Die Vögel. Tarjei Vesaas

Die Vögel - Tarjei Vesaas


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kommen, wir kommen«, hieß es. »Du bist doch da?«

      »Ja, klar«, antwortete er vielleicht.

      »Das hat lange gedauert, Mattis«, hieß es freundlich, »aber die Zeiten sind jetzt vorbei.«

      Und dann kamen sie wirklich. Ein heller Streifen hoch über dem Haus, und dicht über dem Haus, und zu den Seiten des Hauses, und ein Laut, gerade so hörbar – wie solche Laute sein sollen. Das Haus wurde auf einen Schlag neu, durch und durch.

      »Aber das Haus ist nicht das Wichtigste«, sagte er.

      Nein, und auch nicht das, was hier passierte, sondern er selbst. Die Streifen waren durch ihn hindurch gegangen und hatten ihn zutiefst verändert. Als er den rechten Arm anwinkelte, um seinen neuen Beugemuskel zu erproben, wölbte der sich so, dass der Hemdsärmel auf der ganzen Länge des Oberarms aufriss. Er schaute den glatten, wohlgeformten Muskel an und lachte.

      »Schon besser«, sagte er.

      »Gut zum Umarmen.« Mit scharfem Blick schaute er sich um.

      »Wo seid ihr?«, rief er.

      Sie lachten, im Wäldchen versteckt:

      »Na, hier, wo denn sonst.«

      Sein Haus war wirklich neu, er ging hin, um sich in den Fensterscheiben zu spiegeln. So einen stattlichen Kerl wie den, der ihm in dem dunklen Fensterglas gegenüberstand, hatte er noch nie gesehen. Er schaute sich von allen Seiten an, immer ebenso gut.

      Er rief stolz:

      »Seht ihr was?«

      »Na klar«, kam es aus dem Wäldchen, »wir sehen nichts sonst.«

      »Wartet mal«, sagte er. Aber ihm antwortete ein Chor.

      »Jetzt warten?«

      »Was hast du vor, Mattis.«

      »Mach dich bereit, Mattis.«

      »Na klar«, antwortete er mit ihren eigenen Worten.

      Er schüttelte den Kopf, und im selben Moment war er voller wunderbar passender Wörter, die man zu Mädchen sagen konnte – und zu anderen Leuten natürlich auch. Nicht nur so hilflos aufblitzende wie sonst. Jetzt spielte er lachend mit seiner neuen Zunge und probierte ein paar von den kühnen Wörtern aus.

      »Hey, ihr da in dem Wäldchen!«, rief er, »seid ihr bereit?«

      »Wir sind bereit«, sagten sie, »wer wird kommen?«

      »Willst du zu mir kommen, dich meine ich«, sagte er und sorgte dafür, dass das Hemd um seinen Oberarm spannte.

      Das war jetzt aufregend. Aber gleich kam die Antwort:

      »Ich will.«

      Die anderen Stimmen waren wie weggesunken.

      Da stand sie vor ihrem Wäldchen, nicht mehr verborgen. Er hatte sie sich tausendmal vorgestellt, und doch war sie anders. Aber irgendwie kannte er sie gut, und er hatte kein bisschen Angst. Sie kam dicht an ihn heran. Sie duftete.

      Er durfte sie noch nicht berühren.

      »Tu was«, sagte er.

      Das verstand sie sofort.

      »Ja«, sagte sie, »schau, hier.«

      Sie bewegte den Arm, und die Luft war voller Vogelgesang.

      »Ja, und im Schnepfenflug bist du geboren«, fing Mattis an, »und all meine Gedanken waren schon lange bei dir. Wenn du was sagen willst, dann jetzt.«

      »Was sagen?«, fragte sie.

      »Ja.«

      »Nein, jetzt will ich nichts mehr sagen«, sagte sie.

      Er sah ihr unbekümmert in die Augen. Dabei beugte er heimlich den linken Arm und ließ den Hemdsärmel leise krachend reißen. Der glatte, runde, enorme Muskel glänzte in der Sonne, dicht vor ihrem Gesicht.

      »Keine Sorge«, sagte er gelassen, »ich habe Hemden genug.«

      »Der linke Ärmel auch?«, fragte sie bewundernd.

