alle auf dem Tanzabend versammelt, dachte er, bestimmt geht es dort wieder hoch her.
Georg überlegte, ob er sein selbst gewähltes Asyl nicht verlassen und nach St. Johann fahren sollte. Auch wenn er nicht gerade dafür angezogen war. Aber schließlich wollte er keinen Walzer tanzen, sondern sich nur mal umschauen, vielleicht ein Bier trinken und dann zum Hof zurückfahren.
Als er wenig später in seinem Auto saß, da wußte er schon im Hinterkopf, daß es nicht der einzige Grund war, warum es ihn auf das Tanzvergnügen zog. Bestimmt würde auch Andrea dort sein, und er wollte sie wenigstens einmal sehen.
Wenn auch, ohne sie anzusprechen!
Jedenfalls nahm er sich das vor…
Der Bauer stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz des Hotels ab und ermahnte den Hund, sich ruhig zu verhalten. Indes legte sich das Tier ohnehin brav schon wieder auf den Boden des Kofferraumes und machte die Augen zu.
Georg ging zum Saaleingang, grüßte hier und da jemanden, den er kannte, und trat ein. Wie er es sich gedacht hatte, herrschte Hochbetrieb. Er steuerte den Tresen an und bestellte ein kleines Bier.
Es war schon spät, aber immer noch hatten die Saaltöchter alle Hände voll zu tun, um die Wünsche der Gäste nach flüssiger und fester Nahrung zu erfüllen. Als das Bier dann vor ihm stand, nahm Georg einen tiefen Schluck und wischte sich den Schaum von den Lippen. Er lehnte mit dem Rücken an den Tresen und schaute sich um. Die meisten Gäste kannte er, anderen sah man an, daß es sich bei ihnen um Urlauber handelte. Vergebens glitt sein Blick über die Menge. Andrea konnte er nirgendwo entdecken.
War sie doch nicht hergekommen?
Einer der Umstehenden sprach ihn an.
»Sag’ mal, Georg, dein Knecht hat immer ein Glück«, meinte