Komödie der Liebe. Walther von Hollander

Komödie der Liebe - Walther von Hollander


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hat Tränen in den Augen, weil ihr Mann sich zuviel mit der Schauspielerin Schwild befaßt, zwei andere lachen über ein Abenteuer einer dritten und pfeifen dann die Grammophonmelodien mit, die übrigen tanzen viel und lachen und sprechen wenig. Die Zigaretten gehen nicht aus. Die Schnapsgläser stehen in allen Ecken herum, gegen Zwei geht man.

      Hammacher bringt die Gäste herunter, verstaut sie an der nächsten Droschkenhaltestelle, richtet es so ein, daß zuletzt Ira Schnee übrig bleibt.

      Sie stehn vor der erleuchteten Droschke, die Ira wegfahren soll. Ira schüttelt ihm immer wieder die Hand. Es ist zu reizend gewesen. Sie sieht entzückend aus in ihrem braunen Abendcape mit dem Fuchskragen. Endlich steigt sie ein. Das Licht löscht aus. Ihr Gesicht leuchtet aus dem Dämmern in geheimnisvoller Süße.

      „Soll ich Sie heimbringen?“ fragt Hammacher und hat einen Fuß auf dem Trittbrett. „Wollen Sie mich mitnehmen? Nein, nicht nur bis zur Tür. Drei Schritt weiter, zwei Treppen höher. Wie? Böse? Nein — nicht böse sein. Also gut.“

      Er steckt den Kopf in den dunklen Wagen. Sie hat angstvoll das Gesicht weggedreht, so trifft sein Mund zunächst die pappene Fuchsschnauze des Pelzkragens, dann erst Iras Schnees Lippen. Sie sind merkwürdig hart und schmecken nach Himbeer. Wahrscheinlich von der Lippencreme.

      Hammacher geht, die Hände in den Hosentaschen zum Haus zurück. Er ist nicht zufrieden, weil er zu wenig erreicht und schon zuviel angerichtet hat. Hätte er gewußt, daß sie ihren Mann so schnell vergißt, wäre er vorsichtiger gewesen, sagt er sich auf der ersten Treppe. Auf der zweiten ist er eher der Ansicht, daß er der Sache zuviel Wert beimißt. Da sie ihren ersten Mann so schnell vergißt, wird sie auch ihren zweiten Mann (Hammacher?) schnell vergessen. Oben vor der Tür muß er sich gewaltig ausschelten. Es ist geradezu als handle es sich um vollzogene Tatsachen. Dabei ist es doch, Himmeldonnerwetter, nicht sicher, ob er sich in die Geschichte überhaupt einlassen wird. Nein, als er die Flurtür hinter sich zugeknallt hat, ist er viel eher entschlossen, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen. Was hat man schon davon? Meist doch nur Kummer, Lügerei und sonstige Gefahr. Nein!

      Er geht schnell ins große Zimmer. Hedwig, das Mädchen, in blauer Schürze, und Ellen in einem unendlich langen Nachthemd haben schon fast alles weggeräumt.

      Hammacher ergreift noch eine Obstschale mit der einen Hand, mit der anderen aber klaubt er ein paar Schnapsgläser aus den Ecken. „Wie fandest du es“, fragt er, und bleibt vor Ellen stehen. Sie antwortet nicht, nimmt ihm die Obstschale aus der Hand. Er läuft mit den Schnapsgläsern hinterdrein. „Wie fandest du es?“ fragt er in der Küche vor Hedwig.

      „Ganz nett“, antwortet Ellen und geht in ihr Zimmer.

      Sie liegt im Bett und wartet auf Hammacher. Sie ist schon nicht mehr böse, sicher hat sie Gespenster gesehen. Sie wird ihm das sagen.

      Aber Hammacher kommt nicht. Er ist bereits ins Bett gestiegen. Es ist ihm nun zu dumm. Er hat nichts getan, weswegen man ihn von oben herab behandeln müßte. So schnell zu verführen ist er denn doch nicht. Nein, diesmal geht er nicht zu Ellen. Diesesmal kann sie kommen.

      Sie kommt aber nicht. Sie schläft mitten im Zorn ein, mit einem Fuß außerhalb der Bettdecke, so als wäre sie im Aufbruch vom Schlaf überrascht.

      Schade. Denn nun, nachdem noch mit Trotz gefeuert wird, läuft die Geschichte wie auf Schienen ab. Für Menschen, die eine Ursache der menschlichen Handlungen brauchen, kann man sagen: weil Ellen Hammacher ihren Zorn etwas übertrieben laufen ließ, ihre Ahnungen behandelte als wären sie Tatsachen, deshalb kam die Geschichte in Gang. Vielleicht ist manchem mit einer so einfachen Erklärung gedient.

