Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland. Volker Elis Pilgrim

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim


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wenn er ihr denn hätte fröhnen wollen. Seine Schwester hätte er gezwungen, bei den Besuchen Eva Brauns ausnahmsweise wegzubleiben oder wegzusehen und wegzuhören. Eben das geschah nicht. Weder zwischen 1932 und 1934, noch zwischen 1934 und 1936 – auch nach dem Rauswurf der Hitler-Schwester Angela 1934 keine Eva Braun über Nacht im Haus Wachenfeld.

      Dass Hitler nächtlich Kater-gleich zu Eva Braun in den Platterhof geschlichen wäre, wird die Hitler-Biografik doch wohl nicht ernsthaft annehmen. Hitlers Strategie der Geheimhaltung des Verhältnisses vorm deutschen Volk wäre zusammengebrochen. Das Hotel-Personal hätte etwas erfahren, wenn Hitler regelmäßig zu Braun in den Platterhof gekommen wäre. Hotelbesitzer, Rezeptionisten, Portiers, Kellner, Zimmermädchen – niemand war vereidigter Schweiger in Hitlers Diensten. Eins, zwei, drei wäre herausgekommen und in Umlauf gebracht worden: Der Führer erscheint immer bei uns, wenn eine bestimmte junge Frau da ist, unsere Gästin Eva Braun! – Von wegen enthaltsam im Dienste des deutschen Volkes …

      Die Information Christa Schroeders: »Eva Braun immer im ›Platter-hof‹ untergebracht, wenn mit auf dem Obersalzberg« – in der ganzen Zeit vor dem Demo-Interieur der Bezugs-fertigen »Führer«-»Mätressen«-Zimmerflucht nach dem Umbau von Haus Wachenfeld zum Berghof Juli 1936 –, diese Information kam zum Hitler-Forschungs-Pionier Anton Joachimsthaler auf verblüffend zufällige Weise, die er in seinem Kommentar der Herausgabe der Schroeder-Memoiren preisgibt. Eines Tages wird Joachimsthaler von Walter Frentz, Hitlers Kameramann, gebeten, eine Dame aus München in seinem Auto zu einer Einladung mitzunehmen. Diese Dame war Christa Schroeder. (Joachimsthaler 85, S. 7, 281, Anm. 1)

      Eine für die Hitler-Biografik enorm folgenreiche Freundschaft begann. Joachimsthaler war vor der Begegnung mit Schroeder ein Bundesbahn-Diplom-Ingenieur. Er hatte sich publizistisch mit Hitler nur nebensächlich beschäftigt für seine Recherche zum Thema Die Breitspurbahn Hitlers. (Joachimsthaler 81) Durch seine Freundschaft mit Schroeder mutierte er zu dem Innovator in der Hitler-Biografik an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert. Schroeder hat Joachimsthaler als Hitler-Spezialisten quasi gezeugt und geboren. Er durfte ihre Memoiren nach ihrem Tod herausgeben und – das noch Wichtigere – ihre stenografisch verschlüsselten Notizen und die Gespräche zwischen Schroeder und Joachimsthaler in ihre Erinnerungen einarbeiten, was in der Publikation durchlaufend geschah. Die Schroeder-Memoiren sind Joachimsthalers erstes biografisches Buch über Hitler, was im Literaturverzeichnis zu Hitler 1 und Hitler 2 hervorgehoben wird. (Joachimsthaler 85)

      Der englische Geschichtsprofessor und Dritte-Reichs- sowie Hitler-Spezialist Ian Kershaw, war von Joachimsthalers Arbeiten so beeindruckt, dass er dessen Buch Hitlers Weg begann in München. 1913–1923 mit einem Geleitwort versah. (Joachimsthaler 2000, S. 7)

      Der Transport der Nachricht von Schroeder zu Joachimsthaler über die Einquartierung Eva Brauns im Platterhof ist eine von jeglicher Spekulation freie Mitteilung. Außerdem hat Joachimsthaler das noch existierende Gästebuch des Platterhofes studiert und Schroeders Bericht mit den Notaten zu Eva Braun als Gast bestätigt gefunden. (Joachimsthaler 85, S. 285, Joachimsthaler 03, S. 300, 442)

      Schon ab 1985 mit Joachimsthalers Herausgabe, Kommentierung und Komplettierung der Schroeder-Memoiren hätte erneut Schluss sein müssen mit der Einbildung der Hitler- und Braun-Biografik von einem heterosexuell intakten Adolf Hitler. Aber zu jener Zeit wirkte inzwischen weltweit der Hitler-Hetero-Promoter Werner Maser, der bis heute auch noch als Gespenst in dieser Zunft umgeht. Nicht nur Masers Hitler-Biografie rotierte zwischen 1971 und 2001 in der Welt mit einer Fülle von Falschdarstellungen, wie der Behauptung von Hitlers angeblich existierendem natürlichem Sohn, gezeugt wärend des Ersten Weltkriegs – ausgerechnet mit einer Französin! Sondern das Fatalste: Maser beging auch einen echten Kujau-Coup, indem er ein ganzes »Diensttagebuch« des Hitler-Leibdieners Heinz Linge vorlegte und es nach dessen Tod 1980 unter Linges Autorenschaft als Widerruf der Aussagen Linges (6.) vor den sowjetischen Interrogatoren im Buch Hitler präsentierte.

