Das Schweigen der Männer. Andreas Erb

Das Schweigen der Männer - Andreas Erb


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Früher oder später kehren sie daher dem Sport deprimiert den Rücken.

      Die, die dabeibleiben, verstecken sich. Noch. Das Fußballmagazin »Rund« stellte 2006 einige von ihnen vor. Dass in der Geschichte keine Namen genannt wurden, erklärt sich, wenn man die Schicksale kennt: Einer ist verheiratet, ohne dass seine Frau etwas von seiner Homosexualität weiß – und sein Freund lebt in einer anderen Stadt. Ein anderer hält sich zum Schein eine gute Freundin, die in der Öffentlichkeit als Spielerfrau durchgeht. Nur aus dem Kleiderschrank traut sich dagegen (noch) niemand.

      Von diesen Erfahrungen sprechen alle, die Kontakt zu schwulen Fußballern haben und hatten. Zum Beispiel der ehemalige holländische FIFA-Schiedsrichter John Blankenstein, der nie ein Geheimnis aus seiner Homosexualität gemacht hatte. In einem seiner letzten Interviews vor seinem Tod im August 2006 behauptet Blankenstein im Fußballmagazin »Rund«: »Ich kenne einige schwule Profis, sogar in der holländischen Nationalmannschaft.« In einem Interview mit der »Welt« bricht der ehemalige Präsident des FC St. Pauli, Corny Littmann, bereits 2006 öffentlich ein Tabu: »Es gibt Homosexuelle in allen Bundesligaclubs und nach meiner Kenntnis auch in der Nationalmannschaft.« Mittlerweile sei sogar ein Netzwerk entstanden: »Etliche kennen sich und wissen voneinander.«

      Die »heile Welt« bröckelt, der Kosmos Männerfußball kann sich nicht länger von der gesellschaftlichen Entwicklung abkoppeln. So wie Nationalspieler mit Migrationshintergrund längst zur Normalität gehören, werden früher oder später auch Homosexuelle wie selbstverständlich in den deutschen Proficlubs ihrem Job nachgehen. Und irgendwie hat man das Gefühl, als habe der Sänger Xavier Naidoo mit der inoffiziellen WM-Hymne 2006 (»Dieser Weg«) bereits eine leise Vorahnung davon gehabt:

      »Dieser Weg wird kein leichter sein.

      Dieser Weg wird steinig und schwer.

      Nicht mit vielen wirst du dir einig sein,

      doch dieses Leben bietet so viel mehr.«

      Gerüchte um die Nationalelf

      Doch was meinte Ballack-Berater Becker wirklich, als er von der »Schwulencombo« Nationalmannschaft sprach? Ein Versprecher? Haltloses Geschwätz? Oder doch Kalkül? Sollte hier etwa der Eindruck vermittelt werden: »Hört, ich weiß etwas – und wenn ich will, lasse ich die Bombe einfach platzen«? Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte sich anfangs nicht auf das Niveau Beckers begeben, forderte ihn aber trotzdem kurze Zeit später auf, seine Äußerungen zu konkretisieren. Bis heute haben weder Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff noch Bundestrainer Joachim Löw öffentlich ihr Team gegen Beckers Tiraden verteidigt, wabernde Gerüchte aus der Welt geräumt oder den Ballack-Berater juristisch belangt. Angesichts der medialen Diskussionen um Ballacks Zukunft in der Nationalelf waren die diversen Äußerungen oder Auslassungen möglicherweise auch taktisch bedingt. Löw hat sich im Dezember 2010 nach langem Hin und Her öffentlich zu seinem Nationalmannschaftskapitän Ballack bekannt. In einem Interview mit der »Welt am Sonntag« stellt er klar: »Er ist Kapitän, wenn er wieder dabei ist.« Vermutlich aber wusste Löw bereits zu diesem Zeitpunkt, dass er Ballack – außer vielleicht zu dessen Abschiedsspiel – nie mehr berufen wird. Die endgültige Bestätigung dafür reichte der Nationaltrainer im Juni 2011 dann auch offiziell nach.

      Während sein Chef, DFB-Präsident Theo Zwanziger, mit gutem Beispiel vorangeht, für Offenheit und Toleranz wirbt, hüllt sich der Nationaltrainer bei einer Interviewanfrage zum Thema »Homosexualität im deutschen Fußball« nach einer intensiven und mehrwöchigen Abstimmungsphase mit Nationalelf-Pressesprecher Harald Stenger lieber in Schweigen und eröffnet damit vielfältige Interpretationsspielräume. Die Chance, deutlich und ausführlich Stellung zu beziehen, hat er ebenso vertan, wie sich schützend gegen die Beckers dieser Welt vor seine Mannschaft zu stellen. Da verwundert es auch kaum, dass Interviewan-fragen an mehrere Nationalspieler unbeantwortet bleiben. Unsicherheit? Pein? Angst? Fest steht: Es wird gemauert und geblockt, als habe Italiens Abwehr der 1970er dem altehrwürdigen Catenaccio zur Renaissance verholfen. Die Nationalmannschaft als geschlossene Gesellschaft. Ein Männerbund. Vielleicht sogar Familie?

