Das Schweigen der Männer. Andreas Erb

Das Schweigen der Männer - Andreas Erb


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wenn es schwule Athleten gibt. Diskriminiert wird vorrangig durch das Nichtwahrnehmen von Homosexualität.«

      Ein bisschen erinnert das an eine Richtlinie des US-Militärs. Darin erklärt sich der Status von Homosexuellen in den Streitkräften durch das scheinheilige Schlagwort »Don’t ask, don’t tell« (»Frage nichts, sage nichts«). Demnach ist es den Soldaten verboten, gleichgeschlechtliche Beziehungen in der Öffentlichkeit zu führen und während ihrer Dienstzeit ihre sexuelle Orientierung preiszugeben. An den zahlreichen Diskussionen um das Gesetz manifestieren sich die Positionen konservativer Hardliner (»Schwule und Lesben schwächen unser Militär«) und die liberaler Demokraten, die allen Amerikanern Zugang zur Verteidigung des eigenen Landes ermöglichen wollen. Heute gilt der Ausspruch »Don’t ask, don’t tell« als Code für Menschen, die sich öffentlich nicht über ihre sexuelle Orientierung äußern und somit auch ihr persönliches Umfeld nicht anlügen wollen. Sie schweigen einfach.

      Fußball als »Pseudo-Jagd«

      Doch was zeichnet es eigentlich aus, dieses Prädikat Männersport? Was macht ihn so verdammt männlich, diesen Fußball? Was ist das Wesen des Fußballs? Der Verhaltensforscher Morris ist ebendiesem Wesen des Sports auf der Spur. Er fragt nach dem Innersten, was ihn zusammenhält, den Rasenkick. In seinem Buch »Das Spiel. Faszination und Ritual des Fußballs« (»The Soccer Tribe«) aus dem Jahr 1981 blickt er mit durchaus wissenschaftlicher Brille auf den Sport und seine Akteure. Er betrachtet den Fußballkosmos wie einen Volksstamm und beschreibt entsprechend dessen Stammesrituale, dessen Stammeshelden, dessen Stammesälteste, dessen Stammesanhänger und dessen Stammessprache. Dabei erklärt Morris auch zentrale Rollenbilder und versucht deren Ursprünge in einem kulturhistorischen Zusammenhang zu begründen. Sowohl die weltweite Attraktivität des Fußballspiels als auch seine stark männlich dominierte Wahrnehmung führt Morris auf die Funktion des Fußballs als »Pseudo-Jagd« zurück.

      Morris geht davon aus, dass sich geschlechtsspezifische Rollenbilder in der vorgeschichtlichen Zeit herausgebildet haben. »Das Menschentier ist eine Spezies für sich«, schreibt er in seiner launigen Abhandlung. »Da die Weibchen des Stammes stark von ihren Mutterpflichten in Anspruch genommen waren, kam es zur Arbeitsteilung, bei der den jungen ausgewachsenen Männchen die Hauptrolle bei der Jagd zufiel.« Die Ursache für den Übergang von Beutejägern zu Torjägern und die Entwicklung des modernen Sports sieht Morris im gesellschaftlichen Wandel an der Schwelle zur Neuzeit. Die Jagd, deren Erfüllung durch landwirtschaftliche und später industrielle Tätigkeiten hinfällig geworden sei, finde ihre Entsprechung nun eben in sportlichen Ereignissen, in der Pseudo-Jagd – im Fußball. »Die Herausforderung der Jagd, die Aufregung taktischer Manöver, das Wagnis, die Gefahr und der große Höhepunkt des Tötens« – all die damit verbundenen Verhaltensmuster haben ihren Niederschlag im Fußball.

      Den Erfolg des Fußballs – im Vergleich zu anderen Sportarten – führt Morris darauf zurück, dass der Fußball dem vorgeschichtlichen Jagdritual am ehesten entspreche. »Ein Sportereignis ist für die Zuschauer umso befriedigender, je mehr Jagdelemente zur Schau gestellt werden« – und der Fußball vereine eben die Rolle des mit taktischer Raffinesse angreifenden Jägers mit der Rolle der sich geschickt und wendig verteidigenden Beute. Dazu erhöhe ein kriegerisches Element die Spannung eines Fußballspiels: »Obwohl die Spielfolge und das ganze Ritual auf eine Pseudo-Beute abzielen, also auf der Analogie zur Jagd beruhen, wird das Endergebnis nach kriegerischen Maßstäben beurteilt.« Es gilt, einen Gegner zu schlagen, zu vertreiben, zu zerstören. Beide Kategorien, die der Pseudo-Jagd sowie das kriegerische Element, seien maßgeblich für die Erregung der Zuschauer. Im Vergleich zu anderen Sportarten biete der Fußball hier ein »Optimum an Geschwindigkeit und ein Optimum an Überraschungsmomenten«, verweist Morris auf das Tempo einer durchschnittlichen Partie, gemessen an den Ballkontakten. »Die Werte eines durchschnittlichen Fußballspiels sind geradezu ideal dafür, Aufmerksamkeit zu erregen und zu fesseln.«

