Die Klasse. Hermann Ungar

Die Klasse - Hermann  Ungar


Скачать книгу
gleichsam auf einen Zweck vorbereitet und beängstigend.

      Sie traten in eine holzgetäfelte halbdunkle Halle. Josef Blau setzte sich in einen geschnitzten Stuhl mit dem Rücken gegen das Fenster. Es war gut, daß der Raum dunkel war. Es war leichter, im Dunkeln zu sprechen. Josef Blau sah sich im Zimmer um. Er erkannte ausgestopfte Tierköpfe und und Waffen an den Wänden. Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch.

      »Du hast gelesen?« fragte Josef Blau.

      »Ein lächerliches Buch, soweit mir ein Urteil zusteht«, erwiderte Modlizki. »Es will Gerechtigkeit und allgemeine Gleichheit einführen.«

      »Warum lächerlich?« fragte Josef Blau. »Warum setzt du dich nicht, Modlizki?«

      Modlizki verneigte sich. Er setzte sich in angemessener Entfernung auf die Kante eines freistehenden Stuhles. Er saß aufrecht, den Rücken nicht angelehnt.

      »Ich bin es, der bei dir zu Gast ist«, sagte Josef Blau, »wozu diese Förmlichkeit?«

      »Ich bin mir bewußt, welche Auszeichnung ich erfahre.« Seine Stimme war gleichmäßig und tief. Kein höhnischer Beiklang färbte sie scharf.

      »O Gott!« sagte Josef Blau. Er sah Modlizki an. Modlizkis Gesicht war ruhig und ernst. Modlizki schwieg.

      »Warum lächerlich?« fragte Josef Blau von neuem.

      »Damit ist nicht geholfen, meine ich.«

      »Man soll es lassen wie es ist?«

      »Es ist nicht das Wichtigste, meine ich.«

      »Das Wichtigste wäre?«

      »Wenn sie meinem Herrn alles weggenommen haben und sein Gut verteilt, bleibt er ein Herr. Ein Herr, dem man alles weggenommen hat.«

      »Ich verstehe dich nicht.«

      »Ich bin nicht befähigt, es auszudrücken.«

      »Sprich, sprich, Modlizki!«

      »Nun, daß man ihnen die Güter nimmt, meine ich, darauf kommt es nicht an. Vielleicht müßte man verhindern, daß sie ihre Fingernägel pflegen, die Wäsche wechseln, Klavier spielen und den Damen die Hände küssen zum Beispiel. Wenn ich Revolution machen wollte, das wäre meine Revolution, meine ich. Vielleicht, daß es unnütz ist, das Hab und Gut zu enteignen, solange das bleibt, das ganze Getue, was sie als Anstand bezeichnen, die Gesittung, die feinen Formen, die alten Bilder und so. Diese Dinge unterscheiden sie. Sie werden für höhere gehalten.«

      Josef Blau dachte an die weiße Göttin im Garten. Er hörte Modlizkis tiefe verhaltene Stimme.

      »Du nimmst daran teil«, sagte er. »Du bist nicht ausgeschlossen.«

      »Mein Vater stand auf einer Leiter, als er beim Diebstahl ertappt wurde«, sagte Modlizki. »Er stürzte zu Boden und starb. Ich habe von Jugend an Frostbeulen an den Füßen. Ich will es nicht vergessen.«

      »Niemand kann es vergessen«, sagte Josef Blau leise. Modlizki blickte geradeaus vor sich hin. Nach einer kleinen Pause sprach er weiter.

      »Ich vermesse mich vielleicht nicht, wenn ich sage, daß ich ein guter Diener bin.« Er schien angestrengt nachzudenken. Josef Blau dachte daran, daß Modlizki das Haus der Eheleute Colbert, die sich seiner angenommen und ihn halb als Pflegekind, halb als Diener gehalten hatten, hatte verlassen müssen, da er sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, was den Sitten eines vornehmen Hauses zuwider war. Niemand hatte es von Modlizki erwartet. Modlizki setzte fort, als hätte er Josef Blaus Gedanken mit gedacht.

