Beim nächsten Mann bleib ich solo. Hella Heller
den Jahren darauf kamen Rosa und Ben zur Welt. Die WG löste sich auf, wir rissen die Wand zwischen den beiden Wohnungen ein, und ab da verfügten Albert und ich mit unseren Kindern über 155 Quadratmeter. Der einzige Nachteil ist, dass alle sieben Zimmer von einem endlosen dunklen Flur abgehen. An sich läuft man in unserer Wohnung ewig durch diesen Schlauch. Wir nennen ihn darum den langen Jammer.
Im langen Jammer ist die linke Wand über und über mit Kuckucksuhren behängt. Eine Uhr neben der anderen. Ich finde Kuckucksuhren völlig bescheuert, aber ich stamme auch nicht aus dem Schwarzwald. Albert dagegen kommt vom Titisee. Er behauptet aber, er sammele nicht aus Heimatverbundenheit. Das sei echte Uhrmacherkunst. Der internationale Markt lechze nach der schwäbischen Kuckucksuhr. Als Anlageobjekt! Ein Vogelhaus mit Gehängen dran … haha! In meinen Augen war und blieb das billiger Touristenkitsch.
Zum Ausgleich sicherte ich mir die Gestaltungshoheit über die rechte Flurseite. Auf der gesamten Länge der Wand habe ich selbstgefertigte Kunstobjekte verteilt – Gemälde und Zeichnungen. Mein Stil ist sozialkritisch-feministisch, bewahrt dabei aber das mädchenhaft Naive, mit dem ich als Fünfjährige zu malen anfing. Der Flair des Kindhaften steht im bewussten Spannungsbogen mit der Schärfe meiner politischen Botschaft. »Küss mich, ich bin keine Beischlafmaschine« heißt eines meiner Werke, »Henne und Ei« ein anderes. Mein größtes Kunstobjekt ist einen Meter fünfzig breit und behandelt das Thema »Jugendwahn«. Es ist eine Blümchenwiese aus Plastik, die ich mit Gold- und Silberfarbe übergossen habe, und aus dem Ganzen ragt ein dreckigweißer alter Chuck! Das Objekt trägt den Titel »Fit wie ein Turnschuh!«.
Um die sozialkritisch-feministische Note meiner Bilder noch zu unterstreichen, habe ich meine Flurwand plus Deckenhälfte himmelblau grundiert und mit Schäfchenwölkchen bepinselt. Sozialkritische Kunst gegen Wolkenkuckucksheim! Ha!
Vierundzwanzig Minuten nach dem letzten Kuckucksgeschrei hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Albert war weg. Er frühstückt nie, selbst seinen Kaffee trinkt er in der Klinik. Mir blieben die Leere und die Stille.
2. Heiliger Bimbam!
Gegen die Stille half mir immer schon Madonna. Madonna singt für uns, seit Albert und ich zusammen sind. Unsere Tochter Rosa wuchs mit Madonna auf, ebenso Ben, unser Sohn. Ihm ist sie inzwischen oberpeinlich, seine Schwester sieht in ihr eine historische Ikone. Er steht jetzt auf Punk, sie auf Pink.
Nach »Material Girl« fühlte ich mich stark genug, um aufzustehen und auf den Flur hinauszutreten.
An der Lamperie lehnten drei Ölgemälde nebeneinander. Nicht zu fassen! Der Mistkerl hatte doch glatt Bilder von mir abgenommen und an die Wand gestellt!
Von den anderen hingen vier schief. Weil Albert natürlich wieder drangestoßen war! Um beste Sicht auf seine Uhren zu haben, schiebt er sich immer so eng wie möglich an meiner Wandseite entlang. Dabei ist ihm völlig egal, ob er meine Bilder anschrappt und kaputtmacht. Im Grunde glaube ich, dass ihm das sogar recht wäre. Mein Mann verachtet mein Schaffen.
Dafür macht er einen Riesentamtam um seine Uhren. Heiliger Bimbam! Jeden Abend zieht er sie auf. In Latex-OP-Handschuhen! Mir ist das streng verboten. Ich könnte die Unruhe zerstören, sagt Albert. Pah! Kein Hahn kräht danach, dass diese albernen Dinger meine Ruhe zerstören.
Ich schwor Rache für Alberts Übergriff auf meine Kunst.
Auf dem Küchentisch lag ein Post-it für mich.
Post-its sind Alberts Kommunikationsmittel, wenn er mir etwas mitzuteilen hat. In seinem Arbeitszimmer lagern mindestens noch drei Kartons voll mit Pappzettelblöcken. Noch unsere Urenkel werden aus Alberts Post-it-Vorräten schöpfen dürfen. Wobei schon heute kein Mensch außer Albert mehr Notizzettel benutzt. Ich versende Sprachnachrichten und erwäge Alexa. Albert ist eben hoffnungslos unmodern.
