Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
erwartet, fand er Alexa Quadt am Bett ihres Sohnes in der Intensivstation.
Die lebenerhaltenden Geräte piepten, schnauften und stampften unaufhörlich vor sich hin, als wollten sie die Besucher in jedem Moment daran erinnern, dass hier ein Leben am seidenen Faden hing. Angesichts dieser Geräuschkulisse wunderte sich Danny nicht, dass Alexa sein Kommen nicht bemerkte.
»Frau Quadt?«, sprach er sie leise an.
Erschrocken zuckte sie zusammen und fuhr zu ihm herum. Beim Anblick des Arztes atmete sie aus.
»Ach, Sie sind es.« Ihre Augen kehrten zurück zu Leo. Unzählige Kabel führten in seinen Köper. »Sehen Sie ihn nur an!« Ihre Stimme war nur ein tonloses Flüstern. »Ich wage kaum, seine Hand zu halten aus Angst, einen dieser Schläuche zu berühren.«
»Keine Sorge. Die sind gut befestigt. Da passiert nicht so schnell etwas«, versuchte Danny Norden, sie zu beruhigen. »Kann ich Sie kurz sprechen, Frau Quadt?«
Sie wusste sofort, um was es ging, und folgte ihm nach draußen.
»Haben Sie die Ergebnisse?«
Er suchte ihren Blick und hielt ihn fest.
»Sie wissen, dass die Blutwerte von Leo und Ihnen völlig unterschiedlich sind«, sagte er ihr auf den Kopf zu. Wie ertappt wandte sich Alexa ab. Sie schlang die Arme um den Oberkörper und ging ein paar Schritte. »Wollen Sie mir nicht die Wahrheit sagen?«, verlangte Danny mit erhobener Stimme. Alexa Quadt stand ein Stück entfernt mit dem Rücken zu ihm und bewegte sich nicht. »Sie sind nicht Leos leibliche Mutter, nicht wahr?«, sagte er ihr auf den Kopf zu.
Nach einer gefühlten Ewigkeit drehte sich Alexandra endlich um. Sie wagte es nicht, Dr. Norden ins Gesicht zu sehen.
»Leos leibliche Mutter ist meine Schwester Nicole, aber er lebt schon immer bei mir«, gestand sie zögernd.
Dannys Beherrschung wurde auf eine harte Probe gestellt.
»Kann sie sich nicht selbst um ihr Kind kümmern?«
Alexa fuhr sich mit der Hand über die Augen. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
»Sie könnte es schon … zumindest glaube ich das. Wir haben seit Jahren keinen Kontakt mehr.«
»Wenn Sie Leo helfen wollen, müssen Sie sich mit ihr in Verbindung setzen. Wir müssen herausfinden, ob sie als Spenderin geeignet ist.«
Alexa begann, unruhig im Flur auf und ab zu gehen. Allmählich verlor Danny Norden die Geduld.
»Frau Quadt, wir haben nicht ewig Zeit!«, erinnerte er die Mutter scharf. »Jede Stunde, die wir verlieren, kann entscheidend sein.«
Ihre Augen schwammen in Tränen, als sie sich ihm wieder zuwandte.
»Das ist die gerechte Strafe«, stammelte sie. »Ich habe es nicht anders verdient.«
Danny verstand kein Wort. Er wusste nur eines.
»Es geht hier nicht um Sie. Es geht um Leos Leben!«
Alexa konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
»Aber ich kann meine Schwester nicht anrufen«, schluchzte sie auf. »Sie verstehen das nicht.«
Am liebsten hätte Danny sie gepackt und geschüttelt.
»Dann erklären Sie es mir!«, verlangte er energisch und reichte ihr ein Taschentuch.
Sie nahm es und betupfte sich die Wangen.
»Es … es … ich … ich kann nicht schwanger werden. Deshalb habe ich meine Schwester und meinen Mann damals zu einem Geschäft überredet.« Alexa zerknüllte das Taschentuch in der Hand. Sie brachte es nicht über sich, ihn anzusehen.
Wenn sie es getan hätte, hätte sie die Fassungslosigkeit in Dannys Augen gesehen. Er fühlte sich an einen schlechten Film erinnert. Die Einzelheiten wollte er sich und Alexa ersparen.
»Leo ist das Kind Ihrer Schwester und Ihres Mannes«, fragte er, um ganz sicher zu gehen.
