Britta reitet die Hubertusjagd. Lisbeth Pahnke
ihn Helena.
Wir führten die Pferde in den Stall. Trixi und Rinaldo hatten ihre Boxen auf der linken Seite. Dort stand schon ein Pferd, ein hochbeiniger Fuchs, der eben ganz einfach „Fuchs“ genannt wurde. Dieser Fuchs war Onkel Magnus’ Problemkind: er hatte einen ungewöhnlich hohen Widerrist und bekam dadurch sehr leicht Druckstellen vom Sattel. Nun aber würde sein armer Rücken sich lange ausruhen, denn schon am nächsten Tag sollten die Pferde auf die Weide gelassen werden.
„Was hast du im Sommer vor?“ fragte Gunnel unvermittelt.
Ich sah auf. Rinaldos Sattel und Zaumzeug hatte ich noch in den Armen. „Nichts weiter“, antwortete ich mißmutig. „Nichts, was mit Pferden zu tun hat. Wir werden in ein Häuschen am Meer ziehen. Und du?“
Gunnel spielte mit ihrem schwarzen Kaninchen. „Ich habe es vorige Woche bekommen, als ich achtzehn wurde“, sagte sie. „Schau doch, ist es nicht süß?“
Das Kaninchen hob schnuppernd seinen Kopf in die Luft, seine kleine Nase zog Falten. Gunnel strich ihm über den Rücken, als sie erzählte:
„Papa wird bei Rennen in Deutschland und Dänemark auf ,Don Dinero’ starten, und ,Djinn‘ soll auch mitkommen und in niedrigen Klassen starten, um etwas Renn-Sicherheit zu bekommen. Ich soll als Pferdepfleger mit.“ Sie sprach ganz ruhig, einfach und natürlich, nicht die Spur von Angabe in der Stimme. Ich starrte sie voller Bewunderung an. „Don Dinero“ war Onkel Magnus’ berühmtestes Rennpferd, es hatte schon viele Preise von schwierigsten Hindernisrennen heimgebracht. Das noch junge Pferd „Djinn“ würde vielleicht in einigen Jahren genauso berühmt werden. Beide standen in einem großen Stall in der Stadt.
„Wie aufregend, wie herrlich wirst du es haben!“ stieß ich atemlos aus. „Es wird ein wunderbarer Sommer werden!“
„Ja-a“, sagte Gunnel etwas zögernd.
„Na, zweifelst du am Ende daran?“ fragte ich erstaunt. „Ich könnte mir nichts Schöneres denken.“
Sie lachte. „Klar, es ist flott und vor allem was Besonderes. Die Atmosphäre auf den Rennplätzen, diese Spannung, all die Pferde … ja, sicher! Aber stell dir einmal vor, du hättest einen berühmten Rennreiter zum Vater, und alle erwarten nun von dir, daß du wunderbar reitest …“
„Aber das tust du doch wirklich!“ fiel ich ihr ins Wort. Ich konnte sie einfach nicht verstehen. „Ich fände es nach wie vor geradezu herrlich.“
„Was wäre herrlich?“ erklang eine muntere Stimme, und Onkel Magnus kam durch die Stalltüre. Ich wurde über und über rot.
„Für dich Pferdebursch machen zu dürfen bei den Rennen, Onkel Magnus“, bekam ich mit Mühe und Not heraus.
Er warf einen forschenden Blick auf Gunnel.
„Hat sich meine liebe Tochter beklagt?“ neckte er. „Gunnel hat nämlich einen Fehler – einen einzigen Fehler! Sie huldigt zu gerne dem Morgenschlaf … ansonsten ist sie ein ausgezeichneter Pferdepfleger.“
„Papa! Ich habe ein einziges Mal verschlafen!“ protestierte Gunnel.
Ich lachte und ging in die rechte Stallseite hinüber, um einen Hufräumer auszuborgen.
„… sechs Pferde, und ich soll also jeden Tag reiten …“, berichtete Marita über ihre Ferienpläne. Ihr süßes kleines Puppengesicht mit den runden blauen Augen und dem hellen Haar war voller Wichtigkeit. Jetzt wendete sie sich zu mir: „Ich werde auf einem Gutshof im südlichen Schweden leben, weißt du“, sagte sie ganz begeistert.
„Das klingt wie ein Roman“, antwortete ich. „Hat hier jemand einen Hufräumer?“
„Einen Hufräumer! Hier im ländlichen Stall!“ spielte Lasse den Fassungslosen. „Ich habe seit Jahren keinen mehr gesehen. Nimm diesen Nagel, der tuťs auch.“
„Hier“, unterbrach Helena und reichte mir einen Hufräumer. „Lasse hat heute seinen neckischen Tag.“
„Schickst du Hexe auch auf die Weide?“ fragte ich Helena.
Nein, sie würden das Pferd mit aufs Land nehmen, damit sie hie und da reiten könne, erzählte sie.
„Großartig!“ sagte ich. „Und du, Lasse?“
„Alles wie immer! Ich fahre aufs Land und helfe meinem großen Bruder, die Jungpferde zuzureiten“, sagte er mit gespielter Gleichgültigkeit. Dabei lehnte er sich gegen den Verschlag einer Box und kaute an einem Strohhalm. Sein dunkles, leicht gewelltes Haar fiel ihm in die Stirn; er sah gut aus.
„Na, na, halb so gelangweilt!“ gab ich’s ihm. Dann aber fragte ich mit echtem Interesse: „Hat dein Bruder ein Gestüt?“
Lasse gab sich wieder natürlich. „Ja, aber ein recht kleines, so nebenbei, denn er hat ja eine große Landwirtschaft“, sagte er mit liebevollem Interesse. „Fünf Stuten mit Fohlen und ein paar Jungpferde. Und ich verbringe jeden Sommer bei ihm, man lernt unglaublich viel über Pferde.“
Lasse war siebzehn, und im Grunde hatten wir alle großen Respekt vor ihm, denn er ritt gut und wußte mit Pferden umzugehen. Ich war jetzt eben vierzehn und ging erst seit drei Jahren zum Reiten. Helena und Marita waren beide jünger als ich, aber sie ritten schon ebenso lange.
Als wir mit den Stallarbeiten fertig waren, verabschiedeten wir uns draußen, auf dem Hügel vor dem Stall. Onkel Magnus sagte, er hoffe, uns alle im Herbst beim Reitunterricht wiederzusehen – und dann verschwand er mit Gunnel in seinem schwarzen Auto. Wir anderen radelten nach allen Himmelsrichtungen auseinander, bis auf Helena, die ganz in der Nähe wohnte.
Als ich den letzten Hügel nahm, bei dem man heftig in die Pedale treten muß – denn unser kleines weißes Haus liegt auf einer Anhöhe, von dichtem Tannenwald umgeben –, wurde ich traurig. Alle Kameraden würden in diesem Sommer mit Pferden leben, nur ich nicht! Allerdings hatte ich damals noch keine Ahnung, was ausgerechnet diesen Sommer alles geschehen sollte …!
Lilleman
Es begann, als wir schon einige Wochen lang unser Sommerhäuschen bewohnt hatten. Es war ein ganz gewöhnlicher Wochentag, und die Familie saß vollzählig beim Morgentee auf der Veranda, denn von dort aus haben wir einen großartigen Blick auf das Meer. Ich saß ein wenig sauer und morgenmuffig vor meinem Teegedeck – Mama hatte es längst aufgegeben, darauf zu hoffen, daß ich vor zwölf Uhr mittags wie ein normaler Mensch war – und sah verschlafen und zerstreut zu den über den Wellen tanzenden Schaumkronen hinaus und horchte wohl auch auf das Geschrei der Fischmöwen. Meine Geschwister, die zehnjährigen Zwillinge, stritten um irgend etwas; aber das war ja so üblich.
„Nein!“ schrie der kleine Nisse streitlustig und warf seine blonde Stirnlocke zurück.
„Ja!“ brüllte die kleine Nirre und blitzte ihn wütend an.
„Nein!“ schrie Nisse noch einmal. „Du bist dumm!“
Mama füllte Papa eben frischen Tee ein. „Was ist denn nun wieder los?“ fragte sie. „Wißt ihr, Kinder, manchmal geht ihr mir wirklich auf die Nerven.“
„Mama! Nisse sagt …“, begann Nirre ärgerlich. Aber Papa unterbrach sie. Er sah von seiner Zeitung auf.
„Hier, Britta, hier steht etwas! Es wird dich bestimmt interessieren“, sagte er und wendete sich mir zu.
„Wenn es das Resultat des Fußball-Länderkampfes ist oder der Bericht über einen neuen Bootsmotor, dann ist es bestimmt für mich“, sagte ich mit unendlicher Hoffnungslosigkeit in der Stimme, aber Papa las vor:
»Pony entlaufen.
Ein Pony aus dem Besitz des jungen Hakan Bohlin, in Forsa, brach gestern aus seinem Weideplatz aus und …“
Ich sprang vom Tisch auf, riß in meiner Aufregung die Teetasse um und rief: „Forsa! Das ist ja hier, unser Landkreis! Bisher habe ich nicht einmal den Schatten eines Pferdes weit und breit gesehen!“
Ich erwischte