Missionale Theologie. Roland Hardmeier

Missionale Theologie - Roland Hardmeier


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Rates der Kirchen gedacht, führte die Frankfurter Erklärung mit ihrer kategorischen Absage an die ökumenische Missionstheologie zu einer starken Polarisierung. Während Evangelikale wie Klaus Bockmühl die Frankfurter Erklärung für eine „notwendige und verdienstliche Thematisierung des berechtigten Unbehagens an der Genfer Linie“ begrüßten,71 kritisierte eine Minderheit die scharfe Abgrenzung, welche die Erklärung provozierte.72 Von den Ökumenikern, welche die Genfer Linie vertraten, wurde die Frankfurter Erklärung abgelehnt. Peter Beyerhaus, der die Federführung der Frankfurter Erklärung hatte, verteidigte sie, indem er darauf hinwies, dass durch den ökumenischen Kurs die Mission an sich gefährdet sei. Die Verfasser seien überzeugt, „dass es hier um das Sein oder Nichtsein nicht nur des gegenwärtigen Missionsbetriebs, sondern der christlichen Kirche und des christlichen Glaubens überhaupt geht“.73 Die Frankfurter Erklärung wolle „den bibeltheologischen Konsensus über Grund, Aufgabe und Ziel der Mission erneuern“.74

      Die Frankfurter Erklärung erzