Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland


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die Anmut und Lebhaftigkeit ihres mündlichen Vortrags war; zumal da sie vermittelst einer seltnen Biegsamkeit der Stimme jeder redenden Person einen besondern, von ihrer eigenen verschiedenen Ton zu geben wußte und sie dadurch so fest und richtig bezeichnete, daß sie, um die Personen anzugeben, keinen Namen zu nennen brauchte. Da dieser Mangel weder den Augen noch den Ohren unsrer Leser zu ersetzen ist, so wollen wir uns auch keinen Kummer deswegen machen und laden sie ein, mit uns in die Rosenlaube zurückzukehren und, so gut als ihre eigene Einbildungskraft sie darin unterstützen will, der schönen Erzählerin zuzuhören, die, von der Zufriedenheit ihrer Zuhörer nicht wenig aufgemuntert, in der Geschichte der beiden Selbstliebhaber folgendermaßen fortfuhr.

      In den meisten Geschichten kommt nicht wenig darauf an, daß der Ort und die Zeit, wo und wann sie sich zugetragen, genau angegeben werde. Dies ist nun zwar bei der, worin ich itzt befangen bin, keineswegs der Fall; indessen, da es uns nun einmal unmöglich ist, Personen und Begebenheiten an keinem Ort und in keiner Zeit zu denken, so wünschte ich (um der Ungelegenheit, die deutsche Stadt, wo, und die eigentliche Zeit, wann sich meine Geschichte zutrug, nennen zu müssen, ein für allemal zu entgehen), daß wir als etwas Ausgemachtes annähmen, sie habe sich vor ziemlich langen Jahren zu Trapezunt, am Kaiserhof eines von den Abkömmlingen des weltberühmten Amadis aus Gallien oder des schönen Galaor, seines Bruders, zugetragen; und wenn wir solchergestalt unsre so gern zur Unzeit geschäftige Einbildungskraft über diesen Punkt eingeschläfert hätten, wünschte ich, daß wir uns weiter nicht darum bekümmerten, sondern uns begnügten, meinen Helden und meine Heldin als bloße Bürger der Geisterwelt oder geistige Weltbürger anzusehen, mit welchen alles, was ich von ihnen zu erzählen habe, der Hauptsache nach wenigstens, sich ebensowohl an jedem andern Ort und zu jeder andern Zeit zugetragen haben könnte. Dieses vorausbedungen und zugestanden (denn alle hatten der Erzählerin ihre Einwilligung lächelnd zugenickt), fahre ich nun mit froherem Mute und freiern Armen in meiner Erzählung fort.

      Sobald Mahadufa nach Trapezunt zurückgekommen, war ihre erste Sorge, mit guter Art Anstalt zu treffen, daß Narcissa-Heliane von dem Dasein und dem Charakter des schönen Narcissus-Dagobert so viel Kundschaft erhielt, als nötig war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie mußte, glaubte Mahadufa, alles, was ihr von seiner entschiedenen Unfähigkeit, in eine andere als seine eigene Person verliebt zu sein, zu Ohren käme, notwendig als eine Herausfoderung ansehen, die Unwiderstehlichkeit ihrer Reizungen an diesem Widerspenstigen zu bewähren, und die Ungeduld nach seiner Ankunft (wovon man in Trapezunt bereits als von einer nahe bevorstehenden Sache sprach) würde, dachte sie, die erste aller der Gemütsregungen und Leidenschaften sein, welche ihr noch ungebändigtes Herz bearbeiten und für die Liebe empfänglich machen würden. Aber die Perise, wiewohl selbst eine Art von Weib, kannte die Töchter Edens noch nicht genug, um alle Gestalten zu kennen, welche ihre Eitelkeit anzunehmen fähig ist.

      Narcissa, welche ganz und gar keinen Begriff davon hatte, wie irgendein Sterblicher bei ihrem Anblick ungerührt bleiben, geschweige ihrem Willen, ihn zu besiegen, wofern sie diesen Willen hätte, widerstehen könnte, blieb bei allem, was man ihr von dem stolzen Narcissus sagte, so gleichgültig, als sie bei dem schalsten und unglaublichsten Ammenmärchen hätte bleiben können, und zeigte nicht die leiseste Spur weder einiger Neugier, seine Bekanntschaft zu machen, noch eines Zweifels, was erfolgen werde, wofern er die ihrige suchen sollte.

      Narcissus hingegen hatte durch Zelolos geheime Veranstaltung nicht sobald Nachricht von Helianen erhalten, als er sich unverzüglich anschickte, eine Reise von mehreren hundert Meilen zu unternehmen, in keiner andern Absicht, als die hoffärtige Schöne für ihren Übermut zu züchtigen und von der Unmöglichkeit, ihm zu widerstehen, durch die Erfahrung zu überzeugen. Seine Ungeduld, sich selbst diese Befriedigung zu geben, wurde durch ein Bildnis der schönen Heliane, welches Zelolo ihm in die Hand spielte, so sehr erhöht, daß, wer ihn nicht näher kannte, nichts anders hätte vermuten können, als dieses Bild habe bewirkt, was man bisher für etwas Unmögliches gehalten, und er eile, von der feurigsten Liebe beflügelt, sein Herz zu den Füßen seiner Überwinderin zu legen.

