Anleitung zum Konservativsein. Alexander Gauland
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Alexander Gauland
ANLEITUNG ZUM
KONSERVATIVSEIN
Zur Geschichte eines Wortes
INHALT
Konservativismus – ein Phantom?
Die Bundesrepublik, ein schöner Traum
Mythendeuter werden noch gebraucht
Konservativismus – ein Phantom?
Wer heutzutage das Epitheton »konservativ« benutzt, kann nicht sicher sein, dass er verstanden wird. Geistesgeschichtliche Begriffe schillern immer, und nach dem Verlust ideologischer Gewissheiten sind auch die Konkurrenzbegriffe liberal und sozialistisch im Nebel massendemokratischer Unschärfe verschwommen. Doch selten noch sind die Schwankungen so extrem wie im Falle des Konservativismus. Im täglichen Sprachgebrauch sind Konservative fast alles: wandlungsunfähige Kommunisten bis hin zu Milosevic und den orthodoxen Putschisten gegen Gorbatschow, Neoliberale, die auf Markt und Globalisierung setzen und Probleme mit der sozialen Demokratie haben, oder auch fundamentalistische Fortschrittsfeinde christlicher oder muselmanischer Religionszugehörigkeit, also Gegner von Markt und Menschenrechten. Es nimmt deshalb nicht wunder, wenn manche Betrachter an der Definierbarkeit zweifeln und den Konservativismus für tot erklären. Panajotis Kondylis nannte sein 1986 erschienenes Buch über den Konservativismus im Untertitel »Geschichtlicher Gehalt und Untergang«. Und er resümiert seinen Standpunkt mit den Worten: »Der Konservativismus als konkrete geschichtliche Erscheinung, die von einer fest umrissenen Ideologie begleitet wurde, ist längst tot und begraben.« Dieses Urteil leugnet, dass es sich bei konservativen Handlungen und Gedankengängen um eine anthropologische Konstante handelt, die in immer neuen ideologischen Gewändern auftritt, oder wie es Georg Quabbe in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts formuliert hat, dass es eine konservative Anlage gibt, die auf die Dauer mit bestimmten inhaltlichen Idealen nicht zu füllen sei. Doch gerade dies erscheint höchst zweifelhaft. »Dass wir uns inzwischen ›jenseits von links und rechts‹ befinden, wird man nach alledem nicht glauben können«, beendete der Historiker Paul Nolte seine Überlegungen im Merkur über den Konservativismus in Deutschland, in denen er eine »konservative Anthropologie« der CDU anmahnte. Und der französische Aphoristiker Garnier kommt in seinem Essay über die Lauheit zu dem Schluss: »Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird man am ehesten konservativ sein, nicht unbedingt in der Absicht, die Interessen der Besitzenden zu schützen, sondern um die Geschwindigkeit der technischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu drosseln. Stärker noch als Ungerechtigkeit quält uns das Tempo der Veränderung.«
Hitlers Erbe
Totgesagte leben länger, könnte man zynisch anmerken, wenn die Frage nach Tod oder Leben einer konservativen Geisteshaltung nicht lebenswichtig für unsere Gesellschaft wäre. Denn das ist die Schwäche der neuen, wie es die der alten Bundesrepublik war, sozusagen ihr Gründungsfehler, dass ihr im Gegensatz zu den großen Demokratien Westeuropas und auch im Unterschied zu Amerika eine unangefochtene, tradierte, in der Geschichte wurzelnde konservative Position fehlt. Nach der Katastrophe Hitlers blieben alle konservativen Gedanken stigmatisiert und tabuverdächtig, eben NS-krank. Das Bündnis, das ein Teil der alten Eliten mit dem braunen Trommler einging, konnte auf ihre Gedankenwelt nicht ohne Auswirkung bleiben, und so hat Joachim Fest Recht, wenn er in seinem Buch Das Gesicht des Dritten Reiches feststellt: »Längst aller humanistischen und religiösen Wertnormen entkleidet, aber auch ohne jenes kritische Traditionsbewusstsein, das die eigentliche Rechtfertigung der echten konservativen Position ist, besaß sie keine Lebendigkeit und keine zukunftstragenden