Aus Kroatien. Arthur Achleitner
Tonidandel bewohnte ein kleines, einstöckiges, verwahrlostes Haus im oberen Teile des Städtchens S., bestehend aus drei engen und niederen Zimmern, einer finsteren Küche und einer Vorratskammer. Zu dem Häuschen, daß Attilius spöttisch nach kroatischem Brauch „curia nobilis“ nannte, gehörte ein Küchengarten, der sich bergan dehnte, etwas Gemüse und völlig verwilderte Kartoffelstauden enthielt. Vor Jahrzehnten mochten die Wohnzimmer das letztemal weiß getüncht, der Fußboden mit Holz belegt worden sein. Jetzt waren die Dielen vermorscht; in den feuchten Ecken gedieh der Hausschwamm. Doch der Fußboden war nach Brauch und Vorschrift mit weißlichgelbem Sand bestreut, der unter jedem Schritt knirschte. Dem Himmel allein konnte bekannt sein, von wo und von wem die Möbel stammten; der runde, schlecht polierte Tisch, die uralten, mit geschossenem Wollstoff überzogenen Stühle, ein blinder Spiegel in wurmstichigem Holzrahmen, ein gräßlich geschweiftes, mit Stroh gefülltes Sofa und davor ein ausgefranster Teppich.
Im engen Raume, den Tonidandel „Speisesaal“ nannte, befand sich das einzige gediegene Möbel des Hauses: ein Auszugtisch. Dazu sechs wackelige Stühle, eine Kredenz mit Gläsern, Geschirr von Steingut und Zinn.
In diesem, von vier Unschlittkerzen „feenhaft“ erleuchteten „Saale“ erwartete Tonidandel, vor dem „herrschaftlich“ mit einem Linnen gedeckten Auszugtische stehend, seinen Gast Pegan. Durch das Häuschen zog der verlockende Duft einer gebratenen Gans.
Als auch Tonidandel diesen Duft in die knotige Nase bekam, öffnete er nicht nur die Fenster des „Speisesaales“, sondern auch die Haustüre, um den Bratenduft möglichst rasch entweichen zu lassen.
Bis zur Ankunft Pegans war jeder verräterische Duft verflüchtigt, aber dafür qualmten im Speisezimmer die zu Stumpen herabgebrannten Unschlittkerzen, die der Offiziersdiener schleunigst erneuern mußte.
Kurz fiel die Begrüßung des Gastes aus. Tonidandel verwies auf die
Notwendigkeit einer späteren Verabreichung des „Bilikum“ (Willkommtrunkes), so der Starešina gekommen sein werde. „Weißt, lieber Bruder, für uns beide ist jetzt die Hauptsache, daß wir uns mit Gansbraten satt essen, und zwar vor der Ankunft des Bürgermeisters und vor dem dienstlichen Erdäpfeldiner!“
„Capsico!“ rief Hauptmann Pegan mit seiner fetten Stimme. Die knusperig gebratene und von der Köchin gut zerteilte Gans wurde aufgetragen. Der Diener füllte dann die großen, unförmlichen Gläser mit fast schwefelgelbem, doch vorzüglichem kroatischem Weine und verschwand auf einen Wink Tonidandels. So schnell verzehrten die Offiziere die „ärarische“ Gans, als stünde in der nächsten Viertelstunde Alarm und Abmarsch des Bataillons bevor. Tonidandel war überhaupt ein Schnellesser und rasch gesättigt; Pegan hingegen gehorchte lediglich dem Drängen des Kameraden, kaute kaum und verschlang die Brocken. Der Diener wurde gerufen und mußte rasch abtragen, hernach lüften und die Kerzen mit der Scheere putzen.
„Hinaus!“ befahl der Gebieter, der nun die vorhanglosen Fenster schloß.
„Ich muß sagen, lieber Bruder, daß mir dieses Essen im Eilmarschtempo wahrscheinlich nicht gut bekommen wird!“
„Weiß schon, worauf du anspielst! Mußt aber auf den — Slibowitz warten! Nimm einen kräftigen Schluck vom Weine! Und behalte im Gedächtnis. Kein
Ton darf verraten werden, daß wir soeben auf Regimentsunkosten eine Gans verzehrt haben!“
„Sehr wohl, Herr Chef! Die Sache wird immer mysteriöser!“
„Im Laufe des Abends wird dir alles klar werden!“
Auf die Minute genau erschien der Starešina im Hause. Ein hochgewachsener Likaner, breitschulterig, helläugig, gutmütig. Wenn die blonden Haare nicht überlang gewesen wären, hätte man diesen Südslaven für einen Deutschen halten können. Unbegrenzten Respekt vor der Militärmacht verriet sein unterwürfiges, demütiges Verhalten. Der Vorsteher, seines Zeichens ein Schmiedmeister, faßte die ihm gewordene Einladung nicht als besondere Ehre und Auszeichnung auf; er schien zu glauben, daß er befohlen war, zu ungewöhnlicher Stunde einen außerordentlichen und unangenehmen Befehl des Stadtkommandanten entgegenzunehmen. Ängstlich begrüßte er die Offiziere; unterwürfig fragte er in schlecht verständlichem Deutsch nach den Befehlen und Wünschen des Herrn Kommandanten.
