Der Goldschatz aus Böhmen - Erzählungen und Anekdoten. Gertrud Fussenegger

Der Goldschatz aus Böhmen - Erzählungen und Anekdoten - Gertrud Fussenegger


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      »Ja, ich!« sagte sie. »Ihr seid mir alle viel zu aufgeregt.«

      Meine arme Großmutter! Sie hatte zwar schon manches über die Grenze geschwindelt, was eine bornierte Obrigkeit mit Zoll und Zollstrafen belegt hätte: selbstgestrickte Strümpfe und Jäckchen für Enkelkinder, einen silbernen Löffel als Patengeschenk, eine Flasche nach Hausrezept verfertigten Kirschlikörs. Alles verboten – in sturer Feindseligkeit zwischen Staat und Staat. Doch wie verboten war erst ihr neuestes Vorhaben!

      »Ich werde das Geld in den Schuhen verstecken«, sagte die Großmuter, »und in meinem Rockbund. Dort wird es niemand vermuten.« – Die Gute! Sie hatte keine Ahnung, daß jede wachsame Obrigkeit zuerst die Schuhe und dann die Säume durchfieselt.

      Am Vorabend der Reise waren etliche Tausender unter die Brandsohlen ihrer schwarzen Schnürschuhe geschoben, etliche andere unter den Bund ihres Rockes genäht.

      Da erschien, miteingeweiht, da der Familie seit Jahrzehnten vertraut, ein tschechisches Kusinchen: ein schon etwas ältlich gewordenes Fräulein, das sich, ohne Vermögen und ohne erlernten Beruf, so durchbrachte, daß sie bei Verwandten lebte und sich dort nützlich zu machen versuchte. Sie nähte sehr hübsch und vor allem akkurat. Sie flickte die heikelsten Spitzenstoffe so geschickt, daß das Loch kaum noch zu ahnen war. Sie richtete die herzigsten Päckchen her mit Bändchen und Maschen und garnierte die prächtigsten Geburtstagstorten. Jetzt ließ sie sich zeigen und vorführen, wo das Geld versteckt war.

      »Nein, aber doch nicht so«, rief sie, »so geht das nicht, das kriegt ja jeder spitz, er braucht nur einmal hinzuschauen.«

      Sie machte sich ans Werk. Zuerst bügelte sie die Scheine weich und geschmeidig wie Seide. Dann öffnete sie das Innenfutter der Schuhe und schob etliche Scheine hinein. Dann garnierte sie den Rockbund rundum, Saum für Saum. Dann nähte sie alle Verstecke mit den feinsten Stichen zu, deren ihre geübten Hände fähig waren. »Also in Gottes Namen«, sagte sie, als sie fertig war. »Ich werde beten, Tanterl, daß du gut hinüberkommst.«

      Sie betete, ja, betete sie wirklich? Denn vielleicht – o Menschenseele, was bist du für ein Rätsel! – vielleicht schlug eben in derselben Nacht ihr nationales tschechisches Gewissen: sie, die ihr Volk inbrünstig liebte und seit dem Jahr 1918 glücklich war, einer befreiten Republik anzugehören und nicht mehr unter Österreich-Habs-burgs Tyrannei schmachten zu müssen, sie mußte sich in dieser Nacht sagen, daß hier Verbotenes geschah, ihrem Land zum Schaden, und daß sie, die sich doch immer als treue Tochter ihrer Nation gefühlt hatte, ihre Hand dazu geliehen. Und vielleicht (ich will es nicht behaupten) lief sie in jener Nacht noch zur Polizei oder drehte eine Telephonkurbel oder vertraute sich auch nur einem ihrer tschechischen Freunde an … denn –

      Denn als meine Großmutter am nächsten Morgen losfuhr und nach vier oder fünf Stunden banger Bahnfahrt (so lange brauchten damals die Züge für knappe 150 km) in der Grenzstation einfuhr und noch bei rollenden Rädern einen Blick auf den Bahnsteig tat, da sah sie schon eine ganze Reihe Tellermützen aufgefädelt, eine Reihe von Pelerinen im unverkennbaren Mausgrau der tschechischen Zollwacht, und als der Zug hielt, schwärmten sie in noch unverkennbarerem Eifer aus und stürzten in die Waggons.

