Die Vögel. Tarjei Vesaas

Die Vögel - Tarjei Vesaas


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stimmte, dann kam der Vogel bald zum dritten Mal, und Mattis war sich seiner Sache so wenig sicher, dass er das noch abwarten musste. Selig dasitzen und warten.

      Wenn ich es drei Mal gesehen habe, muss Hege es glauben. Alle müssen es glauben.

      Psst, da ist es wieder.

      Genau wie vorhin, das Flattern, der pfeilschnelle Schatten im Dämmer – und der schöne Lockruf, ob den nun wer hörte oder nicht. Gleich überm Dach hier, und fort ins Unendliche. Dann wieder nichts als der Spätabend.

      Aber es war wirklich da gewesen. Jetzt weiß ich was, stellte er fest, ohne weiter nach Erklärungen zu suchen. Er war spürbar verändert, innerlich.

      Und Hege schläft!

      Jetzt durfte auch Hege verändert werden.

      6

      Die schlafende Hege – wie ein Blitz mit Achtblattrosen und Strickzeug, die alles meisterte – jetzt war Mattis nicht mehr sicher, wer von ihnen beiden wichtiger war. In diesem Augenblick konnte er beinah wagen, sich an die erste Stelle zu setzen.

      Etwas geräuschvoll betrat er die Kammer.

      Das war unklug. Hege war vor längerem ins Bett gegangen, vielleicht eingeschlafen – jetzt wurde sie zur Unzeit geweckt. Sie schlug einen ziemlich scharfen Ton an.

      »Was ist denn jetzt schon wieder?«, fuhr sie auf, bevor er auch nur einen Ton aus seinem vollen Herzen herausgebracht hatte. Den Klang kannte er nur zu gut. Wahrscheinlich war sie gerade eingeschlafen, und da kommt er reingetrampelt. Aber er wusste auch, wie es weiterging: Sie würde sich räuspern, zur Entschuldigung und um den Schmerz ihrer Bemerkung zu stillen.

      »Ja, was ist, Mattis?«, sagte sie jetzt leise und müde, bereit zu zeigen, dass es ihr leidtat.

      Mattis kam mit etwas Großem. Er wusste gar nicht, wie er es in Worte fassen sollte. Also einfach raus damit.

      »Der Schnepfenstrich ist hier!«, erzählte er, es klang steif.

      Er fühlte sich selbst ganz fremd, wie er da vor dem Bett stand.

      Hege bemerkte seinen Tonfall wohl auch. Die vor Staunen und Ehrfurcht ungeschickte Zunge. Aber sie kannte es allzu gut, dass Mattis mit irgendwelchen Merkwürdigkeiten ankam. Die dann meistens rasch gar nicht mehr so merkwürdig waren und sich auflösten.

      Sie sagte ruhig:

      »Der Schnepfenstrich? Aha. Geh jetzt schlafen, Mattis.«

      Mattis begriff es nicht.

      »Geh schlafen, Mattis«, sagte sie behutsam, denn sie sah sein verstörtes Gesicht.

      Mattis stöhnte enttäuscht auf.

      »Hast du nicht gehört? Da ist eine Schnepfe, sie fliegt bei uns übers Dach. Jetzt. Jetzt, wo du in deinem Bett sitzt.«

      Hege blieb sitzen, sah unverändert aus.

      »Natürlich habe ich es gehört. Und? Die kann doch langfliegen, wo sie will?«

      Ihm war das unbegreiflich. Als ob sie eine fremde Sprache spräche.

      »Aber das ist doch was! Hast du schon mal gehört, dass eine Schnepfe ihren Balzflug einfach so verlegt und jetzt über deinen Kopf weg fliegt?«

      Sie zuckte mit den Schultern.

      »Was weiß ich.«

      »So was hast du noch nie gehört! Los, zieh dich an und komm raus!«

      »Jetzt? Mitten in der Nacht?«

      »Klar! Das musst du sehen.«

      »Ach, nein«, sagte sie.

      »Doch, du musst! Es ist jetzt, draußen. Wenn das auch nichts ist, dann …«

      Hege legte sich wieder hin, nichts zu machen. Sie gähnte, rasend müde.

