Stark wie die Mark. Rudolf Stratz

Stark wie die Mark - Rudolf Stratz


Скачать книгу
sind Sie auch der erste Mensch, der das ...“

      „Doch! Doch! ... Sehen Sie mal: die Berliner halten jeden, der Kartoffeln baut, für dumm! ‚Jotte doch! So ’n Ajrarier!‘ Da zuckt schon der Jüngling an der Heringstonne mitleidig die Achseln. Ein Segen fürs Geschäft! ... Ich kann ein Gesicht machen, töricht wie ein Waisenknabe, wenn es sein muss! Ich reiss’ die Leutchen nicht aus ihren Illusionen!“

      „Ja. Sie ...“

      „Wollen Sie mit mir frühstücken, Zültz? Ich seh’s der kleinen Gnädigen an: sie hat Hunger! Ich hab’ einen Bordeaux — noch ehrenfeste Bremer Ware, nicht das moderne Gesöff! ... Tröstet einen bei den schlechten Zeiten! ... Das Geld ist knapp! Ich bin froh, dass ich bei meiner Bank Kredit habe! Aber wie so ’n brauner Lappen in Natura ausschaut, das weiss ich kaum mehr! Nee — Spass beiseite ... wahrhaftig, Verehrtester!“

      Dabei zwinkerte er den andern treuherzig aus seinen kleinen wässerigen Augen an. Das war deutlich genug. Es hiess: ‚Gib dir keine Mühe! Ich weiss schon alles! Aber hier jibt’s nischt! ... Keinen polnischen Groschen!‘ Kaspar von der Zültz begriff das. Er stieg entschlossen wieder in den Wagen. Der Bernöweler heuchelte Erstaunen.

      „Und ich dachte, Sie hätten mir was zu sagen?“

      „Ach nee — lieber nich!“

      „Na, denn: ’Morjen!“

      „’Morjen!“

      Als sie ausser Sicht der grossen Spiritus- und Schinkenfabrik waren, sagte Ilse kläglich: „Papa! Ich hab’ aber wirklich Hunger!“

      Ihr Vater fuhr aus seinen Gedanken auf und strch sich über die Stirne, auf der trotz des lauen Maiwindes kalte Schweisstropfen perlten.

      „Ja, ja!“ sagte er. „Die Gäule müssen ja auch verschnaufen!“

      Sie frühstückten unter alten Linden vor einem Dorfkrug. Ilse fütterte die Hühner und streute Krümel für die Spatzen und ahmte als sachkundiges Landkind das gereizte: ‚Kauder! Kauder!‘ des grossen Truthahns nach, bis dem vor Zorn der ganze Hals blaurot schwoll. Ihr Vater sah sie, den Kopf auf die Hand gestützt, gramvoll von der Seite an, wie sie, seelenvergnügt kauend, in ihrem weissen Kleidchen dasass, auf dem durch das noch halbkahle Lindengeäst hindurch die goldenen Sonnenkringel tanzten, das zarte, schmale Kindergesicht mit den dunklen Augen von dem grossen Strohhut überschattet. Dann fuhren sie weiter. Auf Rosenrade zu. Das war kein schlichter Edelsitz wie die andern. Das war ein Schloss, neuerbaut, mit ragenden Türmen, inmitten eines englischen Parks. Hier kam es aufs Geld nicht an. Die Herrin des Hauses stammte aus Hamburg und hatte die drei wilden Schwäne im Wappen derer von Machwitz neu vergoldet. Ihr Gatte war reicher, als es seine Vorfahren hier in sechshundert Jahren je gewesen. Er war ein blonder, eleganter Mann mit einem langen Heidelberger Durchzieher über die linke Backe, Dr. juris, Kammerherr, mit seiner Frau mehr in seiner Stadtwohnung in Berlin, bei Hof und in der Hofgesellschaft zu Hause als hier draussen. Zu ihm kam man nicht so leicht wie zu den andern. Ein Haushofmeister meldete an, ein Lakai verschwand mit der Karte, ein zweiter führte den Besucher geräuschlos in das Arbeitskabinett.

      „Bitte, nehmen Sie Platz! Womit kann ich dienen, Herr von der Zültz?“

      Es klang äusserst kühl. Zurückhaltend bis zur Möglichkeit. In seiner gesellschaftlichen Stellung vermied der Kammerherr von Machwitz auf Rosenrade alles, was nicht ganz zweifelsohne war, so ängstlich wie mit Lackschuhen eine Pfütze am Wege. Der andere fühlte das. Er sagte sich: ‚Was fahr’ ich eigentlich bei all den Leuten herum? Es hilft ja nichts! Ich bin ja im Kreise bekannt wie ’n bunter Hund!‘ Aber er war nun einmal da. Er lachte und hüstelte und fing zu reden an. Nicht lange. Dann machte Herr von Machwitz eine Handbewegung.

