Deutscher Herbst 2015. Alexander Meschnig
Alexander Meschnig
DEUTSCHER HERBST 2015
Essays zur Politik der Entgrenzung
© Manuscriptum Verlagsbuchhandlung
Thomas Hoof KG · Lüdinghausen und Berlin 2018
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ISBN 978-3-944872-88-9
eISBN 978-3-948075-82-8
INHALT
Die französische Kassandra: Jean Raspail
Unangenehme Fragen und Entscheidungen
Ein Lehrstück in Sachen Sozialrassismus
Merkel und das Ende des Politischen
Von üblichen Reaktionen und moralischen Schwächen
Deutschland auf dem Weg zum Failed State
Schuld und Erlösung: Zur religiösen Dimension der aktuellen Krise
Der Islamismus als Empörungsparadigma
Die Rückkehr der Gewalt in den Alltag
Realitätsverweigerung und ihre Folgen
Das »Postfaktische« als angewandte Dialektik
Medienpädagogik und die Pflicht zur Toleranz
Die linke Romanze mit der Gewalt
Wie der Frosch im heißen Wasser
Die Eitelkeit des Guten: Zur Psychologie der Willkommenskultur
Auf dem Weg in den Ausnahmezustand
Entfernte Verwandtschaft: August 1914 – September 2015
Die Probleme des 21. Jahrhunderts werden sicherlich nicht die des 20. Jahrhunderts sein. Ihre Rückübersetzung in das alte politische Drama, in welchem ›Faschisten‹ gegen ›Antifaschisten‹ kämpfen und innerhalb dessen die Rollen fest verteilt, die Prädikate eindeutig festgelegt sind, verstellt nur den Blick auf neuartige Konfliktlagen und richtet heillose Verwirrung an.
Rolf Peter Sieferle
VORWORT
Die folgenden Essays erschienen im Zeitraum August 2015 bis Oktober 2017 auf dem politischen Blog Die Achse des Guten (www.achgut.com). In der Regel beziehen sie sich nicht direkt auf tagesaktuelle Geschehnisse, auch wenn sie von diesen inspiriert sind, sondern versuchen, größere mentalitätsgeschichtliche Linien anhand der Entwicklungen in Deutschland zu ziehen. Mit Beginn der sogenannten »Flüchtlingskrise«, die eine Art Zäsur in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands darstellt, ist – unabhängig von den irreversiblen Folgen – eine massive Spaltung quer durch Familien und Freundschaften zu beobachten, die sich auf der Ebene der Politik widerspiegelt. Dem »Rechtspopulisten« steht der »Gutmensch«, dem »Menschenfeind« der »Volksverräter« gegenüber. In dieser extremen Polarisierung zweier unversöhnlicher Lager haben sich Politik und Medien von Anfang an fast unisono auf die Seite eines moralischen Universalismus gestellt, der jedes partikulare Interesse als nationalistisch, rassistisch oder »rechts« verortete und seine Protagonisten als »Pack«, »Dunkeldeutschland« oder »Hetzer« in das gesellschaftliche Abseits stellte. In seinem berühmten, 1840 erschienen Hauptwerk Über die Demokratie in Amerika beschreibt Alexis de Tocqueville die innere Logik des Ausgeschlossenwerdens in einer freien Welt:
»Der Machthaber sagt hier nicht mehr: ›Du denkst wie ich, oder du stirbst‹, er sagt: ›Du hast die Freiheit, nicht zu denken wie ich; Leben, Vermögen und alles bleibt dir erhalten: aber von dem Tage an bist du ein Fremder unter uns. (…) Du wirst weiter bei den Menschen wohnen, aber deine Rechte auf menschlichen Umgang verlieren.‹«
Zahlreiche Leserbriefe und E-Mails, die mich in den letzten Jahren auf meine regelmäßigen Artikel auf der Achse erreichten, hatten die soziale Isolierung in Beruf, Familie oder Freundschaften zum Thema, die diejenigen wie ein Bannstrahl traf, die die staatlich verordnete Willkommenskultur – die zur alles entscheidenden Gretchenfrage wurde – nicht kritiklos begrüßten. Als Unmensch gekennzeichnet, fand der Skeptiker sich allabendlich der moralischen Abwertung in den öffentlich-rechtlichen Medien ausgesetzt. Seine Positionen und Einwände standen außerhalb der legitimen Diskursräume. Die damit einhergehende Vermeidung tabuisierter Themen führte schließlich dazu, dass viele es nicht mehr wagten, bestimmte Dinge auszusprechen. Am Ende stand dann das Verbot, sie überhaupt noch zu denken.
Dieser Mechanismus prägt das kulturelle und politische Leben bei essentiellen Fragen in Deutschland nicht erst seit den Ereignissen des September 2015. In der unheilvollen Dynamik einer wachsenden »Schweigespirale« besteht eine große Gefahr für demokratische Gesellschaften, denn das offensichtliche Verleugnen, Verdrängen und Schönreden wichtiger Themen führt in letzter Konsequenz zu einer Entwicklung, die tatsächlichen rassistischen und rechtsextremen Kräften in die Hände spielt. Alle Politik und alle Diskussion, die uns vorschreiben will, in welchen Grenzen wir zu denken haben, ist eine Gefahr für die freie Meinung und den Austausch von Argumenten. Ob diese verfestigten Tabus nochmals ohne größere gesellschaftliche Konflikte rückgängig gemacht werden können, ist mehr als fraglich.
Die erschreckende Abwesenheit jedes Ansatzes von Vernunft, Skepsis oder Reflexion in Politik und Medien angesichts der Masseneinwanderung hunderttausender junger Männer aus den zerfallenden arabischen und afrikanischen Staaten ist in sich erklärungsbedürftig. Auch wenn Deutschland aufgrund seiner Geschichte vielleicht besonders anfällig