HIMMEL UND ERDE. Группа авторов
drehe den Kopf. Da stehst du immer noch. Mindestens einen halben Meter von mir entfernt. Ich muss mich geirrt haben, als ich dachte, dein Gesicht an meinem zu spüren. Wieso bist du mir heute Abend so fern?
»Jedenfalls meinte die Schlangenfrau, es heißt, dass zum Karneval manchmal noch andere Dinge kommen und … naja … die Stimmung nutzen und … sich auch den Bauch vollschlagen.«
»Andere Dinge?« Beiläufig rücke ich näher.
Zumindest zuckst du nicht weg. »Ja, Geister, Monster, so was. Sie meint, einige schleichen sich in unsere Köpfe, unsere Körper, um unbemerkt …«
»Sie redet aber nicht von den Masken, oder?« Ich lache. Deine Stimmung ist zu seltsam, um es nicht zu tun. Vielleicht kann ich dich anstecken.
»Nein«, erwiderst du völlig ernst. »Die gehören aber auch zur Tradition, sollen abschrecken oder so.«
Ich rücke näher, nehme dich in beide Arme. »Ich lasse nicht zu, dass dich ein Monster frisst, versprochen!«
Du schaust mich an, aber du lächelst kaum. Das heißt, das Bild von Nana Lex, das du vor dir herträgst, lächelt kaum. Aber ich weiß ja, dass du das bist, oder? Deine Haut unter meinen Händen ist warm.
»Vielleicht sollte wir doch was essen gehen«, sagst du. Du greifst in deinen Nacken und löst sanft meine Hände von dir.
Ich stehe da wie geschlagen. Was ist nur mit dir? Mit uns? Habe ich etwas verpasst?
Du wendest dich um und gehst an der Wand entlang fort. Obwohl du nicht einmal schaust, ob ich dir folge, tue ich es. Der Boden klebt. Die vielen Menschen machen das Vorankommen schwer. Ich werde angerempelt, abgedrängt, angemacht. Ich lege schützend eine Hand über meinen Drink und dränge vorwärts. Überall Hitze, überall Haut. Es riecht nach Parfüm, Schweiß, Alkohol und Drogen. Mein Magen knurrt wieder. Aber ich habe nur Augen für dich.
Bis du plötzlich weg bist.
Ein Riese mit dem Kopf einer Giraffe hat sich zwischen uns aufgebaut. Ich brülle ihn an, er soll aus dem Weg gehen, aber er hört mich nicht. Als ich ihn endlich umrundet habe, bist du schon in der Menge untergegangen.
Ich rufe nach dir, doch die Musik, die Leute, alles ist zu laut. Ich gehe weiter Richtung Bar. Dabei werde ich immer mehr in die Mitte des Raumes gedrängt. Näher an das Lagerfeuer. Simulierte Hitze heizt den Raum zusätzlich auf. Synthetisches Raucharoma liegt in der Luft. Aber der Rauch dazu fehlt. Ich kann wenigstens klar sehen.
Ein Einhorn im Anzug kreuzt meinen Weg, dann ein Alligator im Bikini. Ein Löwe im Cocktailkleid will in die gleiche Richtung wie ich. Seine ausladende Mähne streift meine Wange. Ich spüre das statische Kribbeln. Mein Blick wandert um ihn herum zur Wand zurück. Dort stehen ein aus der Mode gekommener Politiker und ein Frauenkörper mit einem runden Keks anstelle des Kopfes und unterhalten sich. Erst denke ich, die beiden sind allein, doch dann wird eine Fackel bewegt und leuchtet den Platz direkt neben ihnen aus. Dort entdecke ich ein vertrautes Gesicht.
Ich erstarre. Das kann nicht sein! Ich schließe die Augen, öffne sie, schaue noch mal hin. Das Gesicht – mein Gesicht – ist wieder im Schatten verschwunden. Hat da wirklich jemand mein Foto für seine Maske gewählt? Absolut schräg! Ich will dir sofort davon erzählen, aber du bist nicht da. Jetzt fehlst du mir noch mehr.
Ich halte den nächstbesten Tänzer an und drücke ihm meinen Drink in die Hand. Ich brauche heute Abend offensichtlich keinen Alkohol mehr. Außerdem komme ich ohne das Glas schneller voran.
Da vorn bist du! Nanas Gesicht über einem schwarzen Shirt. Ich rufe, aber du hörst mich nicht. Also versuche ich, zu rennen. Die Zeit für Höflichkeiten ist vorbei. Ich will dich nicht verlieren. Nicht jetzt und überhaupt niemals. Dafür fahre ich die Ellenbogen aus, schubse Leute aus meiner Bahn. Fremder Schweiß bleibt an mir haften, während ich mich vorwärts bewege. An einem Paillettenkleid reibe ich mir den Arm auf.
