Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
wieder ganz gut aus«, bemerkte er mit einem Blick auf die Geräte, die Jakobs Vitalfunktionen aufzeichneten.
»Ich fühle mich auch wie neugeboren.«
»Dafür ist wohl eher die Kollegin Petzold verantwortlich.« Matthias hatte noch nicht ausgesprochen, als er sich am liebsten selbst geohrfeigt hätte.
Welcher Teufel ritt ihn nur? Er verspürte doch sonst keinen Hang zur Bosheit. Es musste an Sophie liegen, dass er sich nicht zurückhalten konnte.
Jakob schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen.
»Was ist eigentlich mit Ihnen los, Dr. Weigand?«, fragte er. »Sie sind doch sonst ein ganz umgänglicher Typ. Was haben Sie gegen Frau Petzold?«
Matthias räusperte sich und vertiefte sich in die Aufzeichnungen im Patientenblatt.
»Bestimmt haben Sie schon mitbekommen, dass Frau Dr. Petzold denkt, wir eingesessen Kollegen wären in der Steinzeit stehengeblieben.«
»Ich persönlich habe davon noch nichts gemerkt. Zu mir ist sie immer sehr nett.« Jakob grinste. »Sie hat viel Mitgefühl.«
»Zu viel Mitgefühl ist in unserem Beruf nicht hilfreich. Das sollten Sie als Pfleger doch am besten wissen.« Er zückte einen Kugelschreiber, um die neuen Werte in die Karte einzutragen.
Jakob sah ihm dabei zu.
»Ich sehe das anders. Meiner Ansicht nach muss man immer offen sein für neue Ideen. Keine Erkenntnis der Welt ist in Stein gemeißelt. Außer vielleicht, dass wir alle sterben müssen.« Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde tiefer. »Aber das hat noch viel Zeit.«
»Vielen Dank für die Belehrung.« Auch Matthias Weigand rang sich ein Lächeln ab. »Aber ehrlich gesagt bin ich nicht gekommen, um mich mit Ihnen über die Kollegin Petzold zu unterhalten.«
»Sie haben angefangen, Doktor.«
»Ich? Ähm … nun ja …« Schnell nahm Matthias das Tablet zur Hand, auf dem sich die neuesten Untersuchungsergebnisse befanden. »Wie dem auch sei, die Untersuchungen haben keinen Aufschluss über die Ursache des Abszesses gegeben. Deshalb werden wir die Antibiotika-Behandlung bis zur Ihrer Entlassung fortführen. Sonst laufen Sie Gefahr, dass sich das gesamte Krankheitsbild in ein paar Monaten wieder genauso ereignet.« Er sah von dem kleinen Bildschirm auf. »Sonst noch Fragen?«
»Kann es sein, dass Sie Angst davor haben, dass Frau Petzold eines Tages die bessere Ärztin von Ihnen beiden sein wird?«
»So einen Unsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört.« Kopfschüttelnd ging Matthias zur Tür. »Sie sollten eine Runde schlafen, damit Sie wieder klarer denken können.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Jakobs Lachen folgte ihm. Im Gegensatz zu dem Pfleger ahnte er, warum er so wütend auf Sophie war. Doch genauer darüber nachdenken wollte er lieber nicht. Deshalb schob er diesen Gedanken schnell wieder weg.
*
»Was für ein Tag!« Seufzend ließ sich Dr. Daniel Norden neben seine Frau auf die Couch fallen. Er lehnte den Kopf an Fees Schulter und musterte das mit Folie verklebte Fenster. »Hat was Futuristisches. Vielleicht wird das ein neuer Trend.«
Felicitas lachte und fischte eine Olive aus einem der Schälchen auf dem Tisch.
»Das hat Dési heute auch schon gemeint.«
»Kein Wunder. Wir sind ja auch verwandt.« Daniel richtete sich auf und unterzog den Imbiss, den Felicitas vorbereitet hatte, einer eingehenden Musterung.
»Paul ist aber auch mit Frau Wolter verwandt, und die beiden haben keinerlei Ähnlichkeit. Zum Glück«, schob Fee hinterher.
»Apropos Paul.« Das Stichwort erinnerte Daniel an etwas. Besser, er brachte es gleich hinter sich. »Leider habe ich eine schlechte Nachricht.«
Fee zog eine Augenbraue hoch.
