Gespräche jenseits der Zeit. Markus Jost

Gespräche jenseits der Zeit - Markus Jost


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und einfach mehr Raum zugestanden wird als allgemein üblich und durch die gewählte Form entstehen neue Möglichkeiten des Gesprächs, die über unsere irdische Existenz hinausgehen.

      Das Jenseits hat auch mit Religion und religiösen Vorstellungen zu tun. Verstehen Sie Ihr Buch als ein religiöses Werk?

      Die Vorstellung eines Jenseits ist nicht nur eine religiöse Vorstellung, sondern auch eine philosophische. Es kommen in meinem Buch auch zwei Philosophen zu Wort.

      Sie bezeichnen Kant und Spinoza (und auch den im Gespräch erwähnten Descartes) ausdrücklich nicht als Atheisten. Wieso?

      Ist es nicht vermessen, aus einem Philosophen wie Spinoza einen religiösen Menschen zu machen oder anders gesagt, ist es nicht unwissenschaftlich, Spinoza religiös zu vereinnahmen: Schliesslich wurde er von der jüdischen Gemeinde gebannt und seine Werke wurden auf Druck der damals in den Niederlanden herrschenden calvinistischen Kirche verboten und die katholische Kirche setzte sie auf die Liste der verbotenen Bücher?

      In Ihrem Buch wird der Prophet Mose als real existierende Person dargestellt, die dazu noch einen Bezug zu den fünf Büchern Mose im Alten Testament hat. Darf man das heute noch machen?

      Es ist Teil meines Projekts, verschiedene Sichtweisen des biblischen Texts zu kombinieren und dem biblischen Mose eine glaubwürdige Identität zu verschaffen, möglichst nahe am biblischen Text. Dies kann unzeitgemäss wirken und als naiv-fundamentalistisch verstanden werden, wird aber durch den historisch-kritischen, spekulativen Aspekt und die humorvolle Art und Weise der Protagonisten meines Erachtens mehr als ausgewogen. Humor gilt als eine der besten Waffen gegen Fanatismus.

      Ja, sagte ich, aber wenn Mose nie existiert haben soll, wer hätte dann die Tora empfangen und sie dem jüdischen Volk weitervermittelt? Sein Bruder Aaron? Nein, sagte sie entschieden, Aaron sei zwar der erste Cohen (Priester) gewesen, aber seit der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels hätten die Priester keine Bedeutung mehr im Judentum. Es komme nicht drauf an, an wen die Tora übergeben wurde, Hauptsache sie sei nun da. Ich erwiderte, es gäbe Bibelwissenschaftler, die behaupten, dass der Pentateuch erst viel später in hellenistischer Zeit aufgeschrieben worden sei. Darauf meinte sie, das sei die wissenschaftliche Sicht der Dinge. Gemäss der jüdischen Tradition sei Mose aber selbstverständlich der Empfänger der Tora am Sinai gewesen. Ich war ein wenig erstaunt über ihre Antwort und kam zum Schluss: Vielleicht ist es besser, die Frage nach der Existenz Moses nicht ausschliesslich durch die moderne Geschichtswissenschaft beantworten zu lassen, sondern auch theologische, philosophische, religiöse und literarische Argumente einzubeziehen. Denn das Wissen über Mose und die Tora wurde nicht in Stein gemeisselt, sondern wurde von Menschen zu Menschen über Generationen hinweg weitergegeben und weiterentwickelt. Es ist für uns heute unmöglich, den realen Mose zu ermitteln. Um diesen wirklich erkennen zu können, müssten wir schon mit ihm sprechen können. Auch „historische Beweise“ würden die Existenz eines Moses nicht beweisen, sondern würden einzig davon zeugen, dass es Menschen gab, denen Mose so wichtig war, dass sie das Wissen über seine Person und seine Texte weitergaben. Schlussendlich muss dann jeder selber entscheiden, ob er oder sie diesem Wissen Glauben schenkt oder eben nicht.

      Die Frage nach der Existenz Moses ist also eher eine philosophische Frage denn eine historische?

      Ja und nein. Denn: Alles hat zwar eine Geschichte, aber die Geschichte ist nicht alles! Verstehen Sie mich richtig: Ich bin sehr an der Geschichtswissenschaft und ihren Resultaten interessiert. Ich finde es aber unklug, den Resultaten der Historiker blindlings zu vertrauen. Es braucht eine Art Kritik der Kritik oder einen kritischen Rationalismus, wie es der Philosoph Karl Popper nannte. Hinzu kommt, dass meines Erachtens die Wahrheit der Bibel viel grösser ist als die hypothetische historische Wahrheit hinter ihr. Ich denke, die Frage nach der Geschichte ist immer eine philosophische Frage: Was ist Geschichte, was ist Wirklichkeit? Man müsste sich eher die Frage stellen: Warum wurde aus der Person Mose der Mose der Bibel?

      Und was ist Ihre Antwort?

      Ich denke, Mose wurde zum Mose der Bibel, weil er den Auftrag hatte, die ihm folgenden Generationen für die Sache der Tora zu begeistern. Meines Erachtens sollte Geschichte immer dazu dienen, den Menschen im Hier und Jetzt Orientierung bei der Gestaltung ihres Lebens zu geben. Sehen Sie: Sie, ich, wir alle leben für eine gewisse Zeit auf dieser Erde. Während dieser Zeit werden wir uns ein Bild von der Zeit vor uns – also der Geschichte – machen. Dieses Bild wird immer eine Fiktion bleiben. Denn die Menschen nach uns werden unser Bild der Geschichte revidieren und ein neues, eigenes System zeichnen.

      Gasel/Köniz im Oktober 2018

      „Im Anfang erschuf Gott die Himmel und die Erde. Die Erde aber war unförmlich und vermischt, Finsternis auf der Fläche


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