Die Vögel. Tarjei Vesaas

Die Vögel - Tarjei Vesaas


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Ende zu, er fühlte sich allein, überdrüssig. Ja, er musste innehalten, seine Gedanken verwirrten sich, er jätete die jungen Rüben und ließ das Unkraut stehen.

      Noch verlassener fühlte er sich, als er die kleine Anhöhe des Ackers erreichte und auf der anderen Seite hinab musste. Als ob die anderen endgültig verschwunden wären.

      Seine Reihen leuchteten üppig grün und mahnend. Er jätete, er dachte: Ich muss mir doch mein Essen verdienen. Danach saß er eine Weile still. Niemand konnte ihn sehen, die Wirrnis seiner Gedanken machte ihm jeden Handgriff unmöglich. Außerdem war es einfach zu schön, ein bisschen auszuruhen, wenn man so erschöpft war.

      Er schrak innerlich zusammen, als er die drei anderen nach einer Weile wieder über dem Rand auftauchen sah. So weit waren die schon? Schnell fummelte er weiter und machte dabei viele gesunde Pflanzen kaputt. Aber gut jedenfalls, dass jemand auf diese trostlose Rückseite kam. Die Verliebten zwitscherten nicht mehr ganz so fröhlich, aber doch. Und der Mann war wohl nicht müde. Wer einen so großen Acker hat, der wird nicht müde, der hält sich ran. Er hob auch nicht den Blick.

      Ein seltsamer Laut ließ sie zusammenschrecken. Er kam von Mattis.

      »Wartet mal!« Ein durchdringender Ruf.

      Der Mann richtete sich rasch auf, wischte sich mit erdverschmierten Fingern die Stirn. Er war verschwitzt.

      »Was ist denn, Mattis?«

      Mattis war schlimm dran. Obwohl er noch keine ganze Länge des Ackers abgearbeitet hatte, war er erledigt. Unter seiner Nase hing staubige Erde wie ein dünner Bart. Die anderen hatten das vielleicht auch, aber bei ihnen machte es nichts. Unsicher ging Mattis zu dem Mann:

      »Ihr seht ja, ich bin hinterher.«

      Der Mann antwortete unwillig:

      »Ja und?«

      »Hast du das gewusst?«

      Der Mann machte eine wegwerfende Bewegung, ja, ja –

      »Weil, so komplizierte Arbeit, die mag ich nicht«, sagte Mattis ernst.

      »Ist wohl so«, antwortete der Mann und bückte sich wieder tief über die Pflanzen.

      Mattis war versucht zu fragen: Soll ich aufhören?, aber er verkniff es sich. Der Mann murmelte etwas für sich. Die beiden Verliebten nutzten die Pause, um sich ein bisschen gegenseitig zu kneifen.

      Dann fragte der Mann direkt:

      »Sollen wir deine Reihen übernehmen?«

      Eine graue Wolke legte sich ihm vor die Augen. Bekannt aus dem alten Leben, genau wie vor dem Schnepfenstrich.

      »Noch nicht«, entgegnete er hart.

      »Dann nicht.«

      Der Mann bückte sich mit seiner Hacke.

      Mattis wollte zurück, aber im Vorbeigehen blickte er das Mädchen bittend an, ob sie nicht was tun könnte, um es ihm leichter und schöner zu machen – sie war doch so froh und jung und hatte einen Liebsten.

      Er räusperte sich ein bisschen, wie als Signal, dass er schnell Hilfe brauchte.

      Offenbar verstand sie es. Lächelte ihm zu, wie zur Erinnerung, hier sind wir, du und ich, und winken einander auf dem Acker zu.

      Mehr brauchte es nicht. Er hörte es so laut und deutlich, dass er die Worte aufnahm:

      »Ja, hier sind wir, du und ich auf dem Acker«, sagte er, ebenso lieb und freundlich, aber nicht so insgeheim wie sie.

      »Ja, sind wir«, sagte das Mädchen.

      Da stand sie wirklich und sah ihn an, nichts von wegen Dussel, sie strahlte.

      »Peng!« Der Junge kniff ihr ins Bein – es sah aus, als ob es für ihn nichts Lustigeres gäbe –, und schon war das Mädchen wieder ganz verliebt und hatte nur Augen für ihn.

      »Jawoll«, sagte der Mann.

      Der mit dem großen Acker. Sie schauten ihn rasch an und wussten, was er meinte, peng.

