HIMMEL UND ERDE. Группа авторов
Doch dann schaue ich dir wieder in die Augen – Nanas Augen – und ich glaube mir nicht. Das bist nicht du. So bist du nie zu mir gewesen.
»Bitte, nimm die Maske ab!«, flehe ich noch einmal.
Während ich versuche, zu entscheiden, ob ich schreien oder wegrennen soll, knurrt unaufhörlich mein Magen. Ich versuche, dich nicht aus den Augen zu lassen, wie du mir sprungbereit gegenüberstehst. Aber das Blut beginnt, mir in den Ohren zu rauschen, und macht die Konzentration schwer.
Wieder spüre ich das statische Kribbeln meiner Maske. Ich weiß, dass es nicht sein kann, dass du schützend neben mir stehst, aber ich schaue dennoch zur Seite. Ich schaue zur Seite und direkt in meine Augen. Rote Augen. Ich erstarre.
Mein Gesicht mir gegenüber erstarrt ebenfalls. Wieder ein Kribbeln und mein Gesicht verschwindet hinter einer Kuckucksmaske. Ein weiteres Kribbeln und es kehrt zurück. Rotäugig. Fremd. Die Wand ist ein Spiegel, wird mir klar. Mein Magen knurrt.
Ich schaue zu dir zurück. Angst spiegelt sich in deinen Augen – Nanas Augen. Du bist immer noch du, erkenne ich jetzt. Du bist nicht anders als sonst, nur wachsamer, erschrockener. Du fürchtest dich. Und du riechst immer noch so gut!
Blume
Ich male dir ein Bild von mir | Saza Schröder
Ich bin noch immer da der sterbende Schwan in mir tanzt ernst und ohne zu taumeln was gäbe ich für eine Kaskade von Atem nicht morgen heute noch ohne Angst vor dem Messer das mir das kalte Herz aus dem Leib schneidet ich male dir ein Bild von mir
Ich bin das warme Land
in das du dich sehen sollst
bin die Sonne die dich brennt
bin der Wind der dich kühlt
Das Blut rauscht die Linde rauscht am Brunnen vor dem Tore rauscht das deutsche Gemüt sie wollen keine Synagoge in ihrer Straße kein Minarett kein Heim für behinderte Kinder die Preise der Doppelhaushälften rauschen in den Keller Rausch Gier Rausch ich male dir ein Bild von mir
Ich bin das Murmeln in fernen Wassern
Bin das Laute und das Leise
Dein Viel und dein Wenig
Dein AllesundNichts
Der fremde Nachbar singt durch das Treppenhaus La Montanara hörst du die Berge sie rufen dich der Postbote bringt wieder kein Lebenszeichen Stau auf allen Fluchtwegen Ohnmacht rauscht durch die Därme ich bin noch immer nicht weg eins zwei drei eins zwei drei Pirouette der sterbende Schwan kommt nicht auf die Spitze ich male dir ein Bild von mir
Ich bin das Jetzt und das Bald
Das NieundNimmer
Das Mein und das FürimmerDein
Bin der rollende Stein
Das Blut rauscht der Wildbach rauscht das deutsche Gemüt die Linde rauscht am Brunnen vor dem Tore ein rauschiges Wildschwein ein müder Tanzschwan das letzte Wort die letzte Reserve der letzte Blick zurück Halali die Jagd ist eröffnet
ich male dir ein Bild von mir
Die Blume der Romantik
blüht nur für dich
In meinem Gesicht
Die Fischerin
Timpe Te | Regina Schleheck
Erst als sie den Inhalt in die Wanne kippte, sah sie ihn zappeln. Die Tragetasche hatte gehalten. Sorgfältig ausgesucht bei ihren samstäglichen Gängen über die Kö. Die Verpackung zählte. Name, Größe, Beschaffenheit. Louis Vuitton war ihre erste Wahl gewesen, aber die Gucci-Version schien ihr dann doch robuster. Und vollkommen ausreichend. Die schmale Form würde beim Laufen nicht so behindern. Die High Heels waren nicht das Problem, die hätte sie ausziehen können. Natürlich wäre ein Rucksack am praktischsten gewesen. Und natürlich hätte sie die Tüte auch bei eBay gekriegt. Aber in der Höhle des Löwen galt es, nicht aufzufallen. Erkundung und Übung. Die Plünnen für die Promenaden bezog sie von eBay. Prada, Lacoste, Joop. Vorher studierte sie die einschlägigen Blättchen: Gala, InStyle, Elle. Bei jedem Bummel ein anderer Fummel und eine andere Frisur. In den Läden erstand sie alberne Accessoires im Sonderangebot, die sie zum Originalpreis vertickte: Strenelle-Beanies mit Strasssteinchen-Logo, mit Federn besetzte Kunstpelzstulpen von Etsy und Picard-Plüschhandtäschchen.