      Narciß erschien unter seinem gewohnten Namen Dagobert am Hofe von Trapezunt mit einem Glanz, der seinen Mitbewerbern auf einmal den Mut benahm, sich mit ihm in einen Wettkampf einzulassen. Der zuversichtliche Stolz, womit er sich der allgemeinen Bewunderung, als eines ihm gebührenden Zolles, bemächtigte, wurde gleichwohl durch die Artigkeit seines Betragens und die Anmut, die alles, was er tat und sprach, begleitete, so schön gemildert, daß man kaum daran denken konnte, ihm Ansprüche streitig zu machen, an welche so viele blendende Vorzüge ihm ein entschiedenes Recht zu geben schienen; und da er über all dieses noch einen fürstlichen Aufwand machte und der freigebigste aller Menschen war, erhielt er allgemeinen Beifall am Hofe von Trapezunt. Die Männer selbst fanden es lächerlich, ihn beneiden zu wollen, und die Frauen – soll ich's sagen? – die Frauen – genug, es war keine Dame in Trapezunt, die Kaiserin Nicea selbst nicht ausgenommen, die nicht entweder ziemlich öffentliche Anstalten gegen die Freiheit seines Herzens machte oder sich nicht wenigstens, in vollem Vertrauen auf die Probhaltigkeit ihrer eignen Tugend, um das Vergnügen, von ihm unterschieden zu werden, beeiferte.

      Narcissa allein machte die Ausnahme; Narcissa war die einzige, die sich so betrug, als ob sie weder Augen für seine Vollkommenheiten noch das mindeste Verlangen hätte, von ihm bemerkt, geschweige ausgezeichnet zu werden. Nicht als wäre sie von seinem ersten Anblick nicht ebenso stark betroffen worden als er von dem ihrigen; aber beide waren es weniger darüber, was sie sahen, als was sie erwartet hatten und nicht fanden. Narcissus zweifelte so wenig daran, daß der erste Eindruck, den er auf Narcissa zu machen gewiß war, entscheidend sein werde, daß er sich ihr mit einer Miene darstellte, welche ihr in der kraftvollen Geistersprache der Augen mit aller nur möglichen Stärke sagte: Fühlst du die Gegenwart deines Überwinders? Gibst du nicht jeden Gedanken auf, ihm einen vergeblichen Widerstand zu tun? – Aber Narcissa, die seinen Blick nur zu gut verstand, blitzte ihm die Antwort in ebenderselben Sprache so behend entgegen, daß sie seiner Frage selbst zuvorzueilen schien: Wie? Mir erkühnst du dich mit solchen Anmaßungen in die Augen zu sehen? du verwirrst mich nicht? dein Blick stürzt nicht vor dem meinigen zu Boden? Eitles Geschöpf! wie freu ich mich, daß es in meiner Macht ist, dich zu demütigen!

      So kurz auch die Dauer dieses ersten Augengesprächs war, so schien es doch entscheidend zu sein und auf beide einerlei Wirkung zu tun. Ohne einander auszuweichen und (was sich von selbst versteht) ohne sich jemals von der Linie der feinsten Anständigkeit, auf ihrer Seite, und der ritterlichen Galanterie, auf der seinigen, nur ein Haarbreit zu entfernen, benahmen sich beide so gleichgültig, so absichtlos, so frostig-kalt gegeneinander, daß sie sich in der Rechenschaft, so jedes sich selbst darüber gab, beinahe notwendig irren mußten. Narcissa, der allgemeinen Huldigung aller Herzen so gewohnt als des Atemholens, glaubte den Prinzen, der ihren Reizen so offenbar Trotz bot, viel zu tief zu verachten, um sich durch seine Gleichgültigkeit beleidigt zu finden, und verdoppelte gleichwohl, ohne sich recht bewußt zu sein, in welcher Absicht, alles, was die Kunst vermochte, den Zauber ihrer Reize unwiderstehlich zu machen. Narcissus hingegen, der ihre Kälte für eine Wirkung ihrer schwer beleidigten Eitelkeit, im Grund aber für bloße Verstellung hielt, zweifelte nicht, daß er nur einige Tage standhaft auszuhalten brauche, um sie ein gutes Teil geschmeidiger zu finden. Aber darin hatte er falsch gerechnet. Narcissa wurde, so deuchte ihm, mit jedem Tage liebenswürdiger und – kälter; er selbst hingegen bildete sich zuweilen ein, er fühle eine Art von Ahnung in sich, daß sie ihm gefährlicher werden könnte, als sein Stolz sich gestehen wollte. Ob diese Ahnung vielleicht ein Werk Zelolos war, kann ich nicht sagen; genug, sie erschreckte ihn, und er glaubte nicht genug Vorsichtsanstalten dagegen machen zu können. Er warf sich in einen Strudel von Zerstreuungen aller Gattung, vernachlässigte Narcissen bis an die Grenze der Unhöflichkeit, schien sich, in Hoffnung, ihre Eitelkeit zu kränken, bald um diese, bald um jene Dame zu bewerben, die einigen Anspruch an eine solche Auszeichnung machen konnte, kurz, versuchte alles, was ein Liebhaber seiner selbst in einem solchen Fall versuchen kann, um seinem Stolze den Triumph zu verschaffen, den ihm der Stolz einer nicht weniger in sich selbst verliebten Schönen vorenthielt. Aber Narcissa, es sei nun, weil sie wirklich nichts für ihn fühlte oder ihn nicht eher genug gedemütigt zu haben glaubte, als bis er sich ihr auf Gnad und Ungnade gefangengeben müßte, beharrte bei ihrem wirklichen oder angenommenen Kaltsinn mit einer so freien und ruhigen Unbefangenheit, daß Narcissus, durch den


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