Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland


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geschehen wäre, in den Sattel eines andern für ihn bereitstehenden Pferdes geschwungen, ritt in vollem Sprung aus den Schranken und ließ sich nicht wieder sehen.

      Ein jauchzendes Siegesgeschrei des unzähligen Volks, das sich Kopf an Kopf um die Schranken her drängte, begleitete nun den von seinem Abenteuer noch verwirrten Sieger zu den Füßen der schönen, nicht weniger betroffnen Narcissa-Heliane, die, in einer seltsamen Schwebe zwischen ihrem Stolz und ihrem Herzen, nicht Zeit hatte, zum Entschluß zu kommen, ob sie ihm Kaltsinn oder Teilnahme in ihren Augen zeigen sollte. Vermutlich würde das Herz die Oberhand behalten haben, wenn sie nicht in dem Blicke, womit der Prinz, indem er sich vor ihr aufs rechte Knie niederließ, ihre Augen bis auf den Grund zu durchforschen schien, den Triumph eines seiner Sache schon gewissen Siegers zu sehen geglaubt hätte. »Darf ich mir schmeicheln«, sagte er, »daß die schöne Heliane keinen Augenblick zweifelte, wer die Ungenannte sei, die allein mich in einunddreißig Kämpfen zum Sieger machen konnte?«

      »Empfanget, edler Ritter«, antwortete Narcissa, indem sie ihm den Dank (eine aus goldnen Lorbeerblättern zierlich gewundne und mit Perlenschnüren durchflochtene Krone) aufsetzte, »mit meinem Glückwunsch den Preis Euer Tapferkeit, und trauet mir soviel Bescheidenheit zu, ein Geheimnis, wofür Ihr soviel wagtet, weder erraten noch erforschen zu wollen.«

      Sie sagte dies mit einem Blick und einem Lächeln, die ihren Worten mehr als die Hälfte von ihrer Bitterkeit benehmen sollten; aber auf den stolzen Narcissus wirkte beides das Gegenteil; der sanfte Blick und das holde Lächeln schienen ihm die Verachtung noch durch Hohn zu schärfen. Er raffte sich hastig auf, warf einen Blick, der bloß zürnen sollte, aber seinen Schmerz nicht verhehlen konnte, auf Narcissen und entfernte sich von ihr mit einer tiefen Verbeugung, wie einer, der nicht wiederzukommen gesonnen ist.

      Daß übrigens von dem goldnen Ritter, den niemand kennen wollte, und von seinem ebenso plötzlichen Erscheinen als Verschwinden bei Hof und in der Stadt etliche Tage lang viel gesprochen, vermutet und gestritten wurde, ist leicht zu erachten. Da man aber immer weniger von der Sache begriff, je mehr man sie auf alle Seiten kehrte, so blieb die allgemeine Meinung endlich bei der Voraussetzung stehen, es sei ein von Helianen angestellter Handel gewesen, um dem Prinzen eine Erklärung abzunötigen, zu welcher er, aus Ursachen, die er selbst am besten wissen müsse, sich nicht entschließen zu können scheine.

      Sobald unsre Selbstliebhaber sich wieder allein sahen, fand sich, daß sie mit ihrem geliebten Selbst noch weniger zufrieden waren als eines mit dem andern. Dagobert machte sich Vorwürfe, daß er, anstatt Helianen öffentlich für seine Dame zu erklären, es darauf habe ankommen lassen, ob sie sich in der Ungenannten erkennen werde; und wie sehr er sich auch durch ihre unbezwingbare Gleichgültigkeit beleidigt fühlte, so waren doch die Augenblicke die häufigsten, worin er sie entschuldigte, ja sogar rechtfertigte, und gegen sich selbst behauptete, sie habe sich ohne Verletzung alles Zartgefühls nicht anders benehmen können. Narcissa hingegen zürnte über sich selbst, daß sie seine Erklärung bei Empfang des Preises in einem Ton beantwortet hatte, der, wofern er sie wirklich liebte, sein Herz empfindlich kränken und, falls die Liebe seinen Stolz noch nicht völlig überwältigt hatte, für eine förmliche Abweisung aufgenommen werden mußte. Beide glaubten also einander eine Art von Genugtuung schuldig zu sein, nur war die Schwierigkeit, wie dies geschehen könne, ohne vielleicht einen Schritt zuviel zu tun und das, was jedes sich selbst schuldig zu sein glaubte, auf ein ungewisses Spiel zu setzen.

      Diese Bedenklichkeiten eines übertriebenen Zartgefühls gaben ihrem gegenseitigem Betragen eine Miene von zwangvoller Unschlüssigkeit zwischen Annäherung und Zurückhaltung. Sie beobachteten einander mit einer Art von mißtrauischer Teilnahme, welcher kein Blick, keine noch so leise vorübergehende Veränderung der Gesichtszüge entwischte, die aber immer geneigt war, etwas Zweideutiges zu sehen, und immer zweifelhaft, von welcher Seite sie es nehmen sollte. Das Peinliche eines solchen Verhältnisses brachte sie nicht selten in einem Anfall von Ungeduld zum Entschluß, es gänzlich abzubrechen; aber bei jedem Versuch überzeugten sie sich stärker von der Unmöglichkeit der Ausführung. Siegen oder sterben schien itzt beider Wahlspruch zu sein; und wer kann sagen, wie lange diese seltsame Art, die Liebe wie einen Zweikampf auf Leben und Tod zu behandeln, noch hätte dauern und welche Folgen sie wenigstens für die zärter gebaute Heliane hätte haben können, wenn ihr Verhältnis nicht durch eine zufällige Begebenheit eine andere Wendung bekommen hätte.

