Ulrichshof. Paul Keller

Ulrichshof - Paul  Keller


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eingestehen, ich war neugierig. Ich las ein Buch über Geheimfächer, das in der Schlossbibliothek ist, und als Tobias einmal vierzehn Tage Urlaub hatte, bastelte ich so lange an seinem Schreibtisch, bis ich das Geheimfach entdeckt und geöffnet hatte. Ich fand unter anderen Papieren, die ich natürlich unberührt liess, das Manuskript zu Ihrer Doktordissertation und drei von Ihnen an Tobias gerichtete Briefe, in denen Sie sich für seine ausgezeichnete Arbeit bedanken, durch die Sie ja in der Tat „summa cum laude“ promoviert haben. Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Eberhard von Kobel: als Schüler schreibe ich ab, wenn ich es nötig habe, das ist alter Pennälerbrauch, das ist selbstverständlich; aber wenn ich einmal an den Doktor heran will, dann soll mich eher der Teufel holen, als dass ich mir von einem anderen die Dissertation machen lasse und dann als ein mit fremden Federn geschmückter Hahn in der Welt umherstolziere. Ich habe Ihre in Tobias’ Handschrift verfasste Dissertation und Ihre an Tobias dieserhalb gerichteten Briefe gestohlen und sie in ein viel sichereres Verwahrsam gebracht, als es das Geheimfach des Tobias ist. Tobias weiss noch heute nichts über das Abhandenkommen der Papiere.

      Nun, Herr Eberhard von Kobel, fordere ich von Ihnen, dass Sie von dem grossen Erbteil, das Brigitte und ich von unserer seligen Mutter haben, soviel freigeben, dass wir beiden Kinder und Tobias in der Stadt leben können. In drei Jahren werde ich majorenn, von da an ordne ich meine Angelegenheiten selbst.

      Sie haben mir heute ‚befohlen‘, an Sie zu schreiben. Nun habe ich geschrieben.

      Julius von Kobel.“

      Der Jüngling hieb mit der Faust auf den Brief.

      „Das bekommt er! Das wird sitzen. Das ist der erste Akt meiner Rache an dem Schufte.“

      „Julius“, mahnte Heinrich Martin, „er ist immerhin dein Vater —“

      Brigitte weinte tief in sich hinein.

      „Ach was, Vater! Diesen Einwurf habe ich erwartet. Passt auf!“ Er zog ein bedrucktes Blatt aus der Tasche.

      „Dieses hier ist von einem namhaften weisen Manne geschrieben.

      ‚Ehre Vater und Mutter!‘ Das ist gut . . . Aber, Mann, ehre die Mutter deiner Kinder, Frau, ehre den Vater deiner Kinder, Vater und Mutter, ehrt eure Kinder! Bereitet euch niemals untereinander Schaden und Unehre! Das ist ein ebenso richtiges Gesetz wie das des Moses, und wer es nicht befolgt, dem wird es nicht wohlergehen, und er wird nicht lange leben auf Erden.“

      Kreidig war das Gesicht des Jünglings. Unnatürlich laut sagte er:

      „Das, was der Mann geschrieben hat, ist richtig, richtig wie die Bibel. Heinrich, weisst du, dass ich nicht in unsere Verbindung eintreten wollte, weil ich mich durch meinen Vater entwürdigt fühlte?“

      „Eine Festungshaft ist nichts Entwürdigendes, und was so dazu führt, ist eben üblich in der Welt.“

      „Schöne Üblichkeit, haha! Die ganze Gesellschaftsmoral soll in die Mistpfütze geworfen werden, da gehört sie hin!“

      Ein Donnerschlag draussen. Heinrich eilte ans Fenster.

      „Der Sturm hat die Heuscheuer abgedeckt.“

      „Haha! Es wird ein Sturm kommen, der die ganze Bude hier niederreisst und alle Buden, in denen Herrenleute hausen. Dieses Haus war immer ein Sündennest. Frag nur die alte Hexe unten, die meine Grossmutter ist, die mit den Toten spricht und den Teufel durch die Karten um Rat fragt, frag sie, ob sie noch auf den Schutz und Segen des Himmels hofft.“

      „Ich bitte dich, Julius“, weinte Brigitte auf, „schicke den Brief nicht ab, er ist so schrecklich grob.“

      „Er ist wirklich zu grob“, sagte Heinrich.

      „Wartet ein wenig, ich bin bald wieder da!“

      Eben donnerte die zweite Hälfte des Scheunendaches zu Boden.

      Bedrückt sassen Heinrich Martin und Brigitte am Tisch.

      Nach fünf Minuten war Julius zurück. Es war vom Wetter zerzaust und durchnässt.

