Religion – Eine Zukunft für die Zukunft. Anand Buchwald
und auf allen zugänglichen Seinsebenen auf seine Aufgabe und Verantwortung vorbereitet. Doch auch er ist nicht unfehlbar und sich dessen auch bewusst. Es gibt sicherlich innerhalb einer Stufe Diskussionen, aber durch die geringe Zahl der Vertreter ganz oben und durch den Dekretismus von oben keine vielfältige und wirklich offene Diskussion, was nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet ist, dass man meist nur durch Konformität nach oben aufsteigen kann. Weiter nach unten zu wird die Meinungsvielfalt immer größer. Aber Hierarchien sind nicht dafür bekannt, dass sie eine stufenübergreifende Diskussionskultur ernsthaft fördern. Und wie schon angedeutet, bewegt sich eine Hierarchie gewissermaßen im Kreis, denn sie prägt ihre Umwelt und lässt nur diese geprägten Elemente in sich zu, was Veränderungen nicht nur sehr effektiv verhindert, sondern auch zu Verhärtungen und einer Schwarz-Weiß-Mentalität führt. Eine Hierarchie ist damit nicht oder nur extrem eingeschränkt für Veränderungen und damit für den Fortschritt offen. Und da in nahezu allen Religionen der blasphemische Glaube vorherrscht, dass Gott dem Menschen für alle Zeit alles gegeben hat, was sie jemals benötigen, gibt es auch keine Notwendigkeit für Veränderung und Fortschritt. Im Grunde genommen verschließt sich der Mensch durch seine Religion der Möglichkeit, neue und seiner Entwicklung entsprechende göttliche Offenbarungen empfangen zu können. Wir sind nicht offen, sondern haben alle unsere Sinne vor der Möglichkeit verschlossen, dass Gott individuell oder kollektiv zu uns sprechen könnte.
Man kann die religiöse Hierarchie auch als eine Art Altersstarrsinn begreifen. Sie hat eine festgefügte Vorstellung vom religiösen, physischen, vitalen, mentalen, sozialen und sogar politischen Sein und nicht die Fähigkeit, sich davon zu lösen oder sie gar objektiv von außen zu betrachten. So ist es auch zu erklären, dass die mittlerweile aufgedeckten Fälle sexuellen Missbrauchs nur höchst widerwillig bis gar nicht aufgearbeitet werden. Es ist nicht so, dass sie unbekannt oder ein neuzeitliches Phänomen gewesen wären; ganz im Gegenteil könnte man den Eindruck haben, dass der Missbrauch mit der Hierarchie gewachsen ist. Die Ursachen des Missbrauchs sind relativ offensichtlich und spiegeln unter anderem auch den schon erwähnten geschlossenen Kreislauf der Hierarchie wider. Die Religion, und vor allem viele christliche Konfessionen, vermitteln dem Menschen seit sehr vielen Jahrhunderten oft ein sehr negatives und restriktives Bild von der menschlichen Sexualität und verursachen damit viele überflüssige Scham- und Schuldgefühle. Die Menschen, die dadurch am stärksten beeinträchtigt sind, diese also sehr ernst nehmen, wenden sich in der Hoffnung auf Erlösung der Quelle dieser Schuldgefühle als der obersten Autorität und möglichen Quelle von Hilfe gegen die eigene Qual zu. Diese Erwartungen werden nicht nur nicht erfüllt, sondern meist weiter frustriert, und darum sind viele religiöse Würdenträger aller Hierarchiestufen innerlich genauso oder noch stärker zerrissen, wie die besonders religiösen Teile der Glaubensgemeinschaft. Eine Aufarbeitung würde bei vielen an den Kern der eigenen Existenz rühren. Darum findet eine Verdrängung statt mit der Ausbildung einer Form von Schizophrenie. Speziell in der katholischen Kirche wird die Lage durch den Zölibat noch verschärft, der dem Priester effektiv eine sexuelle Betätigung verbietet und somit den Druck auf die gequälte Seele verschärft. In früheren Jahrhunderten kam als weiterer Einfluss noch die Tatsache hinzu, dass jüngere Söhne und Troublemaker mit ihren natürlichen Wünschen und Verlangen gerne in Klöster und den Priesterberuf abgeschoben wurden, ohne die dafür nötige Berufung in sich zu verspüren und ohne innerlich auf ein enthaltsames Leben eingestellt zu sein. Damit wurde eine grundlegende Bereitschaft für den Missbrauch des Amtes geschaffen, die sich nahtlos in den bereits bestehenden Machtmissbrauch einfügte und sozusagen eine Tradition begründete, gegen die sich Luther später auflehnte und die trotz Aufklärung fast unbeschadet fortbesteht und wegen ihr stärker im Verborgenen agiert.