      »Ich verstehe es, geräuschlos zu servieren. Mir ist der Ort jedes Kleidungsstückes und der Anlaß, zu dem es getragen wird, bekannt. Es ist mir bekannt, welche Bestecke aufgelegt und aus welchen Gläsern die verschiedenen Getränke genossen werden. Der Wein wird verläßlich gehalten. Ich bin anwesend, wenn die Dame abends Klavier spielt. Ich höre, aber ich höre gewissermaßen nicht zu. Die Herrschaften hören zu und schwärmen. Ich bin Diener. Ich bitte mir aus, daß man von mir verlangt, daß ich mit schwärme.«

      Modlizki erhob sich. »Dieses lehne ich ab. Meine Anwesenheit bei Klavierspiel, Gespräch, Mahlzeit und Reise ist beruflich. Ich lehne eine persönliche Teilnahme ab. Es war mir nicht gegeben, es Herrn Colbert anders begreiflich zu machen als dadurch, daß ich meinen Schließmuskeln ihre Freiheit gewährte, während die Mahlzeit vollzogen wurde. Wenn verlangt wird, daß ich aufhöre, Diener zu sein, bekenne ich mich zu meinem Vater. Herr Colbert hatte das rechte Gefühl, meine ich, wenn er mein Betragen als den Hauch des Umsturzes bezeichnete.«

      Modlizki stand vor Josef Blau und sah ihn starr an.

      Hat er nicht recht, dachte Josef Blau? Vor Blau saßen die Knaben, wohlgenährt, mit gepflegten Händen, das überhebliche Lächeln wohlhabenden Selbstvertrauens um die Lippen. Das konnte man nicht enteignen.

      »Du kennst den Schüler Karpel«, sagte Josef Blau. Er blickte zu Boden.

      »Der junge Herr wohnt einige Häuser von hier entfernt in dieser Straße. Ich werde durch sein Vertrauen ausgezeichnet.«

      »Er ist mein Schüler.«

      »Es ist mir bekannt. Er nannte den Namen. Ich verstand, daß es meine Stellung nicht gestattete, darauf hinzuweisen, daß ich bisweilen durch den Besuch seines Lehrers geehrt werde.«

      »Was tut er?« fragte Josef Blau. »Was will er?«

      »Der junge Herr ist reif für sein Alter. Er liebt es, die Frauenhäuser in der Kasernengasse aufzusuchen. Ich hatte mehrmals die Auszeichnung, ihn zu führen.«

      Es war gut, daß kein Licht brannte. Josef Blau fühlte die Hitze des Blutes, das ihm in die Wangen drang. Was war das? Also sprach Modlizki davon, mit ruhiger Stimme, ohne Scham? Es bestätigt sich alles, dachte Josef Blau, es bestätigt sich alles.

      »Ihn zu fuhren . . .« wiederholte er laut.

      »Ich werde nicht für Gefühle bezahlt und gehalten. Ich erfülle Wünsche. Auch unausgesprochene. Ich bin nicht da, vor sittlichen Gefahren zu bewahren.«

      Josef Blau war es, als habe Modlizki diesen Satz betonter ausgesprochen, um einen Ton schärfer als das andere. Er haßt den Schüler dachte er. »Modlizki«, rief er und hob die Hand, als bereite er sich vor, sie nach dem andern auszustrecken. »Wir sind miteinander . . .«

      »Ich will das Licht andrehen«, sagte Modlizki.

      Josef Blau wehrte mit der Hand ab.

      Er neigte den Kopf gegen die Brust.

      »Der Schulausflug steht bevor«, sagte er leise. »Sind Vorbereitungen im Gange?«

      »Vorbereitungen?«

      »Vorbereitungen gegen mich. Sie hassen mich. Es ist kein Zweifel.«

      »Es ist mir nichts bekannt«, sagte Modlizki.

      »Nichts bekannt, für den Ausflug? Und sonst? Du weißt es!«

      »Ich werde es wissen«, erwiderte Modlizki.

      Ein Glockenzeichen ertönte.

      »Der Herr Rat sind vom Schlaf erwacht«, sagte Modlizki. »Der Herr Rat spielen Ping-Pong nach dem Schlafen, sich zu erfrischen.«

      Josef Blau reichte Modlizki die Hand.

      »Du spielst mit ihm?«

      »Ich spiele nicht. Herr Rat benützen mich als Gegenüber.« Die Tür sprang surrend vor Josef Blau aus dem Schloß. Es war sechs Uhr abends. Die Straße war dunkel. Erst an der Ecke der Hauptstraße brannte eine Laterne.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную


Скачать книгу