      Wieder arbeiteten sich die drei rasch an Mattis vorbei. Er schaute ihnen nach und fand, sie besaßen genau das, wovon er träumte: die drei Dinge. Diese Leute bestanden aus nichts anderem als genau aus diesen drei Dingen. Sie genossen es, dass sie so waren, und dachten nicht weiter darüber nach, wussten nichts davon, so sah es aus. Wie konnten die nur so tun, als ob nichts wäre, und einen Rübenacker ausdünnen?

      Er jätete, vornübergebeugt, seine Gedanken fuhren wild umher. Helft mir, dachte er.

      Aber die Gedanken schossen kreuz und quer wie zuvor, wollte er ein Unkraut packen, griff er eine Rübe.

      Will mir also niemand helfen, dachte er, und es wurde ihm schwarz und rot vor den Augen.

      Über die wertvollen Pflanzen konnte man sich auch so richtig ärgern, fadendünn und jämmerlich standen sie da, wenn man alles weggerissen hatte, woran sie sich angelehnt hatten. Mattis in seiner eigenen Armseligkeit hätte sie gern ausgeschimpft und sie elendes Kroppzeug genannt, nicht wert, dass man sich mit ihnen plagte. Seine Gedanken rasten hin und her. So pflegte es ja zu gehen, wenn er mal eine Arbeit bekam – nichts von wegen Veränderung. Das war eigentlich das Schlimme heute: keine Veränderung, alles wie gehabt.

      Gottlob kam ein Ruf von den Unsichtbaren hinter der Kuppe:

      »Mattis!«

      Das war der Mann selbst, Klugheit. Die beiden anderen – Schönheit und Kraft – schwiegen, waren aber sicher auch dort. Alle drei Dinge waren dort.

      »Gibt es Essen?«, rief Mattis zurück, blitzschnell.

      »Ja, komm!«, rief der unsichtbare Mann. Die freundlichen Rufe gingen hin und zurück über dem Rücken des Ackers. Mattis war schon unterwegs.

      Ein kleiner Rest von Mattis’ ersten zwei Reihen stand noch unberührt. Immerhin war das Ende in Sicht, es könnte schlimmer sein, dachte er, beschwingt, denn jetzt ging es an einen gut gedeckten Tisch.

      Als er sich den anderen anschloss, um zum Haus zu gehen, sagten sie kein Wörtchen zu seiner schlechten Arbeit. Kein Wort sagten sie – aber Mattis war felsensicher, dass sie an nichts anderes dachten, dass es sich erst noch aufstaute und irgendwann herausbrechen würde:

      »Ihr könnt alles sagen, was ihr denkt!«, sagte er zu ihnen, als sie ihre erdverschmierten Hände im Bach wuschen.

      »Was denken wir denn?«, fragte der Junge. Das war überhaupt das Erste, was er zu Mattis sagte.

      »Das weiß ich genau«, sagte Mattis, der innerlich brannte und sich noch etwas quälen musste.

      »Schon gut, schon gut«, sagte der Mann, »jetzt gehen wir erst mal heim und essen was. Und ruhen uns ein bisschen aus …«

      Sie wuschen sich die Hände in einem schmalen klaren Fließ nahe beim Rand des Ackers. Das Mädchen in derselben Vertiefung wie Mattis. Im davon getrübten Wasser geriet seine Hand an ihre, die neben ihm eingetaucht war. Ein Feuerstoß durchzuckte ihn. Dann klärte sich das Wasser von selbst wieder in der Grube, mit frisch gewaschenen Händen darin. Die er jetzt aber nicht mehr zu berühren wagte.

      Das Mädchen schaute ihn an, und er hatte keine Zeit, sich zu bedenken. Es rutschte ihm einfach raus:

      »Das war beinah, wie wenn man an einen elektrischen Zaun kommt.«

      Er fand gleich, das war gut gesagt, aber sie drehte sich einfach weg. Lachte sie etwa? Ihr Freund wusch sich auch, dicht neben ihr, und als er fertig war, zog er das Mädchen an sich, als ob das die einfachste Sache von der Welt wäre – und so gingen sie zum Hof und zum Essen. Vielleicht waren sie nicht mal müde. Mattis dachte daran, wie der Arm von dem Jungen sich im Ärmel seines Hemdes spannte – und dann legte er diesen Arm seinem Mädchen einfach um den Leib. So ging das, wenn alles richtig war.

      »Guten Tag, Mattis.« Das war die Bauersfrau. Sie begrüßte Mattis freundlich. Ihr Essen war gut, Mattis aß tüchtig. Immerhin, man kriegt was dafür, dachte er bei sich. Von der Fleischmahlzeit


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