Das Gemeindekind. Marie von Ebner-Eschenbach

Das Gemeindekind - Marie von Ebner-Eschenbach


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wird zuerst auf ihn gefahndet. Er war vor kurzem da, hat seine Kinder beim Gemeindehirten in Kost gegeben und ist mit seinem Weibe wieder abgezogen.

      Nach kaum einer Woche wurde das Paar in einer Diebesherberge an der Grenze entdeckt, in demselben Moment, in dem Holub einen Teil der in Stücke gebrochenen Monstranz aus der Kirche von Kunovic an einen Hausierer verhandeln wollte. Der Strolch konnte erst nach heftigem Widerstand festgenommen werden. Die Frau hatte sich mit stumpfer Gleichgültigkeit in ihr Schicksal gefügt. Bald darauf traten beide in B. vor ihre Richter.

      Die Amtshandlung, durch keinen Zwischenfall gestört, ging rasch vorwärts. Von Anfang an behauptete Martin Holub, nicht er, sondern sein Weib habe das Verbrechen ausgeheckt und ausgeführt, und so oft die Unwahrscheinlichkeit dieser Behauptung ihm dargetan wurde, so oft wiederholte er sie. Dabei verrannte er sich in sein eigenes grob gesponnenes Lügennetz und gab das widrige, hundertmal dagewesene Schauspiel des ruchlosen Wichtes, der zum Selbstankläger wird, indem er sich zu verteidigen sucht.

      Merkwürdig hingegen war das Verhalten der Frau.

      Die Gleichförmigkeit ihrer Aussagen erinnerte an das bekannte: Non mi ricordo; sie lauteten unveränderlich:

      „Wie der Mann sagt. Was der Mann sagt.“

      In seiner Anwesenheit stand sie regungslos, kaum atmend, den Angstschweiss auf der Stirn, die Augen mit todesbanger Frage auf ihn gerichtet. War er nicht im Saale, konnte sie ihn nicht sehen, so vermutete sie ihn doch in der Nähe; ihr scheuer Blick irrte suchend umher und heftete sich plötzlich mit grauenhafter Starrheit ins Leere. Das Aufklinken einer Tür, das leiseste Geräusch machte sie zittern und beben, und erschaudernd wiederholte sie ihr Sprüchlein:

      „Wie der Mann sagt. Was der Mann sagt.“

      Vergeblich wurde ihr zugerufen: „Du unterschreibst dein Todesurteil!“ — es machte keinen Eindruck auf sie, schreckte sie nicht. Sie fürchtete nicht die Richter, nicht den Tod, sie fürchtete „den Mann“.

      Und auf diese an Wahnsinn grenzende Angst vor ihrem Herrn und Peiniger berief sich ihr Anwalt und forderte in einer glänzenden Verteidigungsrede, in Anbetracht der zu Tage liegenden Unzurechnungsfähigkeit seiner Klientin, deren Lossprechung. Die Lossprechung nun konnte ihr nicht erteilt werden, aber verhältnismässig mild war die Busse, die der Mitschuldigen an einem schweren Verbrechen auferlegt wurde. Das Verdikt lautete: „Tod durch den Strang für den Mann, zehnjähriger schwerer Kerker für die Frau.“

      Barbara Holub trat ihre Strafe sogleich an. An Martin Holub wurde nach der gesetzlich bestimmten Frist das Urteil vollzogen.

      –––––––––––

      II.

      An den Vorstand der Gemeinde Soleschau trat nun die Frage heran: Was geschieht mit den Kindern der Verurteilten? Verwandte, die verpflichtet werden könnten, für sie zu sorgen, haben sie nicht, und aus Liebhaberei wird sich niemand dazu verstehen.

      In seiner Ratlosigkeit verfügte sich der Bürgermeister mit Pavel und Milada nach dem Schlosse und liess die Gutsfrau bitten, ihm eine Audienz zu gewähren.

      Sobald die alte Dame erfuhr, um was es sich handelte, kam sie in den Hof geeilt, so rasch ihre Beine, von denen eines merklich kürzer als das andere war, es ihr erlaubten. Das scharf geschnittene Gesicht vorgestreckt, die Brille auf der Adlernase, die Ellbogen weit zurückgeschoben, humpelte sie auf die Gruppe zu, die ihrer am Tor wartete. Der Bürgermeister, ein stattlicher Mann in den besten Jahren, zog den Hut und machte einen umfänglichen Kratzfuss.

      „Was will Er?“ sprach die Schlossfrau, indem sie ihn mit trüben Augen anblinzelte. „Ich weiss, was Er will; aber da wird nichts daraus! um die Kinder der Strolche, die unsern braven Pfarrer erschlagen haben, kümmr’ ich mich nicht . . . Da ist ja der Bub. Wie er ausschaut! Ich kenn ihn; er hat mir Kirschen gestohlen. Hat Er nicht?“ wendete sie sich an Pavel, der braunrot wurde und vor Unbehagen zu schielen begann.

