Die Herrgottswiege. Max Geißler

Die Herrgottswiege - Max Geißler


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ein schmuckes weisses Haus am Hange, das hatte ein rotes Ziegeldach und schneeweisse Vorhänge hinter den Fenstern. Von dem sagten die Leute: es stehe so blank und wohlbedacht in der Welt wie der Herr Silvanus selber. —

      Es war aber noch jemand in dem Tale, der zwar weder darin geboren war, noch lange daselbst gewohnt hat. Er steht auch bei den mancherlei Ereignissen dieser Geschichte immer daneben, wie er sich selbst gleichsam neben das Leben gestellt hatte.

      Dieser Mann ist der Maler Berengar.

      Er zählte zu der Zeit, da Silvanus in jenen Waldwinkel zog, dreiundzwanzig Jahre, war im Sommer zuvor mit seinem Malgerät ins Tal gekommen und hatte die eine Hälfte des Hauses am Brunnen gemietet, in dessen anderer Hälfte die Witwe eines Holzhauers mit ihren Kindern wohnte, dem dreizehnjährigen dunkeläugigen Vroneli, das später die geheimnisvolle Kette findet, und dem zehnjährigen Knaben Sebastian mit dem flachsenen Schopf — derselbige, der behauptet: zu einem richtigen Menschen gehöre ein Taschenmesser und eine Streichholzschachtel.

      Der Maler Berengar war Landschaftsmaler, und zwar — nach dem sicheren Urteile des Dichters Silvanus — ein sehr tüchtiger Landschafter, wiewohl er mit grosser Wahrscheinlichkeit ein ganz ausgezeichneter Bildnismaler geworden wäre, wenn ihn nicht eine Eigentümlichkeit seines Charakters von der Ausübung dieser Kunst ferngehalten hätte.

      Man weiss nur von zwei Frauenbildnissen, die er gemalt hat; diese aber sollen von so ungewöhnlicher Vollkommenheit gewesen sein, dass sich in der sehr merkwürdigen Geschichte des Malers Berengar, die der Dichter Silvanus infolge einer nicht minder merkwürdigen Begebenheit gegen das Ende seines Lebens aufschrieb, die Worte finden:

      „In diesem grünen Saal war an einem Teile der südlichen Wand ein Vorhang aus dunkelgrünem Sammet und dahinter der wundervoll gemalte Kopf des schönsten Weibes, das Herrn Berengars Augen gesehen haben. Darunter stand der Name Celeste. Es wusste niemand, welche Bewandtnis es mit dem Bilde habe; aber die Menschen meinten, es müssten sich sehr schmerzhafte Erinnerungen für den Herrn Berengar an dies Bildnis knüpfen.“

      Silvanus kannte diese Erinnerungen; aber seine Geschichte enthält darüber dennoch kein Wort — als hätte seine Freundestreue den Schleier des Geheimnisses nicht lüften oder als hätte er den Ereignissen nicht vorgreifen wollen; denn das Leben erzählte diese Geschichte nach dem Tode des Herrn Silvanus zu Ende, und die Leute in der Herrgottswiege erfuhren dies Ende — sie erfuhren es aus dem Munde jener dunkeläugigen schönen Frau Celeste selbst.

      So wunderlich spielt das Schicksal; denn das Bild hinter dem grünen Vorhange schmückt die Wand des Zimmers eines sehr trauten Hauses in Welschland, an dem stillen Ufer des schönsten Sees der Erde. —

      Ausser jenem Bilde mit der Aufschrift Celeste, das Berengar im zweiten Jahre nach seinem Aufenthalt im Tale der Herrgottswiege malte, hat er — wie gesagt — nur ein einziges geschaffen. Es ist wenigstens nie ein drittes oder viertes bekannt geworden. Und dies erste war das der Zigeunerin Silpa. Es weiss aber niemand, wohin es gekommen ist. —

      Mit dem Maler Berengar trafen die Leute im Tale fast nie zusammen, ja, sie wussten weiter nichts von ihm, als dass er dasei und dass er an jedem Morgen mit seinen Gerätschaften ausziehe und des Abends heimkehre. Manchmal, wenn er an einer sehr fernen Stelle des Gebirges malte, kam er gar nicht. Sie wussten noch, dass er an Regentagen in seinem Zimmer sass und aus dicken Büchern seine Kunst und ihre Geschichte studierte; ferner, dass er sehr reich sei, weil er bei Einbruch der kalten Jahreszeit in das Land Italien reise und erst mit der Sonne wieder eintreffe, und dass er auf der Welt niemanden habe als einen alten Onkel, der eine Burg am Rhein besässe und deshalb auch sehr reich sein müsse. Mit diesem Onkel wechsele er manchmal Briefe. Ausser dem Grusse aber tausche Herr Berengar mit den Leuten im Tale kein Wort. Er sei trotz alledem nicht hochmütig, sondern sein ganzes Wesen lasse ihm weiteren Verkehr nicht zu.

      Manchmal geschah es, dass Silvanus den Herrn Berengar im Walde traf. Sie redeten dann einige Worte über die besondere Schönheit der Landschaft, Berengar nahm das bewundernde Lob aus dem Munde des Herr Silvanus mit freundlichem Dank entgegen, und es schien, als schätze auch der Maler den besonnenen und klugen Menschen an dem Dichter. Im übrigen aber verkehrten die beiden nicht und rieten auch nicht aneinander herum — es schien vielmehr, als hätte sich der eine mit den Eigentümlichkeiten des anderen stillschweigend auseinandergesetzt, und als erachteten sie diese Eigentümlichkeiten für Lebensbedingungen, an die ihnen ihre gegenseitige Schätzung zu rühren verbot.

      Und dennoch ist in dem Leben dieser beiden Männer oft eine so überraschende Ähnlichkeit, dass für diejenigen, die dem Glauben an eine Vorherbestimmung des Menschenschicksals zuneigen, bei oberflächlichem Betrachten darin fast ein Beweis der Richtigkeit ihrer Anschauungen erkennbar sein könnte; denn das Leben beider, so seltsam es ist, läuft über sehr weite Strecken in ganz den gleichen Windungen oder in der gleichen Geradheit, und seine Fäden rollen sich oft in Ereignissen ab, vor denen etliche staunend fragen werden, wie es möglich sei, diese Gleichheit anders zu deuten als: Eigenwille vorbestimmenden Schicksals.

      Dies ist es aber nicht; die Geschichte aus der Herrgottswiege ist vielmehr ein Zeugnis dafür, dass der Wille des Menschen fast gleichbedeutend mit seinem Schicksale sei und dass die Kraft des Willens in dem geraden Verhältnisse stehe zur Grösse des Glücks.

      Wie die Schiffe zwischen den ungeheueren Tiefen des Ozeans und den gewaltigen Mächten der Stürme doch zumeist die Strassen gleiten, welche ihnen das Steuer weist, so läuft auch das Schiff des Lebens nach dem Steuer des Willens. Und Steuermann ist nicht das Schicksal — Steuermann ist der Mensch ... Es liesse sich die Macht des Schicksals dann wohl mit der der Stürme vergleichen? Das wäre auch nicht richtig, sondern die Stürme sind der Tod mit seinen Vorboten, den Krankheiten. Andere Mächte im Leben, die sich uns feindlich entgegenstellen, und die wir als widerliches Schicksal bezeichnen, sind am Ende nicht nur durch den Willen zu überwinden, sondern sie wären durch diesen in den meisten Fällen schon an ihrem Auftreten zu verhindern gewesen.

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