»Und die wäre?«
»Anna Wolter muss mindestens noch zwei, drei Tage in der Klinik bleiben. Und auch danach wird sie kaum in der Lage sein, sich um ihren Enkel zu kümmern.«
»Die arme Dési!«, seufzte Fee aus tiefstem Herzen. »Bis Carina Wolter ihren Sohn wieder abholt, sind die Ferien auch vorbei. Dabei würde Dési ein bisschen Zeit mit Joshua gut tun.«
Daniel legte den Arm um die Schultern seiner Frau und zog sie an sich.
»Wieso? Jetzt, da er hierbleibt, haben die beiden doch noch alle Zeit der Welt. Solange sie auf dieses ungezogene Kind aufpassen, kommen sie wenigstens nicht auf dumme Gedanken«, murmelte er an ihren Lippen. »Ganz im Gegensatz zu mir.«
Fee lachte leise und wollte in seinen Armen dahinschmelzen, als sie von Scheinwerferlicht durch die Folie fiel, über die Couch wanderte und wieder verschwand.
»Wer mag das sein?« Fee lauschte auf das Motorengeräusch, das gleich darauf verstummte. »Erwartest du noch Besuch?«
Daniel dachte kurz nach.
»Nein. Und ehrlich gesagt kann ich nach diesem Tag auch gut und gern darauf verzichten.«
Sein Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen. Er hatte noch nicht ausgesprochen, als es klingelte.
»Ich gehe schon.« Fee erhob sich, und Daniel sah ihr nach, wie sie das Zimmer durchquerte. In all den Jahren hatte ihr Gang nichts von seiner Geschmeidigkeit verloren. Er lehnte sich zurück und ließ die Gedanken zurückwandern in die Zeit, als die Zukunft noch vor ihnen gelegen hatte. Bilder blitzten in ihm auf. Fee mitten auf einer Sommerwiese, wie sie ihm Löwenzahnschirmchen ins Gesicht pustete. Bei einem großen Teller Spaghetti im ersten gemeinsamen Urlaub. Vor einem Schloss in der Pose der Schlossherrin persönlich.
»Dan!« Fees leise Stimme weckte ihn. Er musste kurz eingeschlafen sein. »Dan! Wir haben Besuch. Frau Wolter ist hier« raunte sie ihm zu.
Daniel zuckte zusammen. Es dauerte einen Moment, bis er zu sich kam.
»Aber die ist doch in der Klinik.« Er rieb sich die Augen und gähnte herzhaft.
»Ich meine ihre Tochter, Carina Wolter.«
Plötzlich kam Leben in ihn. Daniel folgte seiner Frau in den Flur.
»Frau Wolter, das ist ja eine Überraschung. Wir haben erst in ein paar Tagen mit Ihnen gerechnet.« Er nahm Carinas Hand. Sie war eiskalt.
»Mein Auftrag in Zürich ist überraschend geplatzt. Wissen Sie, ich bin Journalistin für die ›Kultur heute‹ und sollte die Premiere der großartigen Paola Wiesenstein für unsere Leser mitverfolgen«, erzählte Carina mit großer Geste. »Leider wurde die Ärmste bei einem Autounfall verletzt. Stellen Sie sich vor: Paola ist so geschockt von den Ereignissen, dass sie noch nicht einmal mit der Presse sprechen will. Sie hat ihre Fans sogar als ›Meute‹ bezeichnet.« Ihr Mitgefühl war echt. »Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, wie schlecht es ihr gehen muss.«
Nur mit Mühe konnte sich Daniel ein Lachen verkneifen. Es war ihm zu Ohren gekommen, was Dieter Fuchs zu den Journalisten gesagt hatte. Er kannte den Verwaltungsdirektor gut genug, um wissen, dass nur ein perfider Plan hinter dieser Aktion stecken konnte. Carina Wolters Worte bewiesen, dass Fuchs ein weiteres Mal gescheitert war.
»Kein Wunder, dass Frau Wiesenstein nach diesem Schrecken durcheinander ist. Zum Glück geht es ihr zumindest körperlich den Umständen entsprechend gut«, teilte er Carina mit. »Wie Ihrer Mutter im Übrigen auch.«
»Ach ja, meine Mutter!« An Anna erinnert, presste Carina die Hände auf das Herz. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin. Den ganzen Tag habe ich versucht, Mama zu erreichen.«
»Anna ist gestürzt und liegt mit einer Steißbeinverletzung in der Klinik.«
»Ich weiß. Ihre Frau hat mir gerade davon erzählt. Gleich morgen früh werde ich in die Klinik fahren. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, dass Sie sich um Paulchen gekümmert haben. Ach, ich bin noch ganz aufgeregt.«
Daniel