Der Mangel an Bereitschaft zu Wandel und Veränderung hat aber auch mit einem anderen Aspekt des Seins zu tun, der nicht nur für den menschlichen, sondern ebenso für den religiösen Organismus gilt. In Indien wurde dieser Aspekt als Teil einer Trinität von Temperamenten, den Gunas, beschrieben, die das körperliche, das vitale und das geistige Sein prägen. Diese Gunas wirken zwar auf allen Ebenen des Seins, aber jedes von ihnen hat sozusagen sein Zuhause oder seinen Ausgangspunkt auf einer anderen Ebene.
Das Temperament, das Guna, das dem Körper zugeschrieben wird, ist das Tamas, das für Trägheit, Unbeweglichkeit und Unbewusstheit steht. In einem Menschen oder in einer Entität wie der Religion äußert sich Tamas im Unwillen zur Veränderung, in der Ablehnung von allem, was Energie verbraucht und Bewegung erzeugt, in Starrheit, Lähmung, im Aussitzen von Ereignissen, in der Vermeidung von Entscheidungen, in der Bewahrung von Althergebrachtem, in der Tradition, im Ansammeln, in der Konservierung und dem Erhalt des Bestehenden. Tamas ist also keine Kraft der Veränderung, sondern ihre Gegenkraft, die Bewahrung. In der indischen Philosophie ist Tamas darum die Ursache von Dunkelheit und das größte Hindernis für den Fortschritt, weswegen die damit assoziierte Körperlichkeit dem spirituellen und religiösen Fortschritt und der Erleuchtung im Weg steht und damit abgelehnt wird. So wird auch die in der heutigen indischen spirituellen Praxis weit verbreitete Weltflucht damit begründet, dass der Körper und alles irdische und weltliche den Menschen in der Welt festhält und ihm den Zugang zum Göttlichen verbaut. Und in der ein oder anderen Form findet sich diese Haltung in vielen Religionen wieder, die dann dem Suchenden den Rückzug von der Welt, z. B. in ein Kloster, und die Zurückweisung der irdischen Güter empfehlen.
Dabei wird in den Hintergrund gedrängt oder außer Acht gelassen, dass der Körper die Basis für jegliche Entwicklung ist und ein integraler Bestandteil unseres Seins. Und darum kann auch die Religion nicht auf ihren körperlichen Aspekt verzichten und benötigt vielleicht auch eine Hierarchie, die dann aber flach gehalten werden müsste und mehr von religiös-spirituellen Aspekten geprägt sein sollte. Der Körper verleiht Festigkeit und bietet einen verlässlichen Bezugspunkt. Und das mit ihm assoziierte Tamas darf auch nicht nur negativ gesehen werden. In unserem Sein hat alles seinen Platz, nur muss man diesen Platz erst finden und darf nicht versuchen, eine Sache zur Grundlage von allem zu machen. Tamas bedeutet aber auch einen Anker, der verhindert, dass man von jeder Welle, die gerade durch die Szene läuft, mitgerissen wird und vergisst, wo und wofür man steht. Und wenn man sich einmal in Bewegung gesetzt hat, dann hilft es dabei, die Bewegung beizubehalten, durchzuhalten und sich nicht ablenken und ermüden zu lassen.
Allerdings werden diese Bewegungen auch schnell mechanisch, rücksichtslos, leblos, starr und unflexibel, und darum wird hier das nächste Element in der Evolution des Seins benötigt, das Leben.
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