Operation Führerhauptquartier. Will Berthold

Operation Führerhauptquartier - Will Berthold


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      Will Berthold

      Operation Führerhauptquartier

      Saga Egmont

      Operation Führerhauptquartier

      Operation Führerhauptquartier (Das doppelte Gesicht)

      Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass

      represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

      Originally published 1979 by Blanvalet Verlag, Germany

      Copyright © 1979, 2017 Will Berthold Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711727256

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Ein Tief aus Westen hatte den Wetterbericht überrundet und sich so rasch über München entladen, daß keine Zeit geblieben war, Schneeketten aufzuziehen. Der fliegerblaue Kübelwagen brach auf der vereisten Straße nach rechts aus. Ein Obergefreiter am Steuer, ein Reservist, fing ihn geschickt ab und verfluchte stumm diesen Dezembertag, der so lustlos und verlebt wirkte wie eine alte Nutte, die ihre Beine nicht mehr auseinanderbringt.

      Er verwünschte seinen gemütlichen Druckposten beim Fliegerhorst Schleißheim, während er über schneeglatte Straßen rutschte, um diesen verrückten Hauptmann am Bahnhof abzuliefern. Der Offizier hatte sich mit einer französischen Beutemaschine, der Leihgabe des Puma-Geschwaders, verfranzt und war mit dem letzten Sprit mitten aus der Waschküche auf dem Flughafen Schleißheim gelandet, ohne einen Bruch zu bauen oder auf der dichtbesetzten Piste auch nur einen Rammschaden zu verschulden.

      Man hatte den unerwarteten Gast rasch und feucht gefeiert und den Fronturlauberzug nach Wien aufgehalten, schließlich hing das Bild des Mannes, der als Hauptmann Fabian auftrat, zur Zeit an allen Litfaßsäulen und Zeitungsständen.

      Der Wagen kam wieder ins Schleudern, drehte sich ein paarmal um die eigene Achse, rutschte dann zwischen einer wild bimmelnden Straßenbahn und einem abgestellten Lastauto hindurch. Es sah aus wie gekonnte Maßarbeit und war doch schierer Zufall, und der Obergefreite am Steuer fletschte die Zähne und betrachtete angewidert seinen Fahrgast, einen dieser verdammten Typen, die im Krieg nicht alt werden, aber vor ihrem Heldentod noch eine Menge Unfug anstellen. Kein Vergleich mit den Offizieren der Horstkommandantur, mit denen er sich duzte, solange sie betrunken waren, und Zigaretten als Schweigegeld kassierte, wenn sie es mit des Nächsten Weib – oder dem nächstbesten – getrieben hatten.

      Endlich bogen sie zum Hauptbahnhof ein. Zwei Polizisten wollten den Kübelwagen aufhalten und sprangen im letzten Moment beiseite. Sie sahen das Ritterkreuz in Kragenausschnitt des Hauptmanns, und das war schon die halbe Erlaubnis, den abgesperrten Bereich zu befahren.

      »Sie kommen schneller voran, wenn Sie aussteigen«, sagte der Fahrer, aber der Offizier ließ sich nicht ansprechen. Sein Hirn mußte so leer sein wie die Schampusflaschen, die von den Fliegerhorstoffizieren aufgemacht worden waren, um die außerplanmäßige Landung dieses Lufthelden zu feiern.

      Die Passanten bildeten eine lebende Mauer. Sie saßen auf Schachteln und Koffern, Soldaten, Arbeiter, Frauen und Schüler. Nichts aus ihrem Verhalten ließ darauf schließen, daß es auf die dritte Kriegsweihnacht zuging. Überall waren Plakate angeschlagen mit einem schwarzen Mann und darunter stand: »Achtung! Feind hört mit!« Aber der Feind konnte nicht mithören, denn die Menschen waren viel zu apathisch, um miteinander zu sprechen.

      Der Kübelwagen mußte sich langsam durchpflügen. Dann blockierten Elektrokarren den Weg. Der Hauptmann nutzte die Zwangspause, um die hübsche Nachrichtenhelferin mit den schlanken, überlangen Beinen zu betrachten: sie hatte eine schmale Taille, aggressive Rundungen, ein pikantes Gesicht mit fast violetten Augen. Unter ihrem Käppi quollen dichte Strähnen rotblonder Haare hervor, sie war auch für einen Eiligen noch eine aufreizende Impression, wenn auch nur ein schwacher Abklatsch von Linda.

