Hiob. Roman eines einfachen Mannes. Йозеф Рот

Hiob. Roman eines einfachen Mannes - Йозеф Рот


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Fuhrmann Sameschkin und fragte ihn, ob er sie in der nächsten Zeit umsonst nach Kluczýsk mitnehmen könnte.

      „Ja“, sagte der Kutscher Sameschkin, er saß auf der blanken Ofenbank, ohne sich zu rühren, die Füße in graugelben Säcken, mit Stricken umwickelt, und er duftete nach selbstgebrautem Schnaps. Deborah roch den Branntwein wie einen Feind. Es war der gefährliche Geruch der Bauern, der Vorbote unbegreiflicher Leidenschaften und der Begleiter der Pogromstimmungen. „Ja“, sagte Sameschkin, „wenn die Wege besser wären!“ — „Du hast mich einmal auch schon im Herbst mitgenommen, als die Wege noch schlechter waren.“ — „Ich erinnere mich nicht“, sagte Sameschkin, „du irrst dich, es wird ein trockener Sommertag gewesen sein.“ — „Keineswegs“, erwiderte Deborah, „es war Herbst, und es regnete, und ich fuhr zum Rabbi.“ — „Siehst du“, sagte Sameschkin, und seine beiden Füße in den Säcken begannen sachte zu baumeln, denn die Ofenbank war ziemlich hoch und Sameschkin ziemlich klein von Wuchs, „siehst du“, sagte er, „damals fuhrst du zum Rabbi, es war vor euren hohen Feiertagen, und da nahm ich dich eben mit. Heute aber fährst du nicht zum Rabbi!“ — „Ich fahre in einer wichtigen Angelegenheit“, sagte Deborah, „Jonas und Schemarjah sollen niemals Soldat werden!“ — „Auch ich war Soldat“, meinte Sameschkin, „sieben Jahre, davon saß ich zwei im Zuchthaus, denn ich hatte gestohlen. Eine Kleinigkeit übrigens!“ Er brachte Deborah zur Verzweiflung. Seine Erzählungen bewiesen ihr nur, wie fremd er ihr war, ihr und ihren Söhnen, die nicht stehlen und auch nicht im Zuchthaus sitzen sollten. Also entschloß sie sich, schnell zu handeln: „Wieviel soll ich dir zahlen?“ — „Gar nichts! Ich verlange kein Geld, ich will auch nicht fahren! Der Schimmel ist alt, der Braune hat gleich auf einmal zwei Hufeisen verloren. Übrigens frißt er den ganzen Tag Hafer, wenn er einmal nur zwei Werst gelaufen ist. Ich kann ihn nicht mehr halten, ich will ihn verkaufen. Es ist überhaupt kein Leben, Fuhrmann sein!“ — „Jonas wird den Braunen selbst zum Schmied führen“, sagte beharrlich Deborah, „er wird selbst die Hufeisen bezahlen.“ — „Vielleicht!“ erwiderte Sameschkin. „Wenn Jonas das selbst machen will, dann muß er aber auch ein Rad beschlagen lassen.“ — „Auch das!“ versprach Deborah. „Wir fahren also nächste Woche!“

      Also reiste sie nach Kluczýsk, zu dem unheimlichen Kapturak. Viel lieber wäre sie eigentlich beim Rabbi eingetreten, denn gewiß war ein Wort aus seinem heiligen dünnen Mund mehr wert als eine Protektion Kapturaks. Aber der Rabbi empfing nicht zwischen Ostern und Pfingsten, es sei denn in dringenden Fällen, in denen es sich um Leben und Tod handelte. Sie traf Kapturak in der Schenke, wo er umringt von Bauern und Juden in der Ecke am Fenster saß und schrieb. Seine offene Mütze, mit dem aufwärts gekehrten Unterfutter, lag auf dem Tisch neben den Papieren, wie eine ausgestreckte Hand, und viele Silbermünzen ruhten bereits in der Mütze und zogen die Augen aller Umstehenden an. Kapturak kontrollierte sie von Zeit zu Zeit, obwohl er wußte, daß niemand wagen würde, ihm auch nur eine Kopeke zu entwenden. Er schrieb Gesuche, Liebesbriefe und Postanweisungen für jeden Analphabeten (außerdem konnte er Zähne ziehen und Haare schneiden).

      „Ich habe mit dir eine wichtige Sache zu besprechen“, sagte Deborah über die Köpfe der Umstehenden hinweg. Kapturak schob mit einem Ruck alle Papiere von sich, die Menschen zerstreuten sich, er langte nach der Mütze, schüttete das Geld in die hohle Hand und knüpfte es in ein Taschentuch. Dann lud er Deborah ein, sich zu setzen.

