Anleitung zum Konservativsein. Alexander Gauland
Meinungen kann hier dahingestellt bleiben, denn auch im Fall des Präventivschlages war Friedrichs Politik unter diplomatischen wie politischen Gesichtspunkten verheerend. Er hatte das für unmöglich Gehaltene, ein Bündnis Habsburgs mit Frankreich, zustande gebracht und dafür mit England einen Partner gewonnen, der an einer Entscheidung in Nordamerika und nicht in Europa interessiert war. War die Annexion Schlesiens nach dem Fouché-Wort ein Verbrechen, so war der Überfall auf Sachsen mehr als das – nämlich eine Dummheit. Die Art und Weise der Behandlung Sachsens ist damals so einhellig verurteilt worden wie zuvor die Annexion Schlesiens. Thomas Mann in der schon erwähnten Rechtfertigungsschrift: »Von dem Lärm, der sich über diesen unterhörten Friedens- und Völkerrechtsbruch in Europa erhob, macht man sich keine Vorstellung.« Friedrich besetzte das Land, schoss – 180 Jahre vor den angloamerikanischen Bombengeschwadern – die Dresdner Altstadt in Brand, ließ das Staatsarchiv unter Androhung körperlicher Gewalt gegen die in Dresden zurückgebliebene Königin abtransportieren und zwang die in Pirna eingekesselte sächsische Armee unter preußische Fahnen. Wieder hatte er ein neues Element in die deutsche Politik eingeführt: »Das ständige Roulettespielen mit unzureichenden Mitteln, das Hasardieren; das Alles-auf-eine-Karte-Setzen; das Glückhaben-Müssen; der ständige Gedanke an Gift und Dolch, wenn’s schiefgeht; die permanente Überanstrengung.« (Rudolf Augstein) Mit Friedrichs Drittem Schlesischem Krieg stellte er sein Glück allein auf den Erfolg der Waffen. Nirgendwo anders, so urteilt der englische Historiker Gooch, hat sich damals der Glaube an die Waffen als das natürliche Mittel, Streitigkeiten auszutragen, durchgängigerer Achtung erfreut; wurde die Drohung mit dem Krieg als ein Instrument der Politik so systematisch angewandt; bestand so wenig Gefühl für internationale Zusammenarbeit. »Ich habe Europa mit der Seuche des Krieges angesteckt«, schrieb Friedrich 1742 an Voltaire. Dass er in diesem Krieg nicht unterging, verdankte er allein dem glücklichen Umstand des rechtzeitigen Todes der Zarin Elisabeth. Gewiss hat Jacob Burckhardt Recht, wenn er in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen über Friedrich in diesem Kriege schreibt: »Schicksale von Völkern und Staaten, Richtungen von ganzen Zivilisationen können daran hängen, dass ein außerordentlicher Mensch gewisse Seelenspannungen und Anstrengungen ersten Ranges in gewissen Zeiten aushalten könne. Alle seitherige mitteleuropäische Geschichte ist davon bedingt, dass Friedrich der Große dies von 1759 bis 1763 in supremem Grade konnte.« Aber auch dieses Urteil steht und fällt mit dem für Friedrich gerade noch rechtzeitigen Tod der Zarin.
Ein Jahr später wäre Preußen als Staat vernichtet gewesen. Man kann Friedrich nicht die Fehler oder gar Verbrechen seiner Nachfolger zurechnen, und dennoch: Auf das »Wunder des Hauses Brandenburg« hofften auch Hitler und Goebbels im Bunker, als sie vom Tode Roosevelts erfuhren. Und schon Thomas Mann verglich den deutschen Überfall auf Belgien im Jahre 1914 mit Friedrichs Überfall auf Sachsen, ein durchaus zulässiger Vergleich, wenn man die Motive untersucht. In beiden Fällen hatten sich Preußen und Deutschland diplomatisch isoliert, waren von einem Ring von Feinden umgeben, aus dem sie auszubrechen versuchten, in beiden Fällen unter Bruch des Völkerrechts.