      „Warum antwortet Er nicht? warum nimmt Er die Mütze nicht ab?“

      „Weil er keine hat“, entschuldigte der Bürgermeister.

      „So? was sitzt ihm denn da auf dem Kopf?“

      „Struppiges Haar, freiherrliche Gnaden.“

      Ein helles Lachen erscholl, verstummte aber sofort, als die Greisin den dürren Zeigefinger drohend gegen die erhob, die es ausgestossen hatte.

      „Und da ist das Mädel. Komm her.“

      Milada näherte sich vertrauensvoll, und der Blick, den die Gutsfrau auf dem freundlichen Gesicht des Kindes ruhen liess, verlor immer mehr von seiner Strenge. Er glitt über die kleine Gestalt und über die Lumpen, von denen sie umhangen war, und heftete sich auf die schlanken Füsschen, die der Staub grau gefärbt hatte.

      Einer der plötzlichen Stimmungswechsel, denen die alte Dame unterworfen war, trat ein.

      „Allenfalls das Mädel,“ begann sie von neuem, „will ich der Gemeinde abnehmen. Obwohl ich wirklich nicht weiss, wie ich dazu komme, etwas zu tun für die Gemeinde. Aber das weiss ich, das Kind geht zu Grunde bei euch, und wie kommt das Kind dazu, bei euch zu Grunde zu gehen?“

      Der Bürgermeister wollte sich eine bescheidene Erwiderung erlauben.

      „Red Er lieber nicht,“ fiel die Gutsfrau ihm ins Wort, „ich weiss alles. Die Kinder, für welche die Gemeinde das Schulgeld bezahlen soll, können mit zwölf Jahren das A vom Z nicht unterscheiden.“ —

      Sie schüttelte unwillig den Kopf, sah wieder auf Miladas Füsse nieder und setzte hinzu: „Und die Kinder, für welche die Gemeinde das Schuhwerk zu bestreiten hat, laufen alle barfuss. Ich kenn euch,“ wies sie die abermalige Einsprache zurück, die der Bürgermeister erheben wollte, „ich hab es lang aufgegeben, an euren Einrichtungen etwas ändern zu wollen. Nehmt den Buben nur mit und sorgt für ihn nach eurer Weise; der verdient’s wohl, ein Gemeindekind zu sein. Das Mädel kann gleich da bleiben.“

      Der Bürgermeister gehorchte ihrem entlassenden Wink, hocherfreut, die Hälfte der neuen, seinem Dorfe zugefallenen Last losgeworden zu sein. Pavel folgte ihm bis ans Ende des Hofes. Dort blieb er stehen und sah sich nach der Schwester um. Es war schon eine Dienerin herbeigeeilt, der die gnädige Frau Anordnungen in bezug auf Milada erteilte.

      „Baden,“ hiess es, „die Lumpen verbrennen, Kleider aussuchen aus dem Vorrat für Weihnachten.“

      „Bekommt sie auch etwas zu essen?“ fuhr es Pavel durch den Sinn. Sie ist gewiss hungrig. Seitdem er dachte, war es seine wichtigste Obliegenheit gewesen, das Kind vor Hunger zu schützen. Kleider haben ist schon gut, baden auch nicht übel, besonders in grosser Gesellschaft in der Pferdeschwemme. — Wie oft hatte Pavel die Kleine hingetragen und sie im Wasser plätschern lassen mit Händen und Füssen! — Aber die Hauptsache bleibt doch — nicht hungern.

      „Sag, dass du hungrig bist!“ rief der Junge seiner Schwester ermahnend zu.

      „Jetzt ist der Kerl noch da! wirst dich trollen?“ hallte es vom Schlosse herüber.

      Der Bürgermeister, der schon um die Ecke des Gartenzauns biegen wollte, kehrte um, fasste Pavel am Kragen und zog ihn mit sich fort.

      Drei Tage dauerten die Beratungen der Gemeindevorstände über Pavels Schicksal. Endlich kam ihnen ein guter Gedanke, den sie sich beeilten auszuführen. Eine Deputation begab sich ins Schloss und stellte an die Frau Baronin das untertänigste Ansuchen: weil sie schon so dobrotiva (allergütigst) gewesen, sich der Tochter des unglücklichen Holub anzunehmen, möge sie sich nun auch seines Sohnes annehmen.

      Der Bescheid, den die Väter des Dorfes erhielten, lautete hoffnungslos verneinend, und die Beratungen wurden wieder aufgenommen.

      Was tun?

      „Das in solchen Fällen Gewöhnliche,“ meinte der Bürgermeister; „der Bub geht von Haus zu Haus und findet jeden Tag bei einem andern Bauern Verköstigung und Unterstand.“

      Alle Bauern lehnten ab. Keiner wünschte, den Sprössling der Raubmörder zum


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