      „Der Brief liegt im amtlichen Brieflasten!“ sagte er.

      „Weine nicht so sehr, Brigitte! Der, um den diese Tränen rinnen, verdient sie wahrlich nicht. Brigitte, du weisst nicht alles von jenem Manne, der leider Gottes für uns ‚Vater‘ heisst. Du weisst nicht das Schwerste, du sollst es auch nie, nie erfahren. Du sollst mir bloss glauben, wenn ich dir sage, dass Eberhard von Kobel der Mörder unserer Mutter ist, der bewusste Mörder unserer Mutter. O, man kann nicht bloss morden mit Pistole und Dolch, am leichtesten mordet es sich durch Gift, nicht mit Arsen und anderen Giften, die die Gerichtschemiker leicht nachweisen, worauf dann der Henker droht, nein, mit anderen Giften, die ebenso tödlich wirken, von denen viele Leute wissen, die doch nicht imstande sind, den elenden Giftteufel vor das Gericht zu bringen. Brigitte, Heinrich, glaubet mir, es gibt keinen anderen Richter und Rächer auf Erden, was meine Mutter betrifft, als mich. Und diesen Richter und Rächer soll Eberhard von Kobel finden. Dieser Richter und Rächer wird weder Erbarmen noch Gnade kennen.“

      Er hatte mit der Leidenschaftlichkeit der Jugend gesprochen, die sich am eigenen Mut, am eigenen Zorn, an den eigenen Worten berauscht, die in der Liebe wie im Hass masslos ist. Junge Augen träumen am süssesten, junge Zähne knirschen am lautesten.

      Keines von den dreien hatte bemerkt, dass sich der Vorhang zum Nachbarzimmer leise verschoben hatte und der alte Tobias eingetreten war. Er hatte die letzte Rede des Julius mit angehört.

      „Erschreckt nicht, es ist nur euer alter Toby.“

      Sie erschraken doch alle drei. Dann fragten sie, warum er denn aufgestanden sei bei seinem kranken Zustande. Er bedürfe der Ruhe.

      „Das ist keine Nacht der Ruhe. Auch die Dienstleute schlafen nicht. Julius, gerade in dieser Nacht solltest du nicht so harte Worte sprechen wie eben jetzt. Deine Mutter war milde. Hast du je gehört, dass sie ein rachsüchtiges Wort gegen deinen Vater gesagt hätte?“ „Sie war ein Frau. Sie war edel, allzu edel. Deshalb ging sie zugrunde. Ich bin keine Frau, ich will auch nicht edel und nachsichtig sein, ich bin ein junger Mann, der sein Recht und seine Ehre vertritt und Recht und Ehre der Seinen, der allen denen, die ihm oder den Seinen zu nahe treten, an die Gurgel fahren wird, dass ihnen die Luft ausgeht.“

      Tobias erwiderte:

      „Jugend ist stark, trotzig, rachsüchtig. Zum Teil beruht das auf ihrer Unschuld. Weil sie selbst noch nichts drückt an ernster Schuld, haben sie für die Schuld anderer kein Verständnis. Die Jungen sind die härtesten und ungerechtesten Richter. Ach, Julius,

      ‚Wer nie sein Brot mit Tränen ass,

      Wer nie die kummervollen Nächte

      Auf seinem Bette weinend sass,

      Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

      Ihr führt ins Leben uns hinein,

      Ihr lasst den Armen schuldig werden,

      Dann überlasst ihr ihn der Pein,

      Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.‘

      Julius, noch ist deine Seele wie ein weiches, wenn auch wildes Meer. Jedes Seeräuberschiff, jeden Kahn, in dem ein zotiges Lied gesungen wird, möchtest du am Ufer zornig zerschellen. Warte nur, bis die Klippen aus der eigenen Tiefe wachsen, Vulkane aufspringen und böse Sandbänke hinterlassen, sieh erst zu, wie dir von den eigenen Schiffen eines nach dem andern scheitern wird, dann wirst du milder urteilen über alles, was du rund um dich als Schuld ansiehst. Wenn dich die himmlischen Mächte erst einmal haben schuldig werden lassen, wenn auch du erst einmal um dich selber weinend in kummervollen Nächten auf deinem Lager gehockt hast, dann erst wirf dich zum Richter über andere auf.“

      „Tobias, mir hilft weder Goethes Weisheit noch deine. Meine Weisheit liegt im Blute, und das will Rache.“ Ein Kammermädchen erschien.

      „Ich suche Herrn Doktor Tobias. Hoheit lässt Herrn Doktor sagen, er möchte trotz der vorgerückten Stunde bald einmal nach dem Teezimmer kommen.“

      „Woher wussten Sie, dass er hier


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