      Nicht lange nachdem in Trapezunt alles wieder seinen gewöhnlichen Gang zu gehen begonnen hatte, traf ein Fremder daselbst ein, der in kurzer Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er kam, seinem Vorgeben nach, aus einem so weit entfernten Lande, daß dessen Name schwerlich jemals zu Trapezunt gehört worden war; und weil sein eigener etwas schwer auszusprechen sei, sagte er, so habe er ihn ins Griechische übersetzt und nenne sich dermalen Sophranor sowie seine ihn begleitende Schwester Euphrasia. Da sie sich einige Zeit zu Trapezunt aufzuhalten und auf einem ziemlich großen Fuß zu leben gesonnen waren, so mietete Sophranor einen der schönsten Paläste der Stadt, nahm zu dem Gefolge, so er mitgebracht, noch eine Menge Hausbediente aller Arten an und richtete sich in allem so ein, als ob er immer dazubleiben gedächte.

      Beide, Sophranor und seine Schwester, hatten in Gestalt und Anstand etwas zugleich Anziehendes und Ehrfurchtgebietendes; und da sie ein prächtiges Haus machten und (was, in ihrem Falle, das wesentlichste ist) alles bar und ohne zu handeln in gutem blankem Golde bezahlten, so wurde ohne weiteres Nachforschen angenommen, daß sie unfehlbar Personen von großer Bedeutung sein müßten; was sie denn auch um so mehr wurden, da sie sich mit einem Geheimnis umgaben, welches immer die Hoffnung irgendeiner wichtigen Entdeckung oder Entwicklung übrigließ. Alle Abende versammelte sich bei Euphrasien eine Gesellschaft, die aus allem, was der Hof und die Stadt Ausgezeichnetes hatte, bestand und in verschiedenen Sälen und Zimmern aufs angenehmste unterhalten wurde.

      Euphrasia schien eine Person von dreißig Jahren zu sein, keine eigentliche Schönheit; aber in ihrem Wuchs und Anstand war etwas, das an Majestät grenzte, und in ihrer Gesichtsbildung und ihrem Auge so viel Geist, Anmut und Ausdruck, daß nur wenige, die auf den Apfel des Paris hätten Anspruch machen können, innern Wert genug besaßen, um neben ihr bemerkt zu werden. Es fiel sehr bald in die Augen, daß es nur auf sie angekommen wäre, sich aller Männerherzen in Trapezunt zu bemächtigen und alle Weiber zur Verzweiflung zu bringen; aber man überzeugte sich auch ebenso bald, daß sie nichts weniger im Sinne habe, als die Rolle einer Ruhestörerin zu spielen. Sie schien vielmehr einen unsichtbaren Zauberkreis um sich her gezogen zu haben, an dessen Rande die Männer alle, gern oder ungern, stehenbleiben mußten; und während sie allen, die den Zutritt in ihre Abendversammlungen hatten, mit gleicher Achtung und Artigkeit begegnete, war keiner, der sich der geringsten Auszeichnung rühmen konnte, welche nicht auf unbestrittene Vorzüge des Geistes und des sittlichen Charakters gegründet gewesen wäre.

      Durch dieses Benehmen erwarb sich Euphrasia – was so selten ist – zu gleicher Zeit mit der Zuneigung und dem Vertrauen ihres eigenen Geschlechts die Hochachtung des andern und erhielt dadurch die stillschweigende Erlaubnis, so liebenswürdig zu sein, als sie wollte, ohne durch Vorzüge, deren sie sich nicht bewußt schien, die Eifersucht des einen Geschlechts zu reizen oder vergebliche Hoffnungen in dem andern zu erregen.

      Weil die Abendgesellschaften in Sophranors Hause von niemand, der zur großen Welt in Trapezunt gehörte oder sich dazu rechnete, unbesucht blieben, so fanden sich auch Narcissus und Narcissa dabei ein, und in ziemlich kurzer Zeit schien jener an Sophranorn und diese an Euphrasien so viel Anziehendes zu finden, daß sie jeden Tag für verloren schätzten, von welchem sie nicht einen großen Teil in ihrem Umgang zugebracht hatten. Sophranor, dem Ansehn nach wenig älter als seine Schwester, heitern und lebhaften Geistes, wiewohl mit einem Ansatz von stiller Melancholie, der vielleicht Ursache war, warum er in den Zirkeln seiner Schwester meistens nur erschien, um wieder zu verschwinden, Sophranor besaß tausend Vorzüge, wodurch sein Umgang einem fürstlichen Jüngling wie Dagobert ebenso nützlich als angenehm sein mußte. Er redete beinahe alle Sprachen, war in allen Wissenschaften bewandert, mit allem, was Kunst heißt, bekannt, hatte alles gesehen, was auf dem ganzen Erdboden sehenswürdig ist, und auf seinen Reisen einen so großen Schatz von seltnen Natur- und Kunsterzeugnissen gesammelt, daß beinahe sein ganzer Palast damit angefüllt war. Die Wißbegierde des von Natur edeln Jünglings fand also hier so reiche Nahrung, und so manche Morgen- und


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