Der weisse Schmetterling. Walter Mosley

Der weisse Schmetterling - Walter  Mosley


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Schwarze, denen es nichts ausmachte, um ihr Leben zu würfeln. Aber nach meiner Heirat hatte ich damit aufgehört, solche Risiken einzugehen. Ich war kein Spitzel für die Cops mehr.

      »Ich weiß nix über tote Frauen, Mann. Glauben Se nich, ich hätt’s Ihnen schon gesteckt, wenn ich nen Schimmer hätt? Glauben Se nich, ich hätt was dagegen, dass einer schwarze Frauen abmurkst? Hören Se, ich hab bei mir zu Haus ne hübsche junge Frau …«

      »Ihr passiert nichts.«

      »Woher wolln Se das wissen?« Ich spürte den Puls in den Schläfen.

      »Der Mann bringt leichte Mädchen um. Er hat es nicht auf eine Krankenschwester abgesehen.«

      »Regina arbeitet. Manchmal kommt sie nachts aus dem Krankenhaus heim. Der könnte ihr auflauern.«

      »Deshalb brauche ich Ihre Hilfe, Easy.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Nö, Mann. Kann Ihnen nich helfen. Was könnt ich schon machen?«

      Meine Frage brachte Naylor aus der Fassung. »Helfen Sie uns«, sagte er schwach.

      Er war ratlos. Er wollte, dass ich ihm sagte, was er tun sollte, denn die Polizei wusste nicht, wie sie einen Mörder fassen sollte, aus dem sie nicht schlau wurde. Sie wussten, was zu tun war, wenn ein Mann seine Frau umbrachte oder ein Kredithai Schulden auf eine üble Weise eintrieb. Sie wussten, wie sie Zeugen verhören mussten, weiße Zeugen. Quinten Naylor war zwar schwarz, aber das brachte ihm beim harten Kern im Viertel Watts keine Sympathien ein; bei der Clique, die von allen »The Element« genannt wurde.

      »Was ham Se denn bis jetzt?«, fragte ich, vor allem, weil er mir leidtat.

      »Nichts. Sie wissen alles, was ich weiß.«

      »Ham Se ne Sondereinheit, die dran arbeitet?«

      »Nein. Bloß ich.«

      Die Autos, die auf den fernen Straßen vorbeifuhren, surrten in meinen Ohren wie hungrige Moskitos.

      »Drei tote Frauen«, sagte ich. »Und die konnten nur Sie auf die Beine bringen?«

      »Hobbes arbeitet mit mir daran.«

      Ich schüttelte den Kopf, wünschte mir, ich könnte den Boden unter meinen Füßen zum Erbeben bringen.

      »Ich kann Ihnen nich helfen, Mann«, sagte ich.

      »Jemand muss helfen. Wer weiß, wie viele Frauen sonst sterben?«

      »Vielleicht kriegt Ihr Mann es einfach satt, Quinten.«

      »Sie müssen uns helfen, Easy.«

      »Nein, muss ich nich. Sie leben in einem Albtraum von nem Vollidioten, Mr. Polizist. Ich kann Ihnen nich helfen. Wenn ich wüsst, wie der Kerl heißt, wenn ich irgendwas wüsste. Aber Beweise sammeln is Copsache. Einer allein schafft das nicht.«

      Ich konnte sehen, wie sich die Wut in seinen Armen und Schultern sammelte. Aber statt mich zu schlagen, wandte Quinten Naylor sich ab und stolzierte zum Auto. Ich schlenderte hinter ihm her, wollte nicht neben ihm gehen. Quinten trug das Gewicht der ganzen Gemeinde auf den Schultern. Die Schwarzen mochten ihn nicht, weil er redete wie ein Weißer und den Beruf eines Weißen hatte. Die anderen Polizisten hielten sich auch auf Distanz. Ein Wahnsinniger brachte schwarze Frauen um, und Quinten war ganz allein. Niemand wollte ihm helfen, und die Frauen starben weiter.

      »Sind Sie mit von der Partie, Easy?«, fragte Roland Hobbes. Er legte seine Hand auf meine Schulter, als Naylor aufs Gas trat.

      Ich schwieg weiter, und Hobbes zog die freundliche Hand zurück. Ich hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Ich fühlte mich schlecht, weil ich dem Polizisten einen Korb gegeben hatte. Ich fühlte mich miserabel, weil junge Frauen sterben würden. Aber ich konnte nichts tun. Ich musste mich um mein eigenes Leben kümmern – oder nicht?

      3

      Ich bat Naylor, mich an der Ecke aussteigen zu lassen, weil ich vorhatte, die letzten Schritte nach Hause zu Fuß zu gehen. Aber stattdessen stand ich da und sah mich um. Die Nacht brach ein, und ich bildete mir ein, die Leute suchten rasch Schutz vor einem Gewitter, das bald um sie herum losbrechen würde.