      Sie sah in seine harten kleinen Augen wie in starre helle Knöpfchen aus Horn. „Meine Söhne müssen einrücken!“ sagte sie. „Du bist eine arme Frau“, sagte Kapturak mit einer fernen singenden Stimme, als läse er aus den Karten. „Du hast kein Geld sparen können, und kein Mensch kann dir helfen.“ — „Doch, ich habe gespart.“ —„Wieviel?“ „Vierundzwanzig Rubel und siebzig Kopeken. Davon habe ich schon einen Rubel ausgegeben, um dich zu sehn.“ — „Das macht also nur dreiundzwanzig Rubel!“ — „Dreiundzwanzig Rubel und siebzig Kopeken!“ verbesserte Deborah. Kapturak hob die rechte Hand, spreizte Mittel- und Zeigefinger und fragte: „Und zwei Söhne?“ — „Zwei“, flüsterte Deborah. „Fünfundzwanzig kostet schon ein einziger!“— „Für mich?“ — ,,Auch für dich!“

      Sie handelten eine halbe Stunde. Dann erklärte sich Kapturak mit dreiundzwanzig für einen zufrieden. ,Wenigstens einer!‘ dachte Deborah.

      Aber unterwegs, während sie auf der Fuhre Sameschkins saß und die Räder durch die Eingeweide und ihren armen Kopf holperten, erschien ihr die Lage noch elender als zuvor. Wie konnte sie ihre Söhne voneinander unterscheiden? ,Jonas oder Schemarjah?‘ fragte sie sich unermüdlich. Besser einer als beide, sagte ihr Verstand, wehklagte ihr Herz.

      Als sie nach Hause kam und ihren Söhnen das Urteil Kapturaks zu berichten anfing, unterbrach sie Jonas, der Ältere, mit den Worten: „Ich gehe gern zu den Soldaten!“

      Deborah, die Tochter Mirjam, Schemarjah und Mendel Singer warteten, wie Hölzer. Endlich, da Jonas nichts weiter sprach, sagte Schemarjah: „Du bist ein Bruder! Ein guter Bruder bist du!“ — „Nein“, erwiderte Jonas, „ich will zu den Soldaten!“

      „Vielleicht kommst du ein halbes Jahr später frei!“ tröstete der Vater.

      „Nein“, sagte Jonas, „ich will gär nicht freikommen! Ich bleibe bei den Soldaten!“

      Alle murmelten das Nachtgebet. Schweigsam entkleideten sie sich. Dann ging Mirjam im Hemd und auf koketten Zehen zur Lampe und pustete sie aus. Sie legten sich schlafen.

      Am nächsten Morgen war Jonas verschwunden. Sie suchten nach ihm, den ganzen Vormittag. Erst am späten Abend erblickte ihn Mirjam. Er ritt einen Schimmel, trug eine braune Joppe und eine Soldatenmütze.

      „Bist du schon Soldat?“ rief Mirjam.

      „Noch nicht“, sagte Jonas und hielt den Schimmel an. „Grüß Vater und Mutter. Ich bin bei Sameschkin, vorläufig, bis ich einrücke. Sag, ich konnte es nicht bei euch aushalten, aber ich hab’ euch alle ganz gern!“

      Er ließ daraufhin eine Weidengerte pfeifen, zog an den Zügeln und ritt weiter.

      Von nun an war er Pferdeknecht beim Fuhrmann Sameschkin. Er striegelte den Schimmel und den Braunen, schlief bei ihnen im Stall, sog mit offenen genießenden Nasenlöchern ihren beizenden Urinduft ein und den sauren Schweiß. Er besorgte den Hafer und den Tränkeimer, flickte die Koppeln, beschnitt die Schwänze, hängte neue Glöckchen an das Joch, füllte die Tröge, wechselte das faule Heu in den zwei Fuhren gegen trockenes aus, trank Samogonka mit Sameschkin, war betrunken und befruchtete die Mägde.

      Man beweinte ihn zu Hause als einen Verlorenen, aber man vergaß ihn nicht. Der Sommer brach an, heiß und trocken. Die Abende sanken spät und golden über das Land. Vor der Hütte Sameschkins saß Jonas und spielte Ziehharmonika. Er war sehr betrunken, und er erkannte seinen eigenen Vater nicht, der manchmal zögernd vorbeischlich, ein Schatten, der sich vor sich selbst fürchtet, ein Vater, der nicht aufhörte zu staunen, daß dieser Sohn seinen eigenen Lenden entsprossen war.

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