Die Vögel. Tarjei Vesaas

Die Vögel - Tarjei Vesaas


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Runde zu machen?«

      Die ist wirklich stur und merkwürdig, dachte er. Aber gut, so kommt was zu essen ins Haus.

      »Wenn ich das gesagt hab, dann mach ich das auch«, antwortete er. Ihm grauste bei der Vorstellung, hilflos neben tüchtig arbeitenden Leuten zu stehen.

      Hege arbeitete rasch an der Jacke. Fast bettelnd sagte Mattis:

      »Willst du den Vogel sehen, wenn er heute Abend wiederkommt? Heute früh hast du gesagt, das machst du mal.«

      »Nicht heute Abend, es wird sonst so spät.«

      »Aber du hast gesagt –«

      »Ich möchte lieber schlafen«, sagte Hege entschieden.

      Mattis meinte steif:

      »Aber wenn du nie wieder aufwachst! Dann wird dir das schlimm leidtun.«

      Sie zuckte zusammen. Ihm war nicht klar, welche Wirkung seine Worte hatten.

      »Mattis!«, fuhr sie ihn an, »still!«

      Er ging. Sie sagte noch irgendetwas hinter ihm her, aber er war schon rasch aus der Tür, verschreckt.

      Am Abend saß er mit bangem Herzen und bangen Fingern auf der Eingangstreppe. Hege war das Risiko eingegangen und lag schon im Bett.

      Die Zeit kam, die des Vogels.

      Da, sein Ruf, und da, die Flügel, irgendwie unbeholfen flatternd, rasch und ruckartig.

      Die Flügel waren oben in der milden Nachtluft, aber sie drangen auch tief in Mattis’ Herz. Der weiche, dunkle Hieb von etwas Unbegreiflichem füllte Mattis aus. Ich und die Schnepfe, dachte er verschwommen.

      In seiner Freude versprach er: Morgen geh ich los, wie die Hege will. Wenn kein Gewitter kommt. Blitz ist Blitz, dann gehe ich nicht – und das weiß sie.

      Er wartete die Schnepfe noch zwei Mal ab, dann ging er in das dämmerhelle, laue Sommerhaus schlafen. Doch falls er gehofft hatte, der Traum würde sich wiederholen, dann zeigte der ihm eine lange Nase. Keine Spur von irgendeinem Mädchenwald.

      10

      Die Hege-und-Mattis-Espen ragten in die Morgensonne und den tiefblauen Himmel auf. Mattis ging an ihnen vorbei zur Landstraße hoch. Mit zusammengekniffenen Lippen: Was kam der Schnepfenstrich hierher, wenn doch alles beim Alten blieb? Sollte man da nicht viel eher zu Hause abwarten, ob etwas passierte? Nein, hatte Hege gesagt.

      Jetzt war er nicht mehr so willig wie in der Nacht, als er den Gruß des Vogels erlebt hatte.

      Wäre Hege anders, als sie ist, würde sie ihn nie auf diese unnütze Runde schicken, ihr wäre klar, dass sie das besser lassen sollte. Aber die Hege, die wird nie anders. Sie braucht das auch nicht so. Irgendwie.

      Er trottete weiter.

      Als er aus dem Wäldchen kam, lag das ganze Dorf vor ihm. So gut wie jeder einzelne Hof stand für die Erinnerung an einen missglückten Arbeitsversuch.

      Auf der Landstraße herrschte bereits Verkehr. Wie üblich wurden die Leute von den Autos in die Straßengräben gescheucht. Die Straßenränder waren grau vom aufgewehten Staub.

      Manchmal ging Mattis die Straße auch entlang, ohne dass er auf Arbeitssuche war, nämlich wenn Hege ihn mit ein paar Kronen zum Kaufladen schickte, um etwas zu essen zu kaufen, oder mit einer fertigen Strickjacke. Das war immer ein Wagnis, es konnte gut ausgehen oder aber in Schimpf und Schande enden.

      Auf den Höfen ringsum gingen die Leute eben jetzt an die Arbeit. Mattis sah sie überall um sich. Frühsommerarbeit. Meist Unkrautjäten auf den Äckern. Stark und klug sahen die Leute aus, als ob sie ebenso selbstverständlich der Arbeit nachgingen, wie sie atmeten und lebten. Mancher hatte eine brennende Morgenpfeife zwischen den Lippen, andere gebrauchten den Mund dazu, sich eins zu pfeifen, wieder andere gingen einfach nur mit schwingenden Armen einher.