      Dieses Vorgehen Masers – über das in AMORO, 2. Ja-Sager, der »Widerrufs-Linge« berichtet wird – läuft in einer unübersehbaren Fülle von Auflagen und Übersetzungen seit nunmehr fast 40 Jahren ebenfalls um die Welt (letzte Ausgaben um 2015). Maser verweist 1980 – im Klappentext dieses camouflierten, letztlich eigenen Buches – auf 85 Versionen, Ausgaben und Übersetzungen aller seiner Bücher. (Linge 80, 82)

      Doch es ist viel schlimmer: Mit dem Kujau-Maser unter dem Autorennamen Heinz Linge und dem Titel Bis zum Untergang sind die Maser-Elaborate inzwischen auch nach seinem Tod 2007 auf über hundert Ausgaben mit seiner Falschdarstellung eines heterosexuellen Hitlers angeschwollen. Der Kujau-Maser ist der eigentliche Eisberg, auf dem die wenigen Seiten Volker Ullrichs zur Hitler-Hetero-Bild-Fälschung nur spitzenhaft thronen. Mit seinem Kujau-Streich von 1980, dem gefälschten »Diensttagebuch« Linges, hat Maser die gesamte Hitler-Biografik in Hinsicht auf Hitlers Heterosexualität für dumm verkauft. Auch Volker Ullrich, der sich noch 2013/16 auf Maser/Linges Bis zum Untergang beruft, (Ullrich, S. 689, 1006, Anm. 77) gehört in diesem Zusammenhang zu den »Dummen« (AMORO)

       »Aimez-vous Brahms?«

      Sogar der Hormonhaushalts-Fantast Albert Speer, dem nicht vorgeworfen werden könnte, er entsexualisierte das Verhältnis Hitler-Braun (10. Ja-Sager), hinterließ Beobachtungen darüber, was es mit dem Zu-Bett-Geh-Geflüster zwischen Hitler und Braun auf sich hatte. Wie bei Schroeder kommt auch bei Speer ein Hochschicken Eva Brauns vor, aber nicht als Verabredung zum Sex, sondern als Brauns Entlassung aus der Kamin-Runde: »Wir setzten uns auf Sofa oder Sessel einer der Sitzgruppen; die zwei Gobelins wurden hochgezogen, und mit den auch in Berlin üblichen abendfüllenden Spielfilmen begann der zweite Teil des Abends [erster Teil war Essen mit Tischordnung]. Anschließend versammelte man sich um den riesigen Kamin, etwa sechs oder acht Personen auf einem überlangen, unbequem tiefen Sofa wie auf einer Stange aufgereiht, während Hitler, wiederum flankiert von Eva Braun und einer der Frauen, in bequemen Sesseln Platz genommen hatte. Die Runde war infolge der ungünstigen Möblierung so auseinandergezogen, dass ein gemeinsames Gespräch nicht aufkommen konnte. Jeder unterhielt sich gedämpft mit seinem Nachbarn. Hitler sprach leise Belangloses mit den beiden Frauen an seiner Seite, oder tuschelte mit Eva Braun, machmal hielt er ihre Hand. Oft aber schwieg er vor sich hin oder starrte brütend ins Kaminfeuer; die Gäste verstummten, um ihn nicht in bedeutenden Gedanken zu stören […] (B. 7).

      Zur Belebung dieser etwas kargen Nachtgeselligkeit wurde Sekt herumgereicht […] Ab ein Uhr nachts konnte dieser und jener trotz aller Beherrschung ein Gähnen nicht mehr unterdrücken. Aber in eintöniger, ermüdender Leere ging der Abend noch eine gute Stunde weiter, bis dann endlich Eva Braun mit Adolf Hitler einige Worte wechselte und in die oberen Räume entlassen wurde. Hitler selbst erhob sich erst eine Viertelstunde später, um sich zu verabschieden. [Es war inzwischen mindestens halb 3 Uhr morgens!] Diesen lähmenden Stunden folgte oft ein ausgelassenes Zusammensein der wie befreit Zurückbleibenden bei Sekt und Cognac.

      In den frühen Morgenstunden kamen wir [Albert und Margret Speer] dann todmüd nach Hause, müde vom Nichtstun. Nach einigen Tagen bekam ich, wie ich es damals nannte, die ›Bergkrankheit‹, das heißt, ich fühlte mich durch andauernde Zeitvergeudung erschöpft und leer.« (Speer 05, S. 104 f.)

      Die Speer-Passage ähnelt Ullrichs Erfindung um Haaresbreite, sodass bei oberflächlicher Lektüre der Eindruck entstehen könnte: Ullrich habe sich aus Speers Erinnerungen bedient. Und alles hätte seine Richtigkeit. Erst wenn die beiden Zwei/Drei-Zeiler, die miteinander konkurrieren, untereinandergesetzt werden, tritt Ullrichs Winkelzug zu Tage.

      Speers Original: »[…] bis dann endlich Eva Braun mit Adolf Hitler einige Worte wechselte und in die oberen Räume entlassen wurde. Hitler selbst erhob sich erst eine Viertelstunde später, um sich zu verabschieden.«

      Ullrichs Darstellung: »Schließlich flüsterten Hitler und Eva Braun ein paar Worte miteinander, sie begab sich in ihre Privatgemächer im ersten Stock, und kurze Zeit später folgte er ihr.« (Ullrich, S. 700)

      Erstens: Nicht beide flüsterten


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