      Und da kam schon einer daher, verlangte den Paß und lachte, als er den Namen las. »Da ist ja die gnädige Frau, da ist sie ja! Wir werden die Fahrt hier ein bißchen unterbrechen, wenn es gefällig ist. Aussteigen, bitte, aussteigen! – und das Gepäck nehmen wir auch mit.« Meine Großmutter, siebzig damals, vielleicht auch schon drüber, hatte viele böse Augenblicke in ihrem Leben überstanden. Sie war eingeübt, böse Augenblicke zu überstehen. Aber in diesem mag sie bis in die Lippen blaß geworden sein. Dennoch stand sie ruhig auf, nahm ihren Pompadour, ihren Mantel, ihren Hut; der Beamte trug das Gepäck, so stiegen sie aus – und dann ging es los.

      Es ging damit los, daß sich das ganze Rudel Zollbeamter um sie sammelte, wie Jagdhunde, die ihre Beute schon zwischen den Zähnen haben. Man fragte sie: »Wo haben Sie das Geld?« und als sie den Kopf schüttelte und auf ihr mit wenigen kleinen Scheinchen beschicktes Portemonnaie verwies, brach man in Hohngelächter aus: Man habe doch ein Haus verkauft, oder nicht? So habe man doch wohl eine Stange Geld gekriegt, oder nicht? und wenn man jetzt ins Ausland fahre, so geschehe das aus einem ganz bestimmten Grund, oder nicht? man habe doch eine Tochter in Österreich, wie bekannt, die fahre man besuchen, wie erwiesen, die Fahrkarte hier, die laute auf einen Ort in Tirol.

      Nun wurde das Gepäck meiner Großmutter geöffnet und sie selbst einer Frau übergeben, die sie untersuchen sollte. In einem zellenartigen Raum mußte sie sich entkleiden.

      Was nun geschah, wird für immer ein Rätsel bleiben.

      Die untersuchende Beamtin fand nichts. Oder sie tat, als habe sie nichts gefunden. Sie schaute in die Schuhe, sie griff den Rockbund ab, sie ließ alle Kleidersäume durch ihre Finger gleiten, sie griff meiner Großmutter in die Frisur und löste ihr dürftiges Zöpfchen. Meine Großmutter (ich glaube sie vor mir zu sehen) saß dabei still, bewegte sich kaum, nur ihre Lippen zuckten ein wenig, weil sie ein lautloses Ave sprach.

      Dann sagte die Beamtin: »Ziehen Sie sich wieder an.«

      Draußen stand die Meute und drängte heran: »Na – und? wieviel?«

      »Nichts«, sagte die Beamtin. »Nichts.«

      »Das gibt es nicht«, riefen die Tellermützen wie aus einem Munde. »Sie muß es bei sich haben. Im Gepäck war nichts zu finden.«

      Noch einmal zurück in die Zelle.

      Noch einmal Schuhe, Hemd, Rock, Frisur, jedes Stück durchgeschüttelt, durchgegriffen. Die Beamtin zuckte die Achseln. – »Es ist wirklich nichts da«, sagte sie noch einmal.

      Die Tellermützen wichen zurück. Sie stürzten sich noch einmal über die Koffer. Doch da war ja wirklich keine Beute zu machen. Zuletzt zerstreuten sie sich, mißmutig murmelnd. Der Zug war längst abgefahren. Meine Großmutter mußte drei, vier Stunden auf den nächsten warten. Sie saß auf irgendeinem Hocker, den ihr eine mitleidige Seele vor das Bahnhofsgebäude gestellt hatte, sie saß mit geschlossenen Augen, als schliefe sie, die gichtverkrümmten abgerackerten Hände fest im Schoß gefaltet.

      So wurde dann unser Haus in Hall gebaut.

      Im Sommer 1925 wurde der erste Spatenstich getan.

      Im Sommer darauf war es fertig.

      Im Haller Lokalanzeiger erschien ein längerer Artikel. Der Bau wurde als besonderes Ereignis gefeiert. Es sei, hieß es darin, das erste Haus, das nach dem Krieg in der ganzen Gemeinde errichtet worden sei.

      Meine Mutter erlebte es nicht mehr, daß wir einzogen.

      Sie konnte gerade noch dabei sein, als die Dachgleiche gefeiert wurde. Wenige Tage später brach bei ihr die Krankheit aus, die ihr der Arzt zwanzig Jahre zuvor angekündigt hatte. Sie starb im Juni 1926 und wurde auf dem Friedhof bestattet, auf dessen Vorplatz die Fuxmagengasse mündet.

      Ich lebte viele Jahre in dem Haus. Es war meine Zuflucht und meine Rettung in einer Zeit, in der es sonst keine Zuflucht und keine Rettung für mich gegeben hätte.

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