Villa im Tiergarten. Artur Hermann Landsberger

Villa im Tiergarten - Artur Hermann Landsberger


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      Artur Hermann Landsberger

      Villa im Tiergarten

      Saga

Erster teil

      Erstes kapitel

      Als ich durch Vorlegung von Dokumenten und alten Familienbildern den Nachweis erbracht hatte, daß meine Familie väterlicher- und mütterlicherseits seit sechs Generationen in Berlin lebt, daß während dieser zweihundertfünfzig Jahre keiner von ihnen das Armenrecht in Anspruch genommen, einen verbotenen Handel getrieben oder die bürgerlichen Ehrenrechte, wenn auch nur vorübergehend, verloren hatte, wurde ich am 1. April 1923 endlich in die Tiergartenvilla eingewiesen.

      Um diese bestgelegene Villa Berlins war seit einem Jahre von etwa dreißig Parteien erbittert gekämpft worden. Sämtliche Architektenschieber Berlins nagten an diesem Objekt, auf das hin Nachkriegsreiche, denen es am Kurfürstendamm zu stark nach Kriegsgewinnlern roch, bereits Millionen geopfert hatten. Und nun wurde ich, der verrufene Schriftsteller, in dessen Büchern die Ueberklugen längst ein Haar gefunden hatten, Herr des Hauses — wenigstens dem Scheine nach.

      Denn die Behörde verfügte: „Sie erhalten die Wohnung. Da der Zahl der Zimmer entsprechend mindestens neun Personen darin unterzubringen sind, so haben Sie Einweisungen zu gewärtigen.“

      Teufel! Das war ein Danaergeschenk! — Ich besitze neun Tanten im Tiergarten, die meines Wissens nie in ihren Villen belästigt wurden. Ich suchte sie der Reihe nach auf. Der Reihe nach fällten sie das salomonische Urteil: „Du mußt dir ganz einfach sieben Dienstboten halten.“ — Und auf mein entsetztes Gesicht hin sagte die jüngste von ihnen, das dreiundsiebzigjährige Hannchen haut gout — so heißt sie ihrer modernen Lebensauffassung wegen in der Familie —: „Sie brauchen ja nicht alle sieben alt und häßlich zu sein.“

      Sonderbare Vorstellungen hatten diese Tanten von den Einnahmen eines Schriftstellers! Die reichten gerade für die Friedensmiete. — Also träumte ich in der Nacht, wie eine Protzenfamilie mit einer Schar von Kindern und Dienstboten in meinen Möbeln hauste. Ich aber saß in einem Raume, den der zweite Diener wegen der Nähe der Toilette abgelehnt hatte, träumend von vergangener Zeit vor ein paar von Protzens Kindern ausgelutschten Riesen-Hummerbäuchen.

      Ich nahm den Traum als Warnung und überlegte, wie ich mich vor Protzens retten könnte. Natürlich! ich mußte Bekannte hineinnehmen. Aber woher die so schnell bekommen? Und Gefahr war im Verzuge. Jeden Augenblick konnten Protzens eingewiesen werden. Solide Menschen sollten es sein. Und ich ging zu meinem Freunde Töns, der seit zwölf Jahren im Esplanade-Hotel wohnte, und sagte zu ihm:

      „Ich verstehe gar nicht, wie man dies blöde Hotelleben so lange ertragen kann.“

      „Blöde?“ rief er. „Ich kenne nichts Amüsanteres. Immer Abwechslung! Jeden Tag andere Menschen! Wenn du hier lebtest — du würdest weniger langweilige Bücher schreiben.“

      „Du könntest dich ja trotzdem tagsüber so viel du willst hier aufhalten,“ erwiderte ich.

      „Wann könnte ich das?“

      „Wenn du bei mir wohntest!“

      „Bei dir? Wie kommst du darauf?“

      „Es sind nur ein paar Schritte von hier. Du zahlst nicht den zehnten Teil und bewahrst mich vor Protzens.“

      „Man will dir Fremde hineinsetzen? In die Möbel deiner Eltern? — Du! Ich komme! Heute noch, wenn du willst.“

      Und da ich wollte, so zog mein Freund Töns noch am Abend desselben Tages zu mir.

      Es war elf vormittags, als ich ihn verließ. Am Potsdamer Platz grüßte aus einem Auto Baron Etville.

      „Halt!“ schrie ich, ohne recht zu wissen, weshalb.

      „Halt!“ schrie nun auch er — und sein Auto hielt. Wir gaben uns die Hand, und da ich sah, daß er im Frack war — vormittags um elf am Potsdamer Platz! — so sagte ich:

      „Hals- und Beinbruch!“

      „Wozu?“

      Ich wies auf sein Aeußeres und sagte: „Vermutlich fährst du doch zum Examen.“

      Er knöpfte den Rock hoch und erwiderte:

      „I Gott bewahre! Von gestern abend. Ich fahre nach Hause.“

      „Immer um die Zeit?“ fragte ich.

      „Meistenteils — oder doch häufig!“

      „Du müßtest bei mir wohnen!“ rief ich.

      „Warum?“

      „Zum Donnerwetter fahren Sie weiter!“ brüllte ein Sipomann. „Sie sperren ja den Verkehr!“

      Ich sprang in das Auto.

      „Du verfährst auf die Art ja ein Vermögen!“ sagte ich zu Etville, der am Ende des Kurfürstendammes wohnte. „Bei mir, unmittelbar am Potsdamer Platz, zehn Minuten von sämtlichen Nachtlokalen, sparst du Zeit, Geld und Nerven.“

      „Keine schlechte Idee,“ sagte der Todmüde.

      „Wenn du willst, liegst du in zwei Minuten im Bett und brauchst gar nicht erst nach Hause zu fahren.“

      „Das wäre“ — die Augen fielen ihm zu — „herrlich.“ — Und fünf Minuten später lag Etville in tiefem Schlafe bei mir. Abends folgten sein Diener und seine Sachen nach.

      Dummerweise mußte ich noch am selben Vormittag zur Aufnahme eines Films von mir nach Johannisthal. Die Filmregisseure sind nämlich reizende Leute. Wenn sie einen Film drehen, lieben sie es, den Verfasser zu den Aufnahmen hinzuzuziehen. Sie lassen dann ein paar Szenen kurbeln, und der Autor muß raten, welche Szenen es sind. Wenn der stutzt und sagt: „Keine Ahnung! Das ist doch nicht mein Manuskript!“ so strahlt der Regisseur und ruft: „Gott sei Dank, der Film wird gut! Jede Spur des Autors ist verwischt.“ Wird man dann zornig, so lächelt der Regisseur und sagt: „Lieber Doktor! Das sind mir die liebsten Manuskripte, in denen man jede Szene mit dem Rotstift streichen kann, ohne daß der Film darunter leidet.“ — „Ja, wozu dann erst das Manuskript?“ frage ich, und er erwidert: „Weil man durch den Blödsinn erst auf gute Gedanken kommt.“

      Ich wollte gerade grob werden, da legte sich eine weiße Frauenhand besänftigend auf meine Schulter. Ich atmete den Duft von Guerlains Muschiko und wußte, daß es Po Gri war. Denn das Parfüm ist das einzige, worin Filmdivas sich voneinander unterscheiden. Im Ausdruck ihrer Leidenschaft gleichen sie sich wie — seien wir höflich — eine Rose der anderen — aber im Duft sind sie verschieden.

      Po zog mich zur Seite, schlug die Augen auf und sagte:

      „Nun, Peter? Was sagst du?“

      „Ich bin empört!“

      „Wieso du? Waren es deine Perlen?“

      „Perlen? — Ach so! Richtig! Ich denke, du hast sie wieder?“

      „Ja doch! Das ist ja das Unglück!“

      Ich faßte mich an den Kopf.

      „Du scheinst nicht zu wissen,“ sagte sie, „daß Rolf eine Belohnung von zehn Millionen auf die Wiederbeschaffung ausgesetzt hat!“

      „Gewiß weiß ich das!“

      „Nun soll er sie zahlen.“

      „Selbstredend!“

      „Mach ihm das klar! Er weigert sich.“

      „Aus welchem Grunde?“

      „Weil die Perlen nicht echt sind.“

      Ich lachte laut auf:

      „Wußte er das?“ fragte ich.

      „I Gott bewahre! Aber der sogenannte ehrliche Finder, der meinem Gefühl nach niemand anderes als der Dieb selbst ist, weiß es.“

      „Ich verstehe.“

      „Ich schäme mich tot. Entweder er zahlt, oder wir sind blamiert.“

      „Wieso wir? Höchstens doch du? Wenn Rolf nichts wußte ...?“

      „Das glaubt ihm kein Mensch. Ich bleibe jedenfalls keinen


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