      Sollte er gleich auf die Leute zugehen und fragen? Auf dem erstbesten Hof? O nein. Das wäre denen nur peinlich, weil sie irgendeine Ausrede finden müssten, von wegen, dass es ihnen gerade heute nicht passte. An einem Hof nach dem anderen ging er vorbei und störte lieber nicht. Die Leute atmeten sicher erleichtert auf, wenn er vorüberging und sie ihn von hinten sahen, meinte er.

      Aber ihr habt mal ganz sicher nicht so was geträumt wie ich!, dachte er. Ein wohltuender Gedanke.

      Er hatte viele beschämende Erinnerungen, aber die waren sehr verschieden. Mit manchen von den Männern, denen er jetzt begegnete, hatte er zusammenzuarbeiten versucht, und die Erinnerung sorgte dafür, dass er starr auf die Straße blickte. Andere stahlen sich selbst rasch vorbei – als wollten sie eine gemeinsam erlittene Niederlage wegschieben.

      Heut geht es sicher wieder so. Hege weiß das genau, und ich weiß es auch.

      Ich kehr am besten um, dachte er, ich kann einfach nicht zu diesen ganzen Höfen gehen, wo mich die Leute schon von vorher kennen.

      Aber wie seltsam:

      Kaum hatte er das gedacht, tat er genau das Gegenteil. Er bog von der Landstraße ab und ging zu einem Hofplatz hinauf. Was war in ihn gefahren? Eine aufblitzende Erinnerung. Bei diesem besonderen Hof erinnerte er sich an ein kleines Ereignis, das mal nicht beschämend geendet hatte.

      Vielleicht kam auch diesmal wieder so was Gutes.

      Gleich an der Ecke des Hauses traf Mattis den Bauern. Der stand mit zwei jungen Leuten da, einem Jungen und einem Mädchen, jeder eine leichte Unkrauthacke in der Hand, bereit, zum Rübenacker aufzubrechen. Mattis sah sie nicht an, bis er dicht vor ihnen war, da tauchte sein Gesicht vor ihnen auf wie über einem Rand.

      »Guten Tag, hast du Arbeit für mich?«, fragte er Hals über Kopf und blickte den Mann aus ängstlichen Augen forschend an. Hier galt es, nicht erst lang zu fackeln. An den beiden jungen Leuten drängte er sich vorbei, jetzt hatte er sie im Rücken.

      Der Mann antwortete wahrscheinlich im selben Schwung, auch ohne Zeit, sich zu bedenken.

      »Ja, wenn du Rüben ausdünnen kannst«, sagte er.

      Kurz sperrte Mattis den Mund auf, dann lächelte er breit.

      »Sag ich’s doch«, meinte er. »So ist das wohl, wenn es anders ist als vorher.«

      »Wie?«

      »Ach, nur so«, sagte Mattis. »Heut ist was ganz anders für mich. Aber das kannst du nicht verstehen.«

      Das Mädchen und der Junge hatten ihn umrundet und standen jetzt vor ihm. Sie wechselten Blicke auf eine Art, die Mattis gut kannte und die nichts Gutes verhieß.

      »Hat mit einem Schnepfenstrich zu tun«, sagte Mattis nervös zu dem Mann.

      »Schnepfenstrich?«

      »Ja, weißt du nicht, was das ist?«, fragte Mattis, schon mutiger.

      Mittlerweile war dem Mann wohl klar geworden, wen er da vor sich hatte, aber jetzt war es zu spät, er konnte sein Wort nicht zurücknehmen.

      »Von Schnepfen hab ich so dies und das gehört«, sagte er. »Aber jetzt geht es um einen Rübenacker. Dann wollen wir dir mal eine Hacke holen – dann können wir um die Wette ausdünnen.«

      Das hat der wohl einfach sagen müssen, dachte Mattis, der hat sich das nicht verkneifen können.

      Mattis hatte eine dünne Haut, er spürte den Seitenhieb sehr wohl.

      »Ja, vielleicht können wir auch um die Wette laufen.« Er lachte kurz. Fast klang es echt.

      Kurz war der Mann verblüfft, dann besann er sich und lachte mit.

      »Wer zuerst bei den Rüben ist, meinst du?«

      Sie machten Scherze, wetteiferten miteinander, wer am leutseligsten war.

      »Aber du willst vorher sicher was essen?«, fragte der Mann, jetzt wieder ernst.

      Mattis schüttelte den Kopf.

      »Ach


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