      Sie bemerkte, daß sie mit den Augen ausgezogen wurde, und wartete, bis der Offizier damit fertig war. »Bedient, Herr Hauptmann?« fragte sie schnippisch und sah in sein Gesicht, in dem sich die ledrige Haut hart über den Backenknochen spannte. Sie betrachtete die schräg zueinander stehenden Augen, die mehr grau als blau waren. Einen Moment lang wirkte sie eher nachdenklich als verärgert; so lange überlegte sie, woher sie den Fliegeroffizier kannte. Auf einmal wußte sie, daß er der Mann sein mußte, der die Engländer überlistet, die Kanadier überrannt und die Amerikaner ausgetrickst hatte und über die halbe Welt wieder heim ins Reich gekommen war. »Ach, Sie sind das?« fragte sie. »Sie sind Hauptmann Fabian!«

      »Ganz recht, schöne Maid«, erwiderte der Offizier lachend. »Aber«, er legte den Zeigefinger auf die Lippen, »pst!«

      Der Wagen fuhr wieder an. Der Hauptmann schob sich die Mütze ins Gesicht, um nicht abermals erkannt zu werden. Die Propaganda hatte ihn seit Tagen zu einem Titanen hochstilisiert, der den verweichlichten Plutokraten gezeigt hatte, wie schon ein einziger dieser schneidigen Draufgänger mit ihnen fertig wird.

      Wo der Hauptmann auftauchte, wurde er von Neugierigen und Bewunderern umringt. Manche wollten ein Autogramm, vergeblich. Sooft sich die Gaffer stauten wie bei einem Verkehrsunfall, beging er Fahrerflucht.

      Der Wagen rollte am Bahnsteig 17 entlang, auf einen Feldwebel zu, der schon von weitem winkte. »Zweites Abteil, Herr Hauptmann«, meldete er zackig und drehte sich zum Fahrdienstleiter um. »Lassen Sie den Zug jetzt abfahren.«

      Fabian sprang elastisch am Trittbrett des überfüllten D-Zuges Salzburg-Wien-Belgrad hoch. Er hatte nur eine kleine Aktentasche bei sich. Er ging über den Gang, öffnete die Abteiltüre.

      Ein Zivilist saß in der linken Ecke und las die »Münchener Neuesten Nachrichten«. Eine lange Odyssee hatte dem Hauptmann beigebracht, seine Umgebung aufmerksam zu beobachten. Der Mann war mittelalt, mittelgroß und mittelgrau. Grau waren selbst die kurzgeschnittenen Haare, die seine Stirnglatze umsäumten, und der Schnurrbart auf der Oberlippe. Er wirkte jovial und durchschnittlich, aber es änderte nichts daran, daß der Herr in Grau nichts in diesem Offiziersabteil zu suchen hatte.

      Der Hauptmann schnallte sein Koppel mit der Pistole ab und hängte es über seinem Lederpaletot an den Haken. Dann fläzte er sich bequem in die Polster. Behagliche Wärme sprudelte in das Coupé. Man hatte ihn auf Unempfindlichkeit gegen Hitze und Kälte trainiert, aber die Wärme tat ihm gut. Er sah auf die Uhr. Nur noch drei Stunden bis zum einsamen Höhepunkt seines Lebens, den der Ranghöchste seines Vereins etwas bombastisch als »den größten Auftrag der Geschichte in diesem Jahrhundert« bezeichnet hatte.

      Fabian schloß die Augen, er brachte es fertig, in dieser Situation einzudösen. Und Linda schlüpfte ins Abteil. Die Illusion war so täuschend, daß er ihre Haut roch und den Duft ihrer Haare, daß er ihre Nähe witterte wie eine Versuchung, übermächtig und drängend, am falschen Ort und zur Unzeit.

      Aber wann hätte er je danach gefragt und wann wäre er je Linda unter anderen Umständen begegnet, dieser Amerikanerin mit den rotbraunen Haaren, den hellgrünen Augen, die er bei seinem ersten Zusammentreffen hemmungslos, intelligent, sinnlich und abgebrüht genannt hatte, die alles zu sein schien, was ein Mann liebte und anfaßte, bezwang und erduldete, Hexe, Heilige und Hetäre. Sein Atem ging schneller. Er spürte das Verlangen wie eine Stichflamme, eine Kraft, die sich potenzierte, alles auslöschend und überwuchernd, explosiv und unaufhaltsam – und dann merkte er, daß er einen Voyeur hatte.

      Als der Hauptmann spürte, daß ihn der Zivilist angestarrt hatte, war er einen Moment lang benommen. Und dann sofort hellwach, gespannt und aggressiv.

      »Sie


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