Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland. Volker Elis Pilgrim
Ur-Szenen-Fälschungen Eins 1955/56 und 1980/82 unter AMORO).
Ullrich gibt fünf Zeitzeugen an, die in Verbindung zu seiner Ur-Szenen-Konstruktion stünden: Otto Dietrich, Heinrich Hoffmann, Traudl Junge, Christa Schroeder und Albert Speer. Dazu fügt er unsinnigerweise noch den ersten Braun-Biografen Nerin E. Gun an, der kein Zeitzeuge ist, sondern die genitale Flüssigkeit zwischen Hitler und Braun 1968 auch schon fingiert hatte. (Ullrich, S. 1009, Anm. 128, Gun 68 I, S. 55 ff., 114 f.)
Bei Dietrich steht innerhalb seines Berichts über die Kamin-Abende im Berghof, die bis in die Morgenstunden dauerten, nichts über ein zärtlich-einvernehmliches gemeinsames Zu-Bett-Gehen Hitlers und Brauns. (Dietrich, S. 229 ff.) In den Erinnerungen von Hitlers »Leibfotografen« Heinrich Hoffmann findet man ebenfalls nichts. (Hoffmann, S. 160 ff.) Traudl Junge und Christa Schroeder behandeln wie Otto Dietrich die nicht endenden Kamin-Plauder-Nächte ausführlich. Doch auch bei ihnen fehlt das – Intimität vorbereitende – Geflüster zwischen Hitler und Braun.
Stattdessen das Entlarvende: Es gab tatsächlich ein Hochgeschicktwerden Brauns durch Hitler. Aber zu eklatant anderen Zwecken, als Ullrich sie suggeriert. Hitler entlässt Braun aus ihrer Paarschafts-Demonstration an seiner Seite. Sie darf sich endlich zurückziehen. Jedoch sie allein. Er folgt ihr noch lange nicht, sondern vegetiert weitere unendliche Stunden mit seinem monologischen Gelaber, das anzuhören er seine Gäste zwingt. Er will und muss die Zeit zwischen Nacht und Tag so lange totschlagen, bis er totmüde zusammensackt und endlich abgedreht zu Bett gehen kann, um zu schlafen, nicht aber, um unter die Decke von Eva Braun zu schlüpfen.
Aus dem Zeuginnen-Gedächtnis der – in ihrer Geschichte zu Hitler und mit ihrem Ein-Jahrzehnt-Altersabstand voneinander verschiedenen – Sekretärinnen gestaltete sich das Zu-Bett-Gehen Hitlers und Brauns kalt unerotisch.
Zunächst in Christa Schroeders Worten: »Wurden jedoch Gespräche angeschnitten, die Eva nicht lagen, so war ihr das sofort anzusehen, und auch Hitler pflegte dies nicht zu entgehen. Er tätschelte dann beruhigend ihre auf der Sessellehne liegende Hand, flüsterte ein paar Worte mit ihr und Eva verschwand nach oben. Genauso verhielt sie sich, wenn sie meinte, Hitler würde einer anderen Dame ›zuviel‹ Aufmerksamkeit widmen.« (Schroeder 85, S. 190 f.)
»In ihren Stenoaufzeichnungen notierte Frau Christa Schroeder: ›Wenn irgendeine Dame anwesend war, deren Konkurrenz E. [Eva Braun] fürchtete, dann ging sie entweder sehr bald in ihr Zimmer, oder sie war ungenießbar, so dass er [Hitler] selbst es merkte und sie dann gern überredete, sich zurückzuziehen, da sie müde sei.‹« (Joachimsthaler 85, S. 376, Anm. 353)
Traudl Junge hinterließ Brocken zu Hitlers Nacht-Totschlagen: »[…] ab Mitternacht nächtliche Plauderstunden am Kamin […]« (Junge 02, S. 88) »Hitler freute sich immer wie ein Kind auf seine nächtliche Teegesellschaft […]« Junge zitiert Hitler: »›Ich habe niemals Ferien, ich kann nicht irgend wohinfahren und ausspannen. So teile ich meinen Urlaub in Stunden auf, die ich hier mit meinen Gästen am Kamin verbringe‹, sagte er.« (a. a. O., S. 91)
»Die Stunden vergingen, und es war bereits morgens vier Uhr oder fünf Uhr, als Hitler nach dem Diener klingelte und fragte, ob Einflüge gemeldet seien. Er stellte diese Frage jeden Abend, ehe er ins Bett ging und zog sich nie zurück, ehe er nicht die Meldung bekam, dass das Reichsgebiet feindfrei sei. Einzelne Maschinen oder Störverbände wurden ihm manchmal gar nicht mehr gemeldet, sonst hätte der Tag nie ein Ende gefunden. – Schließlich erhob er sich, gab jedem die Hand zum Gutenachtgruß und zog sich in die oberen Räume zurück.« (a. a. O., S. 94)
Allein, ohne Eva Braun. Die lag längst in den oberen Räumen und schlief.