Endlich kommst du in Reichweite und ich greife deine Hand. Du streichst über meine Finger, ziehst mich näher, drehst dich dabei zu mir um … und verharrst mitten in der Bewegung.
»Hast du deine Maske gewechselt? Was soll dieser komische Vogel?« Das ist nicht deine Stimme.
Rasch löse ich mich, schüttle den Kopf und mache einen Schritt zurück. So viel zu Nana und seinem Popularitätsproblem …
Ich sehe eine weitere Version des Schauspielers auf einem rot umhüllten Frauenkörper und die dritte über einer extrovertiert glitzernden Jacke. Definitiv nicht du. Keiner davon.
Also weiter zur Bar. Ich schaue nach vorn und sehe, dass der Löwe im Cocktailkleid mich derweil abgehängt hat. Er lehnt ein paar Meter entfernt an der Theke und versperrt mir mit seiner Mähne den Blick auf die anderen Gäste dort. Ich fluche und gehe weiter. Mehr Menschen, mehr Gedränge. Mein Magen knurrt noch heftiger. Ich sehe den Tanzenden zu und wünschte, ich könnte die Party ebenso genießen wie sie. Vielleicht später. Mit dir an meiner Seite. Vielleicht. Hoffentlich.
Endlich erreiche ich die Bar. Ich schiebe den Löwen beiseite und lasse meinen Blick die Theke hinunter wandern. Kein Nana, nirgendwo. Ein Haufen schräger Gestalten, Drinks und Schalen voll Erdnüsse, aber du bist nicht da. Wurdest du auch abgedrängt?
Ich schnappe mir eine Handvoll Nüsse und mache mich wieder auf den Weg. Egal, wohin du verschwunden bist, ich finde dich!
Die Nüsse werfe ich mir alle auf einmal in den Mund. Sie schmecken verdammt gut. Während ich den Blick schweifen lasse, lecke ich mir das Salz von den Fingern. Hunger habe ich immer noch. Vielleicht sogar noch mehr.
Dann sehe ich dich. Du stehst am Eingang für deine Jacke an. Zumindest glaube ich, dass du es bist: Schwarzes Shirt, Nanas Gesicht.
Du gehst. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert, besorgt oder sauer sein soll. Willst du mich wirklich hier allein lassen?
Ich schaffe mir Platz, dränge mich zu dir durch, nehme deine Hand.
Du zuckst zusammen, dann starrst du mich an. »Oh, du bist es«, höre ich dich sagen. Ein Teil von mir ist erleichtert: definitiv deine Stimme!
»Ich bin es«, bestätige ich und drücke deine Hand. »Wo willst du hin?« Wut hin oder her, ich bin froh genug, dich wiedergefunden zu haben, dass ich dich umarme. Du bist warm und du riechst wunderbar. Für einen Moment genieße ich einfach deine Nähe.
Dann merke ich, dass du schweigst. Deine Hand in meiner ist eiskalt. Eiskalt und verschwitzt. Ich will dich gerade fragen, ob du dich unwohl fühlst, da entziehst du dich mir schon wieder. Gehst auf Abstand.
Ich erschaudere. Das Gefühl der Erleichterung verfliegt. Ich bin nicht sicher an deiner Seite, nicht so wie sonst. Irgendetwas stimmt absolut nicht. »Alles okay?«, frage ich.
»Klar.« Definitiv deine Stimme, kein Zweifel möglich.
Ich beiße mir auf die Oberlippe. So wie du dich gibst, hätte ich mir beinahe eine zweite Verwechslung gewünscht. Dich noch mal zu suchen wäre einfacher, als bei dieser Laune mit dir umzugehen. »Sicher?«
»Klar«, sagst du wieder. Beinahe klingt es mechanisch. Einstudiert.
Ich denke an deine Geschichte von den Monstern in unseren Körpern und Köpfen und jetzt wird mir auch kalt. War das eine Warnung?
»Gehen wir essen?«, frage ich in einem letzten Versuch, die Normalität zu wahren.
Du schüttelst den Kopf. Ich kann sehen, wie du dich anspannst. Bereit zum Sprung.
»Nimm bitte die Maske ab!«, flehe ich. »Nur für einen Moment. Hier gibt es so viele Nanas, ich …«
Wieder ein Kopfschütteln. Ich lasse von dir ab, mache einen Schritt zurück, vergrößere den Abstand zwischen uns. Du bittest mich nicht, zu bleiben. Alles an dir, deine ganze Haltung ist anders, als ich es von dir kenne. Ich bekomme Angst vor dir. Gehe noch einen Schritt zurück.
Das kann nicht sein!, schelte ich mich innerlich. Es gibt keine Monster, und wenn es welche gäbe, dann