      »War sicher schön, das zu sehen«, sagte sie, »ich schau es mir ein andermal an. Wenn die heut fliegt, dann morgen sicher auch, oder?«

      Mattis starrte sie an, mit aufgesperrtem Mund.

      »Wenn die heut fliegt, dann morgen auch?«, echote er fassungslos. »Und du willst klug sein?«, entschlüpfte es ihm vor lauter Verblüffung.

      »Wie meinst du das?«, fragte sie.

      Er schaute sie immer noch ungläubig an. Und stellte fest:

      »Du verstehst also gar nichts.«

      Enttäuscht und ratlos stand er über ihr.

      Sie berührte ihn kurz am Arm. Ihm war klar, das war versöhnlich gemeint. Aber dafür, dass Hege vollkommen übermüdet war, hatte er keine Augen. Da lag sie in ihrem verwaschenen Nachthemd, sah ihn nicht an, drehte ihm den Rücken zu und blickte an die Wand.

      »Lass uns morgen drüber reden, Mattis. Geh jetzt ins Bett, hörst du.«

      Für Mattis klang es reineweg wahnwitzig, so was zu verpassen.

      »Ich sag doch, sie fliegt jetzt. Und das willst du nicht sehen? Ich versteh dich nicht, nichts findest du besonders!«

      Jetzt war es Hege zu viel, es wuchs ihr über den Kopf. Sie schlug mit der Faust auf den Rand des Betts und rief:

      »Was weißt du schon! Ausgerechnet du sagst so was, du, der …«

      Sie hielt inne.

      Er fragte erschrocken:

      »Ich? Was ich?«

      Immer noch mit dem Rücken zu ihm, rief sie:

      »Lass mich endlich in Ruhe! Ich schaff das nicht mehr, wenn du nicht – kannst du nicht bitte gehen! Es ist so spät, Mattis, wir müssen schlafen!«

      Mit einer jähen Bewegung rückte sie näher zur Wand. Er sah, wie ihre Schultern zuckten. Das machte ihm zu schaffen, er fühlte sich schuldig, ob er es jetzt war oder nicht.

      Er war ratlos. Hatte er ihr was Böses getan? Er hatte ihr mit dem Schnepfenstrich nur eine Freude machen wollen. Ihm war es unvorstellbar, dass das für Hege weniger wichtig war als für ihn. Jetzt und hier war es, da draußen – aber Hege blieb gleichgültig, schimpfte, und jetzt weinte sie so unbegreiflich hilflos.

      »Aber Hege – ich hab dir nichts tun wollen, hab doch nur …«

      Jetzt schrie sie:

      »Hörst du nicht, was ich sage!«, und mit ein paar schnellen Schritten war er aus der Kammer hinaus. Behutsam zog er die Tür zu, als ob Hege schliefe und nicht geweckt werden dürfte.

      Wie verschieden die Leute sind, dachte er draußen verdattert. Jedenfalls Hege und ich.

      Wahrscheinlich glaubt sie mir nicht mal.

      Aber ich hab es gesehen und gehört. Da leg ich die Hand ins Feuer. Aber für heute Abend ist es vorbei.

      Und jetzt singen wir ein Lied, sagte etwas in ihm. Natürlich fing er nicht an zu singen. Es passte nur so gut nach dem anderen Satz: Für heut Abend ist es vorbei. Ich bin bei vielen Versammlungen gewesen, ich weiß so ungefähr, wie es da zugeht.

      Für heut Abend vorbei. Denn jetzt hat der Vogel seinen Schatz gefunden.

      Als er aufblickte, sah er Lichtstreifen dort, wo der Balzflug entlanggegangen war. Direkt über dem Haus.

      So ganz sicher war er da zwar nicht, um die Wahrheit zu sagen – aber dort oben war was anders als vorher, fand er. Und morgen ist es wieder da, genauso schön wie heute Abend. Da soll die Hege es auch sehen, und wenn ich sie hier draußen festbinden muss.

      Jetzt wird alles anders, dachte er vor dem Einschlafen, gekrümmt wie ein Kind in der Schlaftruhe.

      Für mich?

      Bei dem Gedanken wurde ihm heiß.

      7

      Mattis nahm den Schnepfenstrich mit in den Schlaf, und


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