Wilhelm II. hoffte wie Friedrich, dass den Sieger niemand zur Verantwortung ziehen würde. Doch Hasardieren ist keine Politik, und was Friedrich mit Glück gelang, misslang 1918 und endete 1945 in einer Katastrophe. Bismarck hat schon gewusst, warum er die Deutschen immer wieder vor der Konstellation des Dritten Schlesischen Krieges gewarnt hat und das Suchen nach Verbündeten zum Herzstück seiner Außenpolitik machte. Denn auch nach dem glücklichen Ausgang des Siebenjährigen Krieges war Preußen gefährdet wie kein anderer europäischer Staat. Es bleibt die historische Frage, ob Friedrich mit dem Rückgriff auf die reine Macht nicht das Lebensgesetz Preußens formulierte. Resultierte die Radikalität des Handelns Friedrichs aus der Ausnahmesituation eines Staates, für die es keine Parallele gab, so war eben diese Radikalität die Ursache für die dauernde Gefahr des Untergangs, in die er sich selbst und seinen Staat stürzte. Trotz des preußischen Klassizismus, der Humboldt’schen Reformen, des märkischen Arkadien und Fontanes Stechlin bleibt der Satz des Historikers Erdmann gültig, dass es keine preußische Idee gab, mit der dieser Staat – anders als Frankreich, England oder auch Spanien – in die Welt hätte hinauswirken wollen. Was man Preußen schließlich verzieh, solange es dauerte, hat man Deutschland nie verziehen. Friedrichs Legitimation war das Recht der aufsteigenden Macht, das Recht des Stärkeren. Auf eine fast naive Weise hat Gerhard Ritter, der Historiker Preußen-Deutschlands, dies belegt. Hieß es in der ersten Auflage seines Friedrich-Buches 1936 noch »Er (Friedrich) hat damit den Grund für die Größe Preußens gelegt; und so ist seine Tat vor der Geschichte gerechtfertigt«, so stand da 1954: »Er hat damit den Grund für die Größe Preußens gelegt; und solange dessen Aufstieg dauerte, konnte seine Tat als gerechtfertigt vor der Geschichte erscheinen.«
Friedrich und die Folgen
In der Friedrich-Verehrung bündelte sich das falsche Denken, wie es – exemplarisch für den Geist von 1914 – in Werner Sombarts Händler und Helden zutage tritt: »Militarismus ist der zum kriegerischen Geiste hinaufgesteigerte heldische Geist. Er ist Potsdam und Weimar in höchster Vereinigung. Er ist ›Faust‹ und ›Zarathustra‹ und Beethoven-Partitur in den Schützengräben. Denn auch die Eroika und die Egmont-Ouvertüre sind doch wohl echtester Militarismus.«
In Ernst Kantorowiczs Buch über einen anderen Friedrich II. kann man nachlesen, welche Bewunderung das gebildete Deutschland einer Herrscherpersönlichkeit entgegenbrachte, die, frei von moralischen Bedenken, jene Härte der Seele besaß, die zu großen Taten befähigte. Friedrich Meinecke hat später in seinem Buch über Die deutsche Katastrophe davon gesprochen, dass das geistige Klima in Deutschland in diesen Jahren geprägt gewesen sei von einer Offenheit und Nacktheit, von einer prinzipiellen Schärfe und Bewusstheit, der Freude an rücksichtslosen Konsequenzen und der Neigung, etwas zunächst doch Praktisches zu etwas Weltanschaulichem zu erheben.
Was sich zu Beginn des Jahrhunderts in der Abwehr der Ideen von 1789 zum ersten Mal gezeigt hatte, wird jetzt zur herrschenden Ideologie. Die Vorstellung von einem »Inneren Reich« und, damit verbunden, die Neigung zu Träumerei und verschwommenen Gefühlslagen begünstigten die Abwendung vom Westen und den fatalen Glauben an eine deutsche kulturelle Mission, an die Brückenfunktion zwischen West und Ost.
Der deutsche Kulturpessimismus betritt die Bühne und wendet das Gesicht des neuen Deutschlands nach Osten. Es ist heute kaum nachvollziehbar, dass ein wirres, in schlechtem Deutsch geschriebenes Buch über Rembrandt als Erzieher von Kritikern als »das bedeutendste Buch unseres Jahrhunderts« gepriesen wurde. Es findet sich in Julius Langbehns Machwerk wenig über Rembrandt, dafür werden alle Themen des deutschen Konservativismus angeschlagen: Ablehnung der zeitgenössischen Kultur, Verhöhnung der Vernunft und Furcht vor den Wissenschaften. Langbehn setzt nicht auf Reformen, sondern auf die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft. Modernität und Rationalismus sind verwerflich, nur ein neuer Primitivismus kann die elementaren menschlichen Leidenschaften freisetzen und eine neue germanische Gesellschaft schaffen, deren Grundlagen Kunst, Genialität und Macht sind. Wie Paul de Lagarde vor ihm und Oswald Spengler nach ihm formuliert Langbehn ein konservatives Krisenprogramm, das mit den konservativen Grundüberzeugungen vom Bewahren und Anpassen nichts mehr zu tun hat. Statt in konkreter Begrifflichkeit zu argumentieren, wird dem absolutistischen Erbe der französischen Aufklärung mit absolutistischer Gegenaufklärung begegnet.
Dem utopischen Entwurf einer Gemeinschaft von Freien und Gleichen wird das Bild einer rassisch getönten Volksgemeinschaft entgegengesetzt. Nicht die Sicherung der Freiheit des Einzelnen durch Institutionen, sondern das Aufgehen des Individuums in der Schicksalsgemeinschaft Nation ist das Programm der Gegenrevolution.
In diesem Geist liest das deutsche Bürgertum die Philosophie Friedrich Nietzsches. Seine Kritik an neudeutschem Kulturphilistertum, Machtrausch, nationaler Überhebung und Rassenwahn verschwindet hinter dem Lob des Übermenschen. Seine Bewunderung für mediterrane Klarheit, die französischen Moralisten und die Musik Bizets passten nur schlecht zum radikalen Kulturpessimismus und spielten deshalb in der populären Nietzsche-Rezeption keine Rolle.
Herrenmenschentum und rücksichtslose Verachtung alles Schwachen hingegen ließen sich problemlos von ihren ästhetischen und philosophischen Voraussetzungen in Griechentum und Renaissance lösen und zur Herrenmoral