Palast aus Gold und Tränen. Christian Handel

Palast aus Gold und Tränen - Christian Handel


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schien wenig beeindruckt. »Wir können kaum den Zaren bitten, uns zu seiner Hexenfreundin zu führen.«

      »Wer weiß, vielleicht hat er sie gar zur Hochzeit seines Sohnes geladen.«

      »Deine Landsleute sind verrückt!«

      Irina zuckte mit den Schultern. »Und vielleicht sind die Leute hier nur übertrieben misstrauisch.« Ihr Blick fiel auf das Grimoire vor uns. »Vielleicht auch nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Der Punkt ist: Einige Hexen wissen vermutlich, wo die Baba Yaga zu finden ist. Und wenn sie euch den Weg nicht weisen wollen, so besteht immerhin die Möglichkeit, dass sie eine Botschaft von euch übermitteln. Wenn die Baba Yaga gewillt ist, euch zu helfen, wird sie zu euch kommen.«

      Hinter meiner Stirn begann ein dumpfer Schmerz zu pochen. »Warum sollte sie uns helfen wollen?«, fragte ich und massierte meine Schläfen.

      »Weil sie neugierig ist, jedenfalls sagt man das. Und weil ihr etwas besitzt, an dem sie interessiert sein könnte.« Irina nickte in Richtung des Buches.

      »Das Grimoire? Wir sollen es ihr überlassen?«

      »Was wollt ihr sonst damit anfangen?«

      »Eigentlich hatten wir darüber nachgedacht, es bei dir zu lassen«, sagte ich vorsichtig.

      Irina fuhr zurück. »Auf keinen Fall! Außerdem werdet ihr es brauchen. Wenn sich die Baba Yaga nicht damit bezahlen lässt, dann wird es ihr zumindest Aufschluss über den Zauber geben, mit den du in Berührung gekommen bist.«

      Sie massierte sich den Nacken. »Es ist ein schreckliches Buch, das ihr da in eure Obhut genommen habt. Ich mag es nicht länger als nötig hier in der Mühle haben. Nicht nachdem ich mir solche Mühe gegeben habe, sie von allem Bösen zu reinigen. Na ja, von fast allem.«

      »Bisher haben wir nichts von seiner ›bösen Aura‹ bemerkt«, sagte Rose. Weder hatte das Buch uns Albträume beschert noch uns Schaden zugefügt – sah man mal von dem missglückten Zauberritual ab, für das ich mir selbst die Schuld geben durfte. Aber dass etwas Unheimliches von dem Folianten ausging, war uns beiden von Anfang an klar gewesen.

      Irina blieb unbeeindruckt. »Dann solltet ihr froh sein. Wann brecht ihr auf?«

      »Bald.«

      »Lasst euch lieber nicht zu viel Zeit. Der Weg ins Zarenreich ist weit.«

      »Wir kennen eine Abkürzung«, sagte ich. »Der Jungfernfelsen.«

      Irina lächelte kurz, presste dabei jedoch die Lippen so fest aufeinander, dass ich es beinahe nicht erkannt hätte. »Er ist ein Feentor.«

      »Ihr überrascht mich«, sagte sie und blickte dabei Rose an. »Seid ihr schon einmal durch die Anderswelt gereist?«

      Rose schüttelte den Kopf.

      »Ihr müsst vorsichtig sein, und schnell.« Sie riet uns, worauf wir beim Durchschreiten des Tores achten mussten. Es überraschte mich nicht wirklich, dass Irina sich mit den Wegen durch die Anderswelt auskannte.

      »Gebt mir eure Dolche«, verlangte sie, nachdem sie uns alles erklärt hatte. Reflexartig hob ich meine Hand an die Lederscheide, in der mein heiß geliebter Silberdolch steckte. Rose besaß den gleichen. Die beiden schmalen Waffen waren einfach gearbeitet. In das Eisen war jedoch Silber gemengt, und dadurch waren die Dolche großartige Verteidigungswerkzeuge gegen schwarze Magie.

      »Warum?«, fragte ich.

      Irina stand auf und schob sich einen kleinen schwarzen Zopf hinters Ohr, der sich aus ihrer Frisur gelöst hatte.

      »Wenn ihr mir die Waffen für eine Nacht überlasst, kann ich sie mit einem Zauber besprechen, der euch schützt. Und ich kann einen Beutel fertigen, in dem ihr das Grimoire verbergen könnt, damit nicht jede Hexe auf zehn Meilen Entfernung wittern kann, was ihr mit euch herumtragt.«

      »Du hast es doch auch nicht gewittert.«

      »Ich bin auch keine dunkle.«

      Ich blickte hinüber zu Rose. Die zögerte einen Moment, dann zog sie zu meiner Überraschung ihren Dolch und legte ihn vor Irina.

