Die Vögel. Tarjei Vesaas

Die Vögel - Tarjei Vesaas


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       Tarjei Vesaas

       DIE VÖGEL

      Aus dem Norwegischen von

      Hinrich Schmidt-Henkel

      Mit einem Nachwort von

      Judith Hermann

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       INHALT

       DIE VÖGEL

       I

       II

       III

       ANHANG

       NACHWORT VON JUDITH HERMANN

       BIOGRAFIEN

I

       1

      Mattis schaute, ob der Himmel jetzt am Abend klar und wolkenlos war. Ja, war er. Dann sagte er zu seiner Schwester Hege, um ihr eine Freude zu machen:

      »Du bist ja ein Blitz, du!«, sagte er zu ihr.

      Dass er dieses Wort in den Mund nahm, erschreckte ihn ein wenig, war aber ungefährlich, denn der Himmel war schön.

      »Mit deinen Stricknadeln, meine ich«, fügte er hinzu.

      Hege nickte unbeeindruckt und arbeitete weiter an der großen Jacke. Die Nadeln blitzten. Sie strickte gerade eine große achtblättrige Rose, die bald zwischen den Schultern eines Mannes sitzen würde.

      »Ja, ich weiß«, sagte Hege wie nebenbei.

      »Ich versteh nämlich auch was davon, Hege.«

      Er tippte sich leicht mit dem Mittelfinger aufs Knie – wie immer beim Nachdenken. Auf und nieder, auf und nieder. Hege hatte es längst aufgegeben, ihm diese lästige Gewohnheit ausreden zu wollen.

      Mattis sprach weiter:

      »Aber du bist nicht nur bei so Achtblattrosen ein Blitz, das bist du bei allem, was du machst.«

      Sie wehrte ab:

      »Ja, ja, ja.«

      Mattis schwieg zufrieden.

      Das Wort Blitz in den Mund zu nehmen, war so verlockend für ihn. Wenn er das Wort gebrauchte, gab es in seinem Schädel eine Art merkwürdiger Querfurchen, fand er, und das zog ihn an. Vorm himmlischen Blitz hatte er eine heilige Angst – und bei schwülem oder schwer bewölktem Sommerwetter hätte er das Wort niemals verwendet. Heute Abend war es ungefährlich. Gewittert hatte es in diesem Frühjahr schon zwei Mal, mit gewaltigem Donner. Als es ganz schlimm zuging, hatte sich Mattis wie gewöhnlich auf dem Klo versteckt – ihm hatte mal jemand gesagt, in so ein Häuschen würde der Blitz nicht einschlagen. Ob das überall auf der Welt galt, wusste Mattis nicht, aber hier bei ihnen war es bis zum heutigen Tag immer so gewesen, zum Glück.

      »Ein Blitz, ja«, murmelte er, irgendwie immer noch zu Hege gewandt, die sein prahlerisches Lob heute Abend schon leid war. Aber Mattis war noch nicht fertig:

      »Ich meine, auch beim Denken«, sagte er.

      Da blickte sie rasch auf, wie verängstigt, er hatte an etwas Gefährliches gerührt.

      »Das genügt jetzt für heute«, sagte sie, steif und abweisend.

      »Was ist denn?«, fragte er.

      »Nichts. Sei einfach still.«

      Hege drückte alles weg, was herauswollte. So lange nagte schon das Unglück mit ihrem einfältigen Bruder an ihr, dass sie zusammenzuckte und einen Stich verspürte, wenn Mattis das Wort denken verwendete.

      Mattis hatte etwas bemerkt, aber er rechnete es seinem ständigen schlechten Gewissen zu, weil er nicht arbeitete wie andere Leute – und er kam mit dem ewigen Spruch, den sie beide nur allzu gut kannten:

      »Morgen musst du für mich was zu tun finden. So geht das nicht weiter.«

      »Ja«, sagte sie in die Luft.

      »Das ist doch nicht mitanzusehen. Ich habe nichts mehr dazuverdient seit …«

      »Ja, du hast lange nichts Nützliches mehr gemacht.« Das entschlüpfte ihr unwillkürlich, etwas scharf. Es tat ihr sofort leid, aber zu spät, in dieser Frage ertrug Mattis nicht das Geringste, es sei denn, er sagte es selbst.

      »So darfst du nicht mit mir reden.« Er schaute verdrossen.

      Sie wurde rot und senkte den Kopf.

      »Red ordentlich mit mir.«

      »Ja, mache ich.«

      Hege saß mit gesenktem Kopf da. Was sollte man auch tun, es war unmöglich. Bisweilen war sie kurz vorm Platzen – und dann gab es verletzende Worte.

      2

      Die beiden Geschwister saßen auf der Eingangstreppe des einfachen Häuschens, in dem sie allein wohnten. Es war ein guter, warmer Juliabend, und die alten Holzwände atmeten den Tag in der Sonne aus.

      Sie hatten schon lange wortlos hier gesessen – bevor sie über Blitze und Dazuverdienen sprachen. Nur einfach nebeneinander gesessen. Mattis blickte mit unbewegter Miene auf die Baumwipfel. Dass er so herumsaß, war für seine Schwester auch ein gewohnter Anblick. Sie wusste, das musste sein, sonst hätte sie ihn wohl schon aufgefordert, es zu lassen.

      Die beiden lebten hier mehr oder weniger abgeschieden – keine anderen Häuser waren zu sehen –, aber hinter dem Fichtenwald lagen eine Landstraße und verstreute Höfe. Beim Häuschen glitzerte ein großer See; ferne Ufer auf der anderen Seite. Der See reichte bis dicht an den Hügel, auf dem das Häuschen lag, dort unten hatten Mattis und Hege einen Steg und ein Boot. Das kleine gerodete Gelände ringsherum war eingezäunt und gehörte ihnen, aber am Zaun endete das Eigentum der Geschwister dann auch schon.

      Mattis dachte: Sie weiß nicht, wohin ich schaue.

      Es kitzelte ihn, ihr das zu erzählen.

      Denn Mattis und Hege – die gibt es hier nämlich zwei Mal! Das weiß die Hege nicht.

      Er erzählte es nicht.

      Gleich hinter dem Zaun ragten die kahlen, weißen Kronen von zwei verdorrten Espen aus dem grünen Fichtenwald. Sie standen dicht beisammen, bei den Leuten hießen sie Mattis-und-Hege, aber nur, wenn die Leute untereinander sprachen. Mattis hatte das zufällig mitbekommen. Es war regelrecht zu einem einzigen Wort zusammengezogen: Mattis-und-Hege. Es wurde wohl schon lange gebraucht, bevor es Mattis zu Ohren kam.

      Zwei verdorrte Espenwipfel nebeneinander, inmitten der grünen Fichtensprossen.

      Er murrte innerlich empört, und er musste sie immerfort ansehen. Aber der Hege verrat ich das nicht, beschloss er jedes Mal, wenn sie so dasaßen wie jetzt. Sie wird sonst wütend, dass es um sie herum nur so saust – und die Wipfel heißen nun mal so, fertig.

      Zugleich berührte es Mattis wie eine Art wortlose Rücksicht auf ihn, dass die beiden Bäume noch standen. An sich waren sie doch nur im Wege und störten dort mehr, aber der Besitzer kam nicht etwa und fällte sie vor ihren


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