Tonidandel beruhigte den Vorsteher sogleich mit dem Hinweise, daß es sich tatsächlich um eine Einladung, nicht um eine militärdienstliche Angelegenheit handle. „Ich feiere nämlich heute meinen Namenstag und will an meinem freilich mager bestellten Tische liebe Gäste haben! Meinen Freund und Kameraden Herrn Hauptmann Pegan und den Starešina!“
Der Vorsteher richtete sich überrascht auf und warf einen forschenden Blick auf den Gebieter. „Zu viel der hohen Ehre! Ich nicht wissen, gnädiger Herr, wie ich kommen dazu!“ Mit überschwenglicher Höflichkeit stammelte der Schmiedmeister seine Glückwünsche zum Namensfeste, wobei er beteuerte, bis zur Stunde nicht gewußt zu haben, daß der Herr Kommandant den Taufnamen „Raphael“ führe.
Hauptmann Pegan platzte heraus. „Hab' ich auch nicht gewußt!“
„Das ist nebensächlich! Nun wollen wir dem Starešina das ‚Bilikum‘ reichen!“ Tonidandel füllte einen Pokal mit Wein, hielt eine kleine Ansprache an den Gast, der sich so wohl fühlen möge im Hause wie im eigenen Heim, und reichte dann dem Pokal dem Vorsteher, der aufrecht stehend den Willkommspruch angehört hatte, sich nun verbeugte, den Pokal entgegennahm, einen Segenspruch für den Hausherrn feierlich sprach und den Pokal auf einen Zug leerte.
Die Offiziere leerten ihre gefüllten Gläser gleichfalls bis zur Nagelprobe.
„Und nun zu Tisch!“
Während die Herren sich setzten, trug der Diener eine Schüssel voll Kartoffeln herein.
Trotz der großen Befangenheit richtete der Likaner einen neugierigen und forschenden Blick auf den Inhalt der Schüssel. Und dabei rutschte ihm die Frage heraus: „Što je to?“ (Was ist das?) Tonidandel füllte den Teller des Vorstehers mit Kartoffeln und sprach schmunzelnd. „Erst essen! Die Erklärung wird alsbald folgen! Greif zu, Herr Hauptmann!“
Die Offiziere nahmen aus der Schüssel, doch nur je eine Kartoffel und aßen mit gut geheuchelten Appetit.
Zögernd griff der Starešina zu, beguckte das ihm fremde Gericht, stocherte daran und schnupperte vorsichtig. Da er sah' daß die Offiziere das seltsame Zeug wirklich verzehrten, gewann der Vorgesteher doch so viel Vertrauen, ein Stück davon in den breiten Mund zu schieben.
„Was wir da essen, sind Erdäpfel, Krompir, lieber Starešina! Erdäpfel, was wachsen in unserem Küchengarten! Wirklich Erdäpfel, die aber die Graničari[2] nicht essen wollen!“
Der Vorsteher hatte rasend schnell eine zweite Kartoffel gegessen und rief geradezu frohlockend. „To je guska! Das ist Gans! Schmecken nach Gansbraten sehr gut! Prozim! (Ich bitte!) Darf ich noch mehr davon essen?“
Der Kommandant erwiderte lachend. „Nur zu! Alles dürfen Sie essen! Bis Ihnen die Ohren stauben! Der Starešina soll sich ja überzeugen, daß die Erdäpfel wirklich sehr gut schmecken!
Für die Lika mit ihrer häufigen Hungersnot wird es ein Segen sein, wenn der Anbau der ausgezeichneten Erdäpfel allgemein durchgeführt wird!“
Gierig verzehrte der Vorsteher die Kartoffeln. Schmatzend wie ein Fischotter beim Fischfraß. Dann aber hielt er inne und sprach. „Bitt ich schönstens, Herr Kapetan! Seltsam find' ich, daß schmecken dieser Erdapfel so stark nach Gans! Wahrhaftig wie gebratene Gans! Schmecken jeder Erdapfel so?!“
Dem Hauptmann Pegan ging ein Licht auf; ein Lächeln umspielte seine
Lippen.
Völlig ernsthaft und im Tone der Belehrung erwiderte der Kommandant: „Es gibt drei verschiedene Sorten von Erdäpfeln, lieber Starešina! Eine Sorte heißt ‚Schneeflocken‘, weil dieser Erdapfel weiß und mehlig ist wie Schnee! Eine andere Sorte heißt ‚Rosenkartoffel‘ von wegen der rosaroten Farbe! Was Sie eben gegessen haben, ist der ‚Gänse-Erdapfel‘, weil er nach Gänsebraten schmeckt! Ganz so, wie