Was geschah mit Eva Braun, wenn sie noch unten war? Für sie hatte Traudl Junge nur ein mitleidiges Erwähnen, wie Braun in den spätesten Nachtstunden an Hitlers Seite zu einem Häuflein Elend zusammengeschrumpft war, wenn Junge beschreibt, dass sich alles Dienende und Zu-Gast-Seiende absentiert hatte und Hitler mit dem »schlummernden Morell [Leibarzt] und der treuen Eva« sitzengelassen wurde, die die aufgelegten Platten allein hören mussten. Unter der dröhnenden Musik war man entwichen, lachte, frohlockte oder zankte sich im Nebenraum hinter dem Vorhang, bis Hitler manchmal um Ruhe bitten musste. (a. a. O., S. 93)
Kein Mitschlafen – kein Beischlafen
Die Schilderungen der beiden Sekretärinnen decken sich fast, obwohl sie einen Beobachtungszeitraum betreffen, der zum Teil zehn Jahre auseinanderliegt. Schroeder kam Anfang 1933 zu Hitler, Junges erste Erfahrungen mit dem Berghof datieren aus dem März 1943.
Erwähnt werden muss, dass Schroeder schon Hitlers erstes, noch unrenoviertes Landhaus Wachenfeld auf dem Obersalzberg kannte. Drei Jahre lang wurde sie zwischen August 1933 und Juli 1936 von Hitler dorthin mitgenommen und selbstverständlich danach auch in den zum Berghof umgebauten Haus-Komplex. Immer wieder ist das erst im dritten Buch näher behandelte Phänomen anzusprechen: Hitler 2 konnte/wollte nicht mehr malen, zeichnen und mit der Hand schreiben. Alles, was er als Hitler 2 noch mit seiner Hand vollführte, war nur hingeworfen. Seine zuvor – im Stadium von Hitler 1 – bestehende intensive Verbindung zwischen Kopf und Hand, betreffend das Zeichnen, Malen und das endlose Briefe-Schreiben, war nach seiner militärpsychiatrischen Behandlung in Pasewalk im Oktober/November 1918 für all seine folgende Zeit unterbrochen worden.
Beide Sekretärinnen Schroeder und Junge, die Memoiren hinterlassen haben, weisen kontinuierlich darauf hin, dass Hitler sie als seine verlängerte Schreibhand brauchte. Hitler 1 haben beide Sekretärinnen nicht kennengelernt.
Deswegen wurde Schroeder auch in Hitlers ab 1928 gemieteten Landsitz Haus Wachenfeld mitgenommen. Und zwar immer, wenn er sich dorthin begab. Hitler ließ zehn Jahre später Traudl Junge überhaupt nicht mehr von seiner Seite. Wegen dieses organisatorischen Angeschlossenseins an Hitlers Bewegungen zwischen seinen Aufenthaltsorten nehmen die Sekretärinnen einen zentral wichtigen Zeuginnen-Status ein – auch und gerade Hitlers Intimes betreffend.
Die beiden übrigen Sekretärinnen Johanna Wolf und Gerda Daranowski-Christian haben keine Memoiren hinterlassen. Aus dem Verhör Christians sind nur Bruchstücke erhalten geblieben (Christian). Wolf gehört mit ihren Aussagen gegenüber dem Nürnberger Interrogator Robert Kempner als 16. Zeugin zu den Nein-Sagenden (ONANO). Aber sie starb zu früh, um genauere Reflexionen über ihre Erfahrungen mit Hitler und seinen intimen Gepflogenheiten zu hinterlassen. Gerda Christian blieb bis ins hohe Alter »Nazisse« und war deshalb zur Schroeder/Junge’schen Distanzierung von Hitler nicht fähig. (Wikipedia)
Beide Sekretärinnen, Christa Schroeder und Traudl Junge, sind jedoch ein Glücksfall für die Hitler-Forschung, weil sie biografisch nicht unter einer Decke steckten, sondern ihre Texte und deren Wege in die Öffentlichkeit anderen Lebensumständen verdankten, abgesehen davon, dass Schroeder 1908 und Junge 1920 geboren wurde. Und trotzdem sagen die beiden Hitler-«Hände« zu seiner Heterosexualität im Allgemeinen und zu seinem Verhältnis mit Eva Braun im Besonderen das nahezu Deckungsgleiche.
Vor allem Schroeder hat Einblicke noch in die Frühzeit des Verhältnisses Braun-Hitler gehabt. Daher ist ihre Mitteilung, Eva Braun habe nie im Haus Wachenfeld mitgewohnt, nie dort geschlafen, eines der Träger-Elemente der Tatsache: Dann hat Eva Braun auch nicht mit Hitler geschlafen. (Schroeder 85, S. 172)
Diener, Adjutanten und Sekretärinnen waren zum Schweigen verpflichtet. Schweigen gehörte zu ihrem Job. Vor seinem dienenden Zubehör brauchte Hitler sich keinen Zwang anzutun. Trotzdem nächtigte Braun immer im Gästehaus Platterhof, wenn sie denn mal mit auf den Obersalzberg genommen wurde. Das Pikante: Braun wurde weiterhin auf dem Platterhof untergebracht, auch nachdem Hitler seine Schwester 1934 rausgeworfen hatte, die bisher in Wachenfeld Haushälterin gewesen war.
Ausgerechnet Volker Ullrich weist überzeugend nach, dass der Rauswurf von Hitlers Schwester nicht erst 1935 oder 1936 geschah, wie bisher allgemein angenommen wurde, sondern schon 1934. (Ullrich, S. 679) Und trotzdem schlief Braun ab jetzt für die nächsten zwei Jahre weiterhin nicht mit im Haus