      Nicht alle hatten es eilig.

      Rafael Gordon hatte vor dem Avalon, einer winzigen Bar am Ende meines Blocks, gerade ein Hütchenspiel laufen. Zeppo, der Spastiker, halb Italiener, halb Schwarzer, stand an der Ecke Schmiere. Zeppo, der immer Zuckungen hatte, konnte keinen Satz zu Ende bringen, aber lauter pfeifen, als die meisten Trompeter blasen konnten.

      Ich winkte Zeppo zu, und er wackelte in meine Richtung, zog eine Grimasse und zwinkerte. Ich versuchte, Rafaels Blick einzufangen, aber er konzentrierte sich auf die beiden Schwachköpfe, die er angelockt hatte. Rafael war klein, die Hautfarbe mehr grau als braun. Die meisten Vorderzähne fehlten ihm, und das linke Auge lag tot in seiner Höhle. Die Schwachköpfe sahen Rafael an und wussten, den könnten sie übertölpeln. Und vielleicht glaubten sie, sie müssten nicht einmal bezahlen, wenn sie verloren; Rafael sah so aus, als ob er nicht einmal einem Pudel etwas zuleide tun könnte.

      Aber Rafael Gordon trug ein schwarzes Fischmesser mit Korkheft im Ärmel, und er hatte immer eine meterlange Kette aus gehärtetem Stahl in der Tasche.

      »Zeigt mir, wo die rote Kugel landet«, sang er. »Zeigt mir die rote Kugel und zwei Dollar. Verdoppelt euer Geld und macht heut Nacht einen drauf.« Er bewegte die getürkten Nussschalen hin und her, hob sie mehrmals hoch, um zu zeigen, wo etwas war und wo nichts.

      Ein Hüne, den ich vorher noch nie gesehen hatte, zeigte auf eine Schale. Ich wandte mich ab und ging auf mein Zuhause zu.

      Ich dachte an das tote Partygirl; daran, dass sie ohne Grund umgebracht worden war, ausgenommen vielleicht wegen ihres Aussehens oder weil sie jemandem ähnlich sah. Ich erschauerte bei der Erinnerung daran, wie natürlich sie gewirkt hatte. Wenn eine Frau vergisst, dass sie hübsch sein und sich zur Schau stellen soll, sieht sie wie diese Ermordete aus; einfach jemand, der müde ist und Ruhe braucht.

      Das brachte mich auf Regina und ihr Aussehen. Natürlich ließ sich das nicht vergleichen. Regina war eine Königin. Sie trug niemals billige Kleidchen oder knalligen Modeschmuck. Wenn sie tanzte, bewegte sie sich nicht so ruckartig wie die meisten jungen Frauen. Regina tanzte leicht und anmutig wie ein Fisch im Wasser oder ein Vogel in der Luft.

      Die Erinnerung an die tote Frau ließ mich nicht los. Ich ging zum Gartentor und sah nach, ob Regina und Edna wohlbehalten im Wohnzimmer waren. Ich konnte sie durch das Fenster sehen, dann stieg ich in mein Auto und fuhr zur Hooper Street. Damals befand sich Mofass’ Immobilienbüro in der Hooper Street. Es lag im ersten Stock eines zweistöckigen Gebäudes. Das Gebäude gehörte mir, aber niemand außer Mofass wusste das. Das Erdgeschoss war an einen Buchladen vermietet, der auf Erbauungsliteratur für Schwarze spezialisiert war. Die Mieter waren Chester und Edwina Remy. Wie alle Mieter in meinen sieben Häusern zahlten die Remys die Miete an Mofass. Danach gab er mir das Geld.

      Ich wusste, dass Mofass da sein würde, weil er an sieben Abenden in der Woche Überstunden machte. Außer arbeiten und Zigarren rauchen tat er nichts.

      Die Treppe, die zu Mofass’ Tür führte, war außen. Sie ächzte und sackte durch, als ich hinaufging. Schon ehe ich die Tür erreichte, hörte ich Mofass husten.

      Als ich hereinkam, kauerte er in gebückter Haltung über dem Ahornschreibtisch. Er gab Geräusche von sich wie ein Motor, der nicht anspringen will.

      »Ich hab Ihnen doch gesagt, Se solln mit dem Rauchen aufhörn, Mofass. Die Zigarre da könnt Se umbringen.«

      Mofass hob den Kopf. Wegen der Hängebacken ähnelte er einer Bulldogge. Durch die klägliche Haltung sah er noch hündischer aus. Tränen von der vielen Husterei liefen ihm aus den wässrigen Augen. Er hielt sich die Zigarre vor das Gesicht und starrte sie entsetzt an. Dann zerquetschte er den schwarzen Stumpen in einem Glasaschenbecher und hievte sich im Drehstuhl hoch.

      Er unterdrückte ein Husten und ballte die Fäuste.

      »Wie geht’s denn so?«, fragte ich.


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