Jan und die Leopardenmenschen. Carlo Andersen

Jan und die Leopardenmenschen - Carlo Andersen


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Rede davon, daß diese ehemaligen Kolonien unabhängig werden sollen. Ich glaube, England trifft bereits die Vorbereitungen dazu.»

      Smith nickte. «Ja, schon seit mehreren Jahren wird darüber verhandelt. England gibt damit ein gutes und nachahmenswertes Beispiel. Sicher werden nun nach und nach viele Kolonien ihre Unabhängigkeit erlangen. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Eingeborenen die dafür erforderliche Reife erlangt haben, um sich selber regieren zu können. Der Schritt Englands ist wirklich anerkennenswert, aber er ist auch riskantb. In künftigen Geographiebüchern werden die Schüler nicht mehr von der ‹Goldküste› oder ‹Englisch-Guinea› lesen, sondern nur noch vom freien Negerstaat Ghana.»

      Erling seufzte bekümmert. «Es wäre sicher interessant gewesen, sich diese Städte etwas näher anzusehen, besonders Christiansborg, das sich bestimmt seit der dänischen Zeit nicht viel verändert hat. Nun, elektrischen Strom und solche modernen Einrichtungen werden sie ja inzwischen haben, aber Zentralheizung werden sie wohl kaum brauchen.»

      «Ja», lachte Ingenieur Smith, «für die notwendige Wärme sorgt die Natur hier selbst.» Er stöhnte dabei ein wenig und wischte sich mit dem Handtuch über die verschwitzte Stirn. «Es ist ja wirklich traurig, daß du die Goldküste nicht sehen wirst, Erling. Aber wie gesagt, es wäre kein erfrischendes Erlebnis geworden.»

      Erling hob die Schultern und machte eine etwas matte Handbewegung. «Vergessen wir es. Wenn wir uns die Goldküste verkneifen, kommen wir dafür um so schneller zum Kongo ... und da werden wir uns bestimmt nicht langweilen. Stimmt’s?»

      «Kaum», räumte der Ingenieur ein. «Im Kongo finden wir etwas für jeden Geschmack ... hm ... außer Kühle natürlich.»

      «Puh», stöhnten die Jungen im Chor.

      Die Reise wurde fortgesetzt ...

      Am südlichsten Punkt Liberias nahm die ‹Flying Star› Abschied von der afrikanischen Küste, die man bis dahin deutlich am Horizont sehen konnte. Hier begann sie ihre Fahrt quer durch den riesigen Golf von Guinea. Kein Windhauch regte sich über dem Wasser, und manchmal wünschten sich die Jungen fast einen kleinen Orkan, der zumindest ein wenig Erfrischung gebracht hätte. Die Planken glühten in der Sonne und brannten wie Feuer unter den Füßen, wenn man über Deck ging. Die meiste Zeit verbrachten sie in dem bißchen Schatten, den sie auf dem Schiff finden konnten. Auch der Appetit der Mannschaft ließ zu wünschen übrig. Selbst der dem Essen sonst nie abgeneigte Peter Nielsen begnügte sich mit Eiswasser und Zitronensaft. Jesper hatte Auftrag, dieses Getränk zu brauen; er stellte ungeahnte Mengen davon her.

      Erling versuchte Jan immer wieder von seinen traurigen Gedanken abzulenken und begann ihm ausführlich von der abenteuerlichen Reise zu erzählen, die Ingenieur Smith seinerzeit in diese Gewässer geführt hatte. Hier hatte Smith auch seine jetzige Frau kennengelernt. Jan hörte scheinbar interessiert zu, aber Erling war sich darüber im klaren, daß es nach wie vor eines außergewöhnlichen Ereignisses bedurfte, um den Freund so abzulenken, daß er wieder ganz der heitere Kamerad wurde, der er sonst immer war.

      Eines Abends sagte Ingenieur Smith: «Wenn wir diese Geschwindigkeit beibehalten und nichts Unvorhergesehenes passiert, werden wir morgen früh gegen fünf Uhr den Äquator passieren. Wir müssen zu diesem Zweck natürlich einiges arrangieren. Die große Gummibadewanne werden wir auf Deck aufstellen, damit wir alle Grünschnäbel, die noch nie in dieser Gegend waren, richtiggehend taufen können. Wie viele Täuflinge haben wir denn eigentlich?»

      Es stellte sich heraus, daß fünf Täuflinge die Zeremonie über sich ergehen lassen mußten. Jan, Erling, Jesper, Jack und der kleine Yan Loo waren noch nie über die ‹Linie› gefahren, wie es in der Seemannssprache heißt. Peter Nielsen grinste verschmitzt, als er sagte: «Na, ihr fünf, dann sollt ihr es mal zu spüren bekommen!»

      «Was zu spüren bekommen?» stammelte Jesper und machte ein betroffenes Gesicht. «Was passiert denn eigentlich?»