      In diesem Geist beschreibt Morris den Stadionbesuch als eine männlich dominierte Stammesversammlung, bei der traditionell maskuline Attribute ritualisiert zum Ausdruck kommen. »Für die Traditionalisten in der Fußballgemeinde ist die Stammesversammlung eine gemeinsame symbolische Prüfung und kein Familienausflug zur bloßen Unterhaltung. Sie bietet heroischen Jäger-Kriegern Gelegenheit, Mut und Tapferkeit zu beweisen.« Eine stark reglementierte, konservative Sphäre mit strengen Hierarchien und autoritären Strukturen, in der die Traditionalisten stets eine Aufweichung ihres Rituals befürchten. »Die Hauptrolle der Stammesältesten besteht darin, die uralten Traditionen gegen Fortschritt und Expansionsbestrebungen zu verteidigen, deren Durchsetzung ihre Aufgabe im Geschäftsleben wäre. Die einzige Veränderung, die sie anstreben, ist eine erhöhte Torquote.«

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      Fußball als Jagd: Verhaltensforscher Desmond Morris, hier 1981 im Gespräch mit dem damaligen Bundestrainer Helmut Schön.

      So ist der Fußball geprägt durch traditionell-konservative Rollenbilder von Mann und Frau, meint Morris. Dies gilt insbesondere für die Athleten, die Stammeshelden. Denn für Individualität gibt es im Gruppenzwang des Mannschaftslebens wenig Raum, es gilt eine gewisse Uniformität. Für Anderssein ist kein Platz. Schließlich erfahren die jungen Spieler ihre Sozialisation bereits im Fußballkosmos: »Die breite Mehrheit der Stammeshelden war von frühester Jugend an tief in die Welt des Fußballs verstrickt, und Erfolg in dieser Welt war der ewige Traum und die Phantasievorstellung der Jugend. Um Erfolg zu haben, dürfen die Jungen von Beginn ihres Lebens an nur eines im Sinn haben, und da bleibt wenig Zeit, sich um Bücher zu kümmern. Wo immer sich der aufstrebende Held auch befindet, im Geiste rennt er insgeheim stets mit einem Ball vor den Füßen über den Rasen. Das ist das Holz, aus dem zukünftige Stammeshelden geschnitzt sind.«

      Helden kennen keine Schwächen

      Dabei erkennt Morris in der Rolle des Stammeshelden einen grundsätzlichen Konflikt: »Um Erfolg zu haben, muss er andere ausstechen und überflügeln, gleichzeitig kann er aber nur dann erfolgreich sein, wenn er sich kooperativ in die Mannschaft einfügt. Einerseits muss er auf aggressive Art und Weise selbstbezogen sein und sich in den Mittelpunkt stellen; andererseits muss er zurückhaltend und hilfreich sein. Zum großen Teil erklärt dieser fundamentale Widerspruch die Persönlichkeit des modernen Fußballspielers.« Im Wettbewerb mit anderen Teams muss sich der Sportler mit seiner Mannschaft kontinuierlich behaupten, doch auch innerhalb der eigenen Mannschaft ist er einem ständigen Kampf um den Stammplatz ausgesetzt – obgleich sich die Truppe nach außen hin als Einheit präsentieren soll. »Das Bild von ›Elf Freunde müsst ihr sein‹ ist eine idealisierte Vorstellung einer Fußballmannschaft und im Liga-Alltag fern der Realität«, sagt auch Pilz. Fußballer sind Einzelkämpfer, obwohl sie im Kollektiv einer Mannschaft auftreten.

      Diese angespannte Wettbewerbssituation erfordert also Persönlichkeiten, die stabil, diszipliniert, zäh, gewissenhaft, selbstbeherrscht, selbstsicher und egozentrisch, fast schon narzisstisch und selbstsüchtig sind. Dazu kommt die Teamfähigkeit als zusätzliche Stärke, wenn Erfolge errungen werden sollen. Morris: »Sobald er auf dem Rasen ist, muss des Spielers Persönlichkeit mit den zehn anderen Persönlichkeiten verschmelzen, um eine Mannschaft in ein Superwesen zu verwandeln – ein 22-beiniges Monster mit einem einzigen Ego.« Der Spieler muss eine »unvermeidliche, egozentrische Selbstsüchtigkeit mit einem selbstlosen Mannschaftsgeist verbinden«.

      Ein Spannungsfeld, mit dem sich gerade in jüngerer Zeit – nach dem Selbstmord von Nationaltorhüter Robert Enke im Herbst 2009 – auch Psychologen intensiver als zuvor beschäftigen. Ein Spannungsfeld, das in einer leistungsorientierten Sphäre die Drucksituation, in der sich der Spitzenfußballer befindet, zusätzlich verstärkt. Diesem Druck hielt Enke seinerzeit nicht stand; er litt an Depressionen, die ihn letztlich in den Freitod trieben. Sein Leid hielt er selbst in seinem näheren Umfeld geheim. Umso schockierter war die Öffentlichkeit, waren Verein, Mitspieler und Verbände, als sie von der Nachricht seines Todes erfuhren.

      Schließlich machen es gerade im Fußball überzogene männliche Rollenklischees und Anforderungen wie »Härte zeigen« oder »Zähne zusammenbeißen« für Leistungssportler schwierig, sich zu psychischen Problemen zu bekennen. Denn es ist sportimmanent, dass Schwäche auf dem Platz hart bestraft wird – durch einen gnadenlosen


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