      Genau so nämlich formuliert es Bierhoff Ende März 2011 in einem Interview mit »Bild«. Fünf Tage nach Ausstrahlung des »Tatort«-Krimis »Mord in der ersten Liga« beklagt der Nationalelf-Manager, dass die Prominenz der Nationalelf missbraucht werde, um irgendein Thema zu entwickeln oder einen Scherz zu machen. »Das sehe ich immer auch als einen Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalmannschaft.« Hintergrund war eine Szene, in der Bundesliga-Profi Ben Nennbrock (gespielt von Luk Pfaff) gegenüber Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) munter drauflos plappert: »Wissen Sie, die halbe Nationalmannschaft ist angeblich schwul, einschließlich Trainerstab. Das ist doch schon so eine Art Volkssport, das zu verbreiten.«

      Da es sich bei Löws Elf bekanntermaßen um ein Nationalheiligtum handelt, war – entgegen jeder PR-Logik und der Tatsache, dass Zwanziger ursprünglich mit seiner Idee selbst überhaupt erst den Anstoß zu diesem »Tatort« gab – mit einer gewissen Empörung fast zu rechnen. Unabhängig davon, dass es diesen »Volkssport« seit einigen Jahren tatsächlich gibt. Aber anstatt den »Tatort« als das anzusehen, was er eigentlich ist, nämlich eine fiktive und frei erfundene Kriminalgeschichte mit teils abstrusen Dialogen, sah sich Bierhoff – wie schon im Fall Becker – zu einer Übersprunghandlung animiert. Die Freude an der Arbeit werde der Nationalelf genommen, »wenn wir uns gegen haltlose Gerüchte wehren müssen«. Bierhoff bierernst weiter: »Wir werden jetzt grundsätzlich bei der Nationalelf überlegen, wie wir mit solchen Dingen umgehen. Dass wir nicht wehrlos sind gegen Gerüchte und falsche Unterstellungen aller Art.«

      Es ist kaum nachzuvollziehen, wieso Bierhoff in diesem Fall derart dünnhäutig reagiert, während die im »Tatort« ebenfalls thematisierte Hooligan-Problematik von ihm einfach ignoriert wird. Die Wortwahl des Managers offenbart zudem einen wenig intelligenten Umgang mit dem Thema. Wer von Angriffen, Gerüchten und falschen Unterstellungen spricht, suggeriert, dass er Homosexualität nach wie vor als etwas Anrüchiges, etwas Verbotenes ansieht. Wer zudem mit dem auch bei der italienischen Mafia gern verwendeten Begriff »Familie« hausieren geht, muss sich nicht wundern, wenn ihm von der Community – nicht ganz frei von Sarkasmus – vorgehalten wird, dass zu einer ordentlichen Familie, bitteschön, auch Schwestern gehören. Die wichtigste Aussage kam dem Teammanager leider nicht in den Sinn: Dass es für ihn nämlich kein Problem wäre, wenn es in der Nationalmannschaft tatsächlich homosexuelle Spieler gäbe. Eine verpasste Chance. Wieder einmal.

      Mario Gomez trikotlos – doch ein nackter Oberkörper macht noch keinen Homosexuellen.

      Kollege Löw will ihm da natürlich nicht nachstehen. In einem Interview mit der »Welt« Ende April 2011 ließ er die implizierte Unterstellung, schwul zu sein sei ein Makel, einfach unkommentiert. Das groteske Frage-Antwort-Spiel mit Dagmar von Taube, Reporterin beim Springer-Verlag, gipfelt im Versuch, Gerüchte über Löws Privatleben ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Frage: »Wie auch immer, ich sag’s jetzt einfach mal: Sie selbst, Herr Löw, wurden auch schon mal auf die homosexuelle Hälfte gedrängt, weil Sie sich gut anziehen. Was sagen Sie dazu?« Antwort Löw: »Ich habe das auch schon gehört. Was soll ich dazu sagen? Es ist wie mit dem Toupet. Auch das stimmt nicht. Fragen Sie gern meine Frau.« Machen wir gerne, bei nächster Gelegenheit.

      Niemand erwartet von schwulen Profis ernsthaft, dass sie sich »aufopfern« und ein Outing riskieren. Aber ist es wirklich zu viel verlangt, dass prominente Fußballer und Funktionäre mit klaren Worten das Thema Homosexualität im Fußball endlich aus der Schmuddelecke heraus holen? Werden hochbezahlte und von Nachwuchskickern angehimmelte Profis ihrer Vorbildfunktion überhaupt gerecht, wenn sie nicht einmal den Mut haben, sich öffentlich gegen alltägliche Diskriminierungen auszusprechen? Es scheint, als ob sich der Fußballzirkus immer noch mit Händen und Füßen gegen ein Thema wehrt, das dort offenbar nicht hingehört.

      Wieso ausgerechnet der Profi-Fußball?

      Wieso sich ausgerechnet im Profi-Fußball, anders als in der Kultur, im Showgeschäft oder in der Politik, Männer so schwer mit ihrem Outing tun, liegt auf der Hand: Kein Profi wollte bislang – neben der Angst vor Anfeindungen


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