Das am Rand verblichene Post-it war mit ärztlicher Krakelschrift bedeckt.
Guten Morgen, Zuckerlämmchen,
Auge um Auge, Zahl um Zahl!
3 Uhren weniger => 3 Bilder weniger!
1:1 für mich!!!!!!
Vergreif dich nie wieder
an meinen Kuckucksuhren!
Dein dich gleichwohl ewig liebender
Albert
Als Beweis für seinen zwanghaften Geiz hatte er das alles auf ein einziges Post-it gekritzelt! Zum Geiz passte, dass er 3:3 auf 1:1 herunterrechnete. Unentschieden bleibt aber unentschieden! Okay, Albert war kein Mathematiker, sondern Mediziner. Und ja, unsere Vereinbarung lautete eigentlich, dass jeden Morgen zehn Kuckucksuhren krähen durften. Gestern hatte ich kurzerhand dreien davon einen Riegel vorgeschoben. Aus Notwehr! Den Lärm hält einfach niemand aus, den muss man abstellen! Genau dafür bauen die Uhrenmacher den sogenannten Schlagabsteller ein! Nichts, aber auch gar nichts gab Albert das Recht, sich aus Rache an meiner Kunst zu vergreifen! Meine Bilder stellen politische Aufschreie dar, aber sie krähen nicht herum!
Ich riss das Post-it ab und schmiss es zusammengeknäult in die Ecke. Auf dem Zettel drunter stand in Krakelschrift:
ALDI Rasierschaum 1,37 EUR!!
PLUS Uhu zum Preis der Woche!!
PENNY Softis-Sonderangebot!!
Ich riss auch dieses ab und pappte es auf den Tisch. Dann schrieb ich, schon weil Albert sich über meine Verschwendungssucht ärgern würde, auf acht blütenreine Post-its nur je ein Wort und klebte sie im sorgfältigen Kachelmuster über das Einkaufszettelchen.
Dann ging ich in mich. Wie lange wollte ich mir das noch antun lassen? Vom eigenen Mann!
Professor Albert Auerbach hatte Karriere gemacht, aus mir war die unpromovierte Frau Doktor geworden: Als Arztgattin und Mutter hatte ich meine schöpferische und berufliche Selbstverwirklichung hintangestellt. Ich hatte meine Begeisterung für Film und Literatur systematisch beschnitten, erst das Studium geschmissen, dann meinen Job als Buchhändlerin aufgegeben und schließlich sogar mein politisches Engagement bei Femmes sans terres gestrichen.
Wollte ich mich bis ans Ende meiner Tage auf die Jagd nach Sonderangeboten schicken lassen? Wollte ich auf ewig als Künstlerin und Intellektuelle gedemütigt werden? Von einem emotional blockierten Kuckucksuhrensammler?
Die Fragen stellten sich mir nicht zum ersten Mal. Ich kannte sie in allen Variationen. Als nagenden Selbstzweifel, als wütenden Aufschrei, als zarten Verdacht, als wilde Verzweiflung. Immer wieder hatte ich sie von mir geschoben und verdrängt. Heute gab ich die Antwort.
Ich war achtundvierzigdreiviertel und eine Leerstelle in meinem eigenen Leben. Ich hing am Tropf des Herrn Professor Doktor Auerbach, war abhängig von seinen Infusionen. Tag für Tag hielt ich still und ließ mir Alberts Wichtig- und Nichtigkeiten einträufeln.
Es reichte.
3. Der Entschluss ist gefallen
Mein Ziel stand fest: Ich würde eine unabhängige Frau sein. Ich würde mich ab sofort an meinen eigenen Interessen orientieren. Ich würde, was Männer angeht, mir Sahneschnitten gönnen und nicht länger die Zähne an vertrocknetem Altbrot ausbeißen. Wenn Sahneschnitten aus waren, würde ich lieber ganz verzichten, das tat der Gradlinigkeit und der Linie gut.
Nun musste ich nur noch überlegen, wie ich den Entschluss in die Tat umsetzen konnte. Meine Trennung von Albert Auerbach sollte ein echter Kracher sein: endgültig, dabei stilvoll und souverän. Ich würde mir Albert amputieren – ein sauberer Schnitt wie mit dem Skalpell. Hoppla!, würde ich sagen, wenn er abfiele. Wer geliebt hat, muss loslassen können.
Ich griff nach Alberts Post-it-Block und notierte die Möglichkeiten, meinen künftigen Exmann in brutalstmöglicher Härte mit meinem Entschluss zu konfrontieren:
•Ausziehen