Heute Morgen hatte er ihr schließlich einen Igel verpasst. Mit dem Rasierer. Dass die Perücke wie angegossen saß. Sie hatte an einem zentralen Platz in der Nähe des Bahnhofs ein Taxi genommen. Tarek das Rad. Ein geklautes, das er irgendwo wieder stehen lassen konnte.
Tarek war es, der ihr die Augen geöffnet hatte. Im AK 47 waren sie auf der Tanzfläche zusammengescheppert und – er gab ihr einen aus, sie revanchierte sich – ins Gespräch gekommen. Seine Sprüche hatten sie anfänglich irritiert. Aber seine Bewegungen waren so, dass sie dauernd hingucken musste. Vielleicht lag es auch an den Shots. Sie standen in den Tanzpausen beieinander und ihr dämmerte, wie er tickte. Soweit die Musik es zuließ. Sein Gerede von Ausbeutern und Dreck am Stecken. Von großen und kleinen Fischen. Seine Leidenschaft. Sie wollte es. Wollte ihn. Als sie ihn in ihre Dachgeschosswohnung mitnahm, erzählte er ihr, was sein Name bedeutete. Etwas explodierte in ihr. Am anderen Morgen war er weg, ehe sie aufwachte. »Sorry, Frühschicht«, stand auf dem Zettel an der Kaffeemaschine. Er jobbte bei einem Paketdienst. Sie fror. Ihre Arbeitszeit in der Praxis begann erst um acht.
Je öfter er kam, umso besser kapierte sie seine Wut. Männer waren nicht so weichherzig – nein, dämlich wie Frauen, ließen sich nicht so leicht vereinnahmen.
Ihre Mutter hatte erzählt, wie sehr die Großmutter 1958 mit Soraya von Persien, Ehefrau von Schah Mohammad Reza Pahlavi gelitten hatte, der sie nach sieben Jahren Unfruchtbarkeit in die Wüste schickte. Dass der eigene Mann viel zu früh bei einem Betriebsunfall gestorben war und sie ihre Tochter in der Nachkriegszeit alleine durchbringen musste, war schlimm. Nein, Pech. Das Schicksal der mit einem Millionenvermögen abgefundenen persischen Kaiserin hingegen eine Tragödie, die die Großmutter immer beschäftigt hatte.
Die Mutter weinte, als der englische Thronfolger 1996, nach fünfzehn Jahren, Lady Di schasste, die ihm sogar zwei Kinder geboren hatte, woraufhin die Königin der Herzen ein Jahr später bei einem Unfall zu Tode kam und die Mutter ein zweites Mal tagelang in Tränen aufgelöst war.
Sie selbst hatte 2008 die Schlagzeilen um Susanne von Klatten, geborene Quandt, verfolgt, reichste Frau Deutschlands, die nach achtzehn Ehejahren und drei Kindern von einem Gigolo verführt und erpresst wurde und deren lieblose Ehe den Skandal immerhin noch zehn Jahre überstand. Hatte sie bedauert. Den Stolz der anderen bewundert, die den Typ anzeigte, wissend, dass sich alle das Maul zerreißen würden.
Warum? Warum reagierten Generationen von Frauen empathisch auf Probleme von Frauen, mit denen sie außer dem Geschlecht und sich daraus ergebenden Konsequenzen – Kindern und Ehemännern, die früher oder später nichts mehr von ihnen wissen wollten – nichts teilten? Die oberen Zehntausend schwämmen in Geld, das sie denen, die sie bewunderten und bemitleideten, abgepresst hätten, sagte Tarek. »Blutgeld« nannte er es. »Unser Geld.«
Sein Onkel war als Kind im türkisch-griechischen Grenzgebiet durch eine APM, eine Antipersonenmine, ums Leben gekommen, der Vater hatte ein Bein verloren. Deutsche Landminen aus dem Hause Quandt, den Industriewerken Karlsruhe AG, sagte Tarek. Achtzig Prozent aller Minen töteten Zivilisten, ein Viertel davon Kinder. Die Familie seines Vaters habe