      „Ersparen wir uns das weitere, Herr von der Zültz! Ich bin leider ganz ausserstande ...“

      „Ja, aber lassen Sie mich nur ...“

      „... völlig ausserstande, mich mit Ihren Angelegenheiten zu befassen! Diese Berliner Geschäfte sind nicht nach meinem Geschmack ... bitte, verargen Sie mir meine Offenheit nicht!“

      „O bitte sehr!“

      Der Kammerherr begleitete mit der Höflichkeit, die ihn nie verliess, seinen Gast bis an die Schwelle des Schlosses. Er begrüsste auch Ilse, die im Wagen aufstand und knickste, mit einer Verbeugung, als sei sie schon eine Dame. Das schmeichelte der Kleinen. Sie war vor Verlegenheit rot geworden. Wieder trotteten die Gäule dahin. Sie liessen die Köpfe hängen. Es ging im Schritt. Die Räder mahlten in weichem Sand. Kaspar von der Zültz schrak empor: „Wo sind wir denn zum Kuckuck?“

      „Bei Görtzke, gnädiger Herr!“

      Der Kutscher deutete mit der Peitsche nach dem kaum hundert Schritt entfernten Gutshof hinüber. An den grenzte ein See. Ein grauköpfiger, grossgewachsener, hagerer Herr ging da still spazieren, der verwitwete Generalleutnant von Stobberow, dessen beide Söhne 1870 an einem Tag gefallen waren. Es hatte keinen Zweck, den einsamen, weltabgeschiedenen Mann erst aufzusuchen. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit der Rettung. Kaspar von der Zültz rang mit sich, fuhr sich mit der Hand zwischen Hals und Kragen, als würgte ihn da etwas, und stiess endlich heiser hervor: „Nach Sommerwerk! Zu Exzellenz von Bornim!“

      Die Sonne stand tief am Horizont. Die Schatten der Bäume wurden lang. Wilde Enten strichen schweren Flügelschlags über den See zur Linken. Wanderstare schwatzten schlaftrunken zu Tausenden im Schilf. Fledermäuse huschten. Kaspar von der Zültz sagte plötzlich: „Ja, damals, wie die gute Mama noch gesund war, Ilse — das war ein Leben ...“

      Und dann, weich: „Da hab’ ich nicht so auf den Landstrassen herumgelegen. Da war ich daheim. Ich hab’ sie sehr lieb gehabt, Kind!“

      Und endlich: „Ich hab’ sie auch jetzt noch lieb! ... Dich auch, Ilse!“

      Seine Augen waren feucht. Die Kleine bemerkte es im Dämmern nicht. Sie war müde. Drüben blitzten Lichter. Das war das mächtige Herrenhaus von Sommerwerk, dem grössten Dominium rings im Lande. Man unterschied nur noch undeutlich die hohen Giebel und die weiten Dächer der Stallungen und Speicher dahinter. Kaspar von der Zültzs Herz pochte. Er dünkte sich sonst in seiner selbstbewussten, lässigen Art jedem überlegen. Aber vor dem alten Bornim hatte er einen Heidenrespekt, wie alle Welt. Er war förmlich froh, als er gebeten wurde, einen Augenblick im Salon zu verziehen. Exzellenz seien noch über Land, würden aber bald kommen.

      In der Tat fuhr gleich darauf ein hochräderiger Break vor, in dem Wilke von Bornim und zwei andere alte Herren sassen. Sie nahmen vor dem Hause voneinander Abschied. Von der Zültz hörte durch die offenen Fenster, wie der eine raunte: „Überhaupt — was macht Minnigerode jetzt in Berlin? Die Wahlen sind doch erst im Herbst!“

      Darauf ein gedämpftes: „Kommen Sie diesen Sommer mal nach Varzin, Bornim?“

      Ein Nicken.

      „Also dann sagen Sie ihm, dass wir ...“

      Das weitere erstarb in einem Gemurmel. Der Schatten Bismarcks lag einen Augenblick über den drei Junkern. Dann zogen die Pferde an. Die beiden andern fuhren weiter. Wie zwei alte Geier sassen sie mit ihren scharfen, verwitterten Köpfen, in ihre Mäntel gewickelt, oben auf dem Wagen, und Wilke von Bornim trat in sein Haus.

      Diese unheimlichen, leuchtenden blauen Augen! In denen lag so etwas von selbstlosem Fanatismus ... rücksichtslosem Einsetzen der eigenen Persönlichkeit ... ein: ‚Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen!‘ ... Es war Kaspar von der Zültz gar nicht wohl zumut unter dem Blick des alten Herrn. Sie sassen einander gegenüber. Er konnte keine Umschweife mehr machen. Er war ganz matt und kaputt. Er brach nach wenigen Sätzen los: „... und kurz und gut: Wenn ich nicht heute noch Zwanzigtausend Mark auftreib’, so werde ich einfach verhaftet ... vielleicht schon diese Nacht ...“

      In dem hundertfach gefurchten Antlitz des alten Bornim regte sich nichts. Die Lampe beschien hell sein aufrechtstehendes, weisses Haar, den kampflustig gesträubten, schlohweissen Schnurrbart. Er rauchte. Er sprach kein Wort. Der andere sprang auf. Er lachte heiser.

      „Herrgott — das ist ja grässlich,


Скачать книгу