      Peter zog die Schultern ein wenig hoch. «Tja, was soll da passieren? Immer wenn man über den Äquator fährt, stellt sich heraus, ob man richtige Männer an Bord hat. Deshalb unterzieht man sie einer Probe. Zuerst werden sie in einem Becken ‹getauft›. Dabei drückt man ihnen den Kopf unters Wasser, bis sie ohnmächtig werden ...»

      «Oh», stöhnte Jesper entsetzt.

      Peter grinste durchtrieben. «Nun, das ist also die erste und natürlich auch leichteste Prüfung. Meist kommt der Ohnmächtige ziemlich schnell wieder zu sich ... in der Regel sterben höchstens zehn Prozent dabei ... aber es wird gleich etwas schwerer, wenn er auf der Planke gehen muß.»

      «Auf der Planke gehen?» murmelte Jesper und begann am ganzen Körper zu zittern. «Was ist denn das?»

      «Tja, das ist eigentlich ein alter Seeräuberbrauch, mit dem man sich schon seit Jahrhunderten vergnügt. Über die Reling wird eine dicke Planke gelegt, und dann muß das Opfer mit verbundenen Augen über die Planke gehen, bis es hinunterfällt ...»

      Der kleine Jesper wurde leichenblaß. Er zuckte auf seinem Stuhl zusammen und begann vor lauter Angst zu stottern. «Ja ... aber, ja ... aber das Meer ist doch voller Haie!»

      Der unverbesserliche Peter nickte. «Das ist ja gerade das Spannende daran. Du brauchst nicht so zu erschrecken, Krümelchen, die meisten Opfer kommen ganz gut dabei weg.»

      «Nicht alle?»

      «Nee, so genau weiß ich das jetzt nicht, dafür müßte ich mir extra Unterlagen kommen lassen, aber ich glaube, man rechnet mit einer Sterblichkeit von etwa fünfundzwanzig Prozent ... und das ist doch schon ganz nett. Wenn du den Rettungsring erwischst, den wir dir nachwerfen werden, dann sollte die Gefahr für dich nicht allzu groß sein.»

      Während alle anderen sich bemühten, nicht laut zu lachen, saß Jesper steif vor Angst auf seinem Stuhl. Er war gewiß kein Dummer, aber anfangs glaubte er alle Geschichten, die ihm aufgetischt wurden. Erst wenn er genauer darüber nachdachte, kam er dahinter und konnte sich dann mit seinen Freunden köstlich darüber amüsieren.

      Erling begann zu protestieren. «Das Ganze klingt ja sehr lustig, und sicher macht es Spaß, aber muß es denn ausgerechnet um fünf Uhr morgens sein? Können wir nicht etwas langsamer fahren?»

      «Nein, aber wir könnten ja den Äquator ein wenig verlegen», meinte Peter Nielsen grinsend. «Das wäre natürlich das Richtige für die Schlafmützen, die sich gern drücken möchten.»

      Erling seufzte tief. «Na schön. Jaja, ich werde schon pünktlich sein. Und Frühstück werdet ihr auch haben wollen, bevor der Spaß beginnt?»

      «Nein, nein, auf gar keinen Fall, das ist sehr unpraktisch, Erling. Wenn du mit dem Frühstück bis nach der Taufe wartest, hast du es unter Umständen viel einfacher.»

      «Wieso das?»

      «Na, falls einige es nicht schaffen, dann brauchst du weniger Portionen anzurichten. Und wenn du selbst ...»

      Erling nickte zustimmend und blieb ganz ernst. «Freilich, Peter, da hast du ganz recht. Du denkst aber auch an alles. Man muß immer darauf bedacht sein, daß man sich Arbeit spart, dann kommt man hier im Leben voran.»

      «Ja», entgegnete Peter Nielsen düster, «oder man kommt gar nicht erst mit dem Leben davon. – Aber jetzt wird es Zeit, Jungen, daß ihr die Badewanne bringt, sonst habt ihr morgen früh zu viel zu tun. Die Taufe findet pünktlich um fünf Uhr statt.»

      Die Jungen hatten ihre Mühe mit der zusammenlegbaren Wanne, die zwischen den beiden Kajüten aufgestellt und mit Hilfe der elektrischen Pumpe mit Meerwasser gefüllt werden mußte.

      Inzwischen war Peter Nielsen damit beschäftigt, treibenden Tang aus dem Wasser zu fischen. Er hatte es sich als passendes Attribut für seine Rolle als Neptun vorgestellt; den getrockneten Tang wollte er als rauschenden Bart benutzen. Hie und da schielte Jesper zu ihm herüber, und anschließend ließ er seine Blicke über das Meer schweifen, um festzustellen, ob Haifischfinnen zu sehen seien.

      Und tatsächlich, er entdeckte welche. Aber da geschah etwas Merkwürdiges: der kleine Jesper wandte sich ab, so daß die anderen es nicht sehen konnten.


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