Alexa Quadt nickte. Wieder rannen Tränen über ihre Wangen. Doch diesmal hielt sich Danny Nordens Mitgefühl in Grenze.
»Nach der Geburt wollte Nicole den Jungen doch nicht hergeben. Es kam zu einem schrecklichen Streit und sie ist verschwunden. Mein Mann hat sich kurz darauf von mir getrennt. Seitdem bin ich mit Leo allein.« Wieder wischte sie sich Tränen weg. »Er ist mein Sohn«, erklärte sie fast trotzig.
»Und Ihre Schwester?« Diese Frage konnte Danny der Mutter nicht ersparen.
Alexa schüttelte dem Kopf.
»Ich habe nichts mehr von ihr gehört oder gesehen. Dabei wohnt sie nicht weit entfernt.«
Zumindest diese Bemerkung war ein Lichtblick. Offenbar interessierte sich Alexa doch für das Leben ihrer Schwester, hatte nach ihr gesucht.
Diese Tatsache besänftigte Danny Norden ein wenig.
»Ich kann mir vorstellen, wie schwierig die Situation für Sie alle ist. Aber ich kann Ihnen nicht ersparen, wieder Kontakt aufzunehmen. Leo hat keine andere Chance. Sie sind es ihm schuldig. Und seiner Mutter«, redete er mit Engelszungen auf sie ein.
Im ersten Moment sah Alexa Quadt aus, als wollte sie ihm eine heftige Antwort entgegen schleudern. Doch dann verzichtete sie darauf. Sie wusste, dass Dr. Norden recht hatte.
*
Als Schwester Elena ins Büro kam, saß Dr. Weigand mit Leichenbittermiene am Schreibtisch und starrte missmutig vor sich hin.
»Hey, was ist denn mit dir passiert?« Sie blieb vor ihm stehen und sah ihn fragend an. Im nächsten Moment hob sie die Hände. »Nein, halt. Sag es nicht! Lass mich raten: Die Prinzessin hat nicht mehr geantwortet.«
Matthias machte gar nicht erst den Versuch zu leugnen.
»Seit drei Stunden nicht«, bestätigte er den Verdacht und griff nach dem Torso aus Plastik, der vor ihm auf dem Tisch stand. Es handelte sich um das Modell eines Oberkörpers. Zu Schulungszwecken konnte man die inneren Organe entfernen. Mit wenigen Handgriffen entfernte er das Herz der Puppe und wog es bedeutungsvoll in der Hand.
Elena lachte.
»Dich hat’s ja ganz schön erwischt. Reißt dem armen Kerl das Herz aus dem Leib.« Kopfschüttelnd nahm sie ihm Torso und Herznachbildung aus der Hand und setzte es wieder ein. »Findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?«
»Das hat sie noch nie gemacht. Maria ist absolut zuverlässig«, brummte Matthias unwillig.
»Seit wann schreibst du denn mit ihr?«
Verlegen zupfte er mit den Zähnen an der Unterlippe.
»Seit gestern.«
Um ein Haar hätte Elena laut herausgelacht. Ihrem Kollegen zuliebe verzichtete sie aber auf einen despektierlichen Kommentar.
»War nicht vorhin diese rothaarige Amazone bei dir? Wäre die nicht was für dich?«, erinnerte sie sich an den Notfall vom frühen Nachmittag.
Matthias ahnte sofort, worauf sie hinauswollte.
»Nein, danke! Sie ist zwar nicht halb so schlimm, wie ich zuerst dachte. Aber diese Selfmade-Frauen sind einfach nichts für mich.« Mit zusammengekniffenen Augen sah er Elena dabei zu, wie sie Verbandmaterial aus einem Schrank holte. »Wirst du eigentlich für Kuppelei bezahlt?«
»Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich kümmere mich lediglich um dein Seelenheil. Seit du dich im Internet herum treibst, hat dein Realitätssinn schwer gelitten.« Elena versetzte der Schranktür einen Stoß mit dem Fuß. Krachend fiel sie ins Schloss. »Denk mal darüber nach!«, empfahl sie noch, ehe sie das Büro verließ.
»Unsinn!«, rief Matthias ihr nach und wog das Plastikherz in der Hand, das er schon wieder aus dem Torso genommen hatte.
*
Danny Norden nutzte die Wartezeit, um mit seiner Freundin