      »O ja«, meinte er wegwerfend, »der rechte ist schon lange hin.«

      Mehr sagte sie nicht, war von dem Anblick so gepackt, dass ihr keine Worte mehr einfielen. Das hatte er sich gewünscht. Er bekam alles, was er sich gewünscht hatte. Obendrein konnte er die Dinge jetzt auf die richtige Weise sagen.

      »Jetzt kannst du genau das tun, was du am liebsten tun willst«, sagte er zu ihr. »Du Schatz.«

      Da kam sie gleich noch näher.

      »Jetzt weiß ich besser, warum ich so lange und geduldig gewartet habe«, sagte er dann.

      Sie sagte nichts mehr – denn sie hatte ein Geheimnis, das sie ihm erzählen wollte. Sie kam einfach näher. Sie hatte den Arm bewegt, und die Vögel sangen – jetzt bewegte sie sich ganz, es war ein Zauber.

      Bewegte sich ganz, und er konnte es nicht fassen. Namenlos. Sie kam immer noch näher. Sie war ganz dicht bei ihm, aus dem Schnepfenflug geboren, sie gehörte zu ihm.

      8

      Wie üblich war Hege zuerst auf den Beinen. Mattis war zwar auch wach, aber er blieb lange liegen und lebte noch seinem Traum hinterher. Er hörte Hege in ihrem Zimmer hantieren, dann kam sie heraus. Rasch drehte Mattis sich zur Wand und tat so, als ob er schliefe. Das war am sichersten so, wenn man bedachte, wie sie gestern voneinander geschieden waren.

      Hege blieb kurz stehen, während sie an ihm vorbei zur Küche eilte. Aufregend. Aber es ging weiter, schon war sie wieder in Fahrt. Bald war das vertraute morgendliche Klappern von Tassen und Messern zu hören.

      Wird anders werden, dachte Mattis abwesend. Er nahm seine Sachen und zog sich an. Fühlte sich schon verändert, irgendwie von zwei starken Armen getragen: Der Schnepfenstrich und der Traum nahmen ihn zwischen sich. Er lauschte schon, ob sich auch heute etwas Ungewöhnliches melden würde. Vielleicht wartete ein nie gedachtes Wort oder etwas Schönes – jetzt, wo sich alles gewendet hatte.

      Noch nicht. Aber dieser Tag durfte nicht so einer werden wie die zahllosen anderen, dafür musste man selbst sorgen.

      »Gold im Mund«, sagte er zu Hege, er stand in der Küchentür. Ihm fiel nur ein Teil des alten Sprichworts als Morgengruß ein.

      Er war unsicher. Der letzte Blick auf Hege gestern Abend war zu schlimm gewesen. Er konnte es nur so deuten, dass sie seinetwegen geweint hatte, das Gesicht zur Wand gedreht.

      Und kurz darauf hatte er diesen Traum gehabt!

      Jetzt hatte Hege jedenfalls geschlafen und es verwunden. Schmal und munter schnitt sie Brot. Fast, als versuchte sie absichtlich, sorglos und unbefangen zu wirken, um den Vorabend wettzumachen. Sie antwortete auf seinen Gruß mit dem Gold im Mund:

      »Hast du so gute Laune?«

      Er lachte in sich hinein, antwortete aber:

      »Warum fragst du das?«

      »Hast du keine gute Laune?«

      »Du weißt nicht, warum«, sagte er.

      Kein Wort zu gestern von ihr. Und da wagte sie sich auf gefährliches Gelände:

      »Ich glaube, ich weiß schon warum: Weil du heute Arbeit suchen willst, das haben wir ja besprochen. Und dann kommst du mit Gold im Mund nach Hause.«

      Ach Mensch, dass er um Arbeit fragen wollte, hatte er ganz vergessen. Anders als Hege, wie sich zeigte. Es war unausweichlich, ein leichter Schatten legte sich über seine Freude.

      »Daneben«, sagte er.

      »Aber du wolltest doch –«

      »Der Schnepfenflug ist über uns«, unterbrach er sie. Als Erklärung, oder als Entschuldigung für den neuen Zustand. Jetzt, wo sich etwas so Freudevolles ereignet hatte, brauchte man ja wohl nicht mehr den beschwerlichen Gang ins Dorf auf sich


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