      Sie lächelte warm. »Danke.« Dann wandte sie sich mir zu. Ich umgriff das kühle Heft meines Silberdolchs und legte ihn neben seinen Zwilling. »Es hat nichts mit dir zu tun«, sagte ich verlegen. »Ich trenne mich nur nicht gern von ihm. Er gibt mir Sicherheit.«

      »Mach dir keine Sorgen. Du bekommst ihn morgen Vormittag zurück. Besucht mich auf dem Wochenmarkt.« Sie lächelte verschmitzt. »Vielleicht ist Björn dann ja wieder zu Hause und kann euch begleiten.«

      »Vielleicht«, räumte Rose ein, und ich hörte ihr an, dass sie nicht wusste, was sie von Irinas Anspielung halten sollte. Auch ich war überrascht. Björn und Irina?

      Ihr nächster Satz ließ mich dieses Thema jedoch vollends vergessen:

      »Ich brauche für den Zauber noch etwas von eurem Blut. Und ein paar Haare.«

      »Geht jetzt«, forderte Irina uns auf, nachdem wir ihrer Aufforderung folgend tatsächlich ein paar Blutstropfen in eine bronzene Schale hatten fallen lassen, ebenso wie ein paar Haare.

      Sie klang nicht unfreundlich, aber bestimmt. »Ich habe noch viel zu tun. Und nehmt das Buch mit. Ich will es nicht um mich haben.«

      Das wollte ich inzwischen auch nicht mehr, doch da hatten wir wohl keine Wahl. Rose packte das Grimoire in ihren Beutel und schulterte ihn.

      Ich trank mit einem kräftigen Zug meinen Becher aus.

      Dann traten wir den Heimweg an. An der Türschwelle zum Flur drehte sich Rose noch einmal um. »Ich warne dich. Treib keine Spielchen mit uns.«

      Irina breitete die Arme aus und deutete mit einer Geste auf all die Pflanzen, die in Kübeln im Zimmer wuchsen. »Rosalie Lennards­tochter, glaube mir. Wenn ich euch Böses wollte, wärt ihr schon längst nicht mehr am Leben.«

      Der Bär auf dem Dachboden

      Der Weg nach Hause zog sich. Wie ich hing Rose ihren Gedanken nach. Wie viel Zeit würde mir bleiben, bis sich die seltsamen Male auf meinen Armen wieder zu bewegen begannen? Für die Schönheit meiner Umgebung – das kräftige Grün des Waldes und das Gold der wogenden Getreidefelder – hatte ich keinen Sinn.

      Unsere Laune hellte sich erst wieder auf, als wir daheim ankamen. Inzwischen war es Mittag geworden. Björn stand auf dem Hof und unterhielt sich mit seinem Vater. Auf seinen breiten Schultern saß Lasse und trug eine begeisterte Miene zur Schau. Sobald Rose die drei entdeckte, beschleunigte sie ihre Schritte.

      Lasse war der Erste, der uns bemerkte. »Rosalie, Muireann! Seht mal, wer wieder da ist!«

      Björn drehte sich um und sein ganzes Gesicht begann zu strahlen. In einer fließenden Bewegung griff er nach oben, packte Lasse und hob ihn unter dessen Protesten herunter. »Später«, versprach Björn. »Erst muss ich die beiden begrüßen.«

      »Schwesterherz!« Seine muskulösen Arme schlossen sich um Rose, als wollte er ihr die Luft aus dem Leib pressen. Sie beschwerte sich jedoch nicht, sondern drückte sich allenfalls fester an ihn. Rose liebte ihre Familie, aber Björn nahm eine besondere Stellung in ihrem Herzen ein.

      Nachdem die beiden sich ausgiebig begrüßt hatten – dabei war es erst ein paar Tage her, dass wir drei uns auf dem Weg hierher begegnet waren –, wandte sich Björn mir zu und drückte mich, deutlich sanfter.

      »Muireann.«

      Ich umarmte ihn, dann ging ich einen Schritt zurück. »Dein Bart kitzelt.« Amüsiert kraulte ich die struppigen blonden Haare an seinem Kinn. Er hielt sie kurz geschnitten, aber sie bedeckten fast seine ganze untere Gesichtshälfte. »Du solltest dir überlegen, ihn abzurasieren.«

      »Welcher Bär schert sich seinen Pelz?«, fragte er empört. Seine Augen blitzten, und ich wusste, dass er mich auf den Arm nahm.

      »Wie war es bei Irina?« Lasse hüpfte aufgeregt


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