      6

      Ein paar Tage gehen über die Sache hin mit einer Unmenge Kleinigkeiten. Ein Onkel Ira Schnees zum Beispiel kommt durch Berlin. Die alte Exzellenz Pfeiffer. Geht mit ihr in ein Varieté, faßt sie beim Abschied unters Kinn und verlangt streng, daß sie auch in diesen unanständigen Zeiten anständig bleiben soll. Ein Konflikt über Flachdach und Spitzdach, zwischen Hammacher und dem Margarinedirektor Breuel, wird durch Römer beigelegt, der neben einen Landhausgiebel ein Gymnastikdach mit Sonnen- und Regensegel setzt. Ellen Hammacher bekommt einen großen Auftrag und ist den ganzen Tag im Photoatelier eines Warenhauses damit beschäftigt, unbegabten und größtenteils körperhäßlichen Mannequins die Grundlagen von Körperhaltung und -bewegung beizubringen.

      Es gelingt aber nicht. Denn Ellen ist ungeduldig und die jungen Damen, die doch ausgebildete Mannequins sind, wissen ohnehin, was sie wissen möchten.

      Daneben und neben tausend Täglichkeiten — man schläft, man ißt, man spricht, man telefoniert, man geht in Gesellschaften und Theater, man sieht, man hört Menschen, man läßt Grammophon und Radio laufen, man liest in einer Zeitung, einem Buch und greift nach dem nächsten — daneben oder darunter oder vielleicht auch dadurch (denn wozu lebt man? was soll man, wozu arbeitet man und arbeitet immer toller? Die Tage sind gefüllt, daß sie platzen. Also wozu lebt man, was ist die ganze Geschichte wert? Die Frage brennt.) — daneben entwickelt sich die Sache zwischen Hammacher und Ira Schnee.

      Daneben, ganz daneben. Man sieht sie zuerst nicht. Ein paar Tage gehen hin und man weiß schon nicht mehr, ob die ganze Sache nun leben wird oder nicht.

      Ellen hofft, sie wird einschlafen und weiß nicht recht, warum sie das eigentlich hofft. Denn wenn es diese Schnee nicht ist, so ist es die nächste, die noch Unbekannte aus dem Heerhaufen der Frauen, die hübschen und erfolgreichen Männern nachstellen.

      Aber nein, nicht diese Schnee. Nicht diese kleine Gans. Dann lieber schon eine große Leidenschaft. Das ist doch anständiger.

      Mit einer großen Leidenschaft hat sie Hammacher von seiner ersten Frau weggeholt. Sie ist bereit, ganz und gar abzubüßen was sie damals gesündigt hat. Aber sie will nicht so in kleinen Stücken, so in Raten bezahlen. So auf Raten leiden.

      Ira fürchtet sich noch. Sie wird sich klar, daß der zweite Schritt in Liebesdingen schwerer wiegt als der erste, der zweite Schluß noch bitterer ist als der erste und daß sie vielleicht draufgehen wird. Einen Tag lang ist sie entschlossen, den langen Architekten nicht wieder anzusehen, am zweiten wird sie zweifelhaft und als sie auch am dritten nichts hört und sieht, bekommt jener dumme Kuß im Auto Gewalt über sie und sie ist entschlossen, sich nicht gegen Hammacher zu wehren, wenn er nur kommt.

      Er kommt aber nicht. Er hat gerade seinen Arbeitsraptus, der sich etwa alle vierzehn Tage, drei Wochen wiederholt. Er sitzt mit Römer im Büro am Breitenbachplatz, zeichnet, entwirft, verwirft, verbessert. Es gibt Streit über jede Linie, über jede Treppenführung, über jedes Fenster vor allem, über jede Farbe. Sie haben immer zwei Meinungen, von denen Hammachers im Prinzip und Römers im einzelnen richtig ist.

      Auch über die Frauen streiten sie sich nebenbei, weil Römer altgermanische Ansichten verficht, ohne ganz nach ihnen zu leben, und Hammacher sich zu keiner Meinung entschließen kann. Er meint nämlich, es gäbe für ihn keine Stellung zu den Dingen, sondern nur zu den Menschen. Dinglich reagiere er in der Architektur ab. Probleme erkenne er nicht an.

      Er arbeitet von morgens Neun bis abends Zwölf. Danach trifft er sich mit Ellen im Café, sitzt eine Stunde mit ihr über Zeitungen oder wiegt den Kopf zu den Melodien der Kapelle, lächelt seine Frau an und erklärt, daß ihm das Leben gefällt. So und nicht anders. Am sechsten Tag wird er launisch. Am siebenten ist eine langweilige Gesellschaft beim Margarinedirektor, ein Gartenfest in einem weitläufigen Park, dessen Wege von Glühbirnenrabatten eingefaßt sind.

      Mitten ins Fest fährt ein warmer Sturm, ein kalter Regen. Scharen von gelben Ahornblättern flüchten ins Dunkle.

      Als Hammachers nach Hause fahren, ist es herbstlich kalt. Ellen muß seinen Mantel überziehen. Beim Aussteigen vor dem Haus sehen sie, daß die Grundmauern des Hauses vor dem Preußenpark schon aus dem Boden wachsen. Das Parterre ist beinahe fertig.

      Sie sind beide unruhig und beklommen. Schließen die Tür zwischen den Zimmern. Liegen und hören den Herbstwind, der sogar in den Stadtstraßen noch Macht hat, den Herbstregen, der über die dünne Hauswand fließt, als liefe er über die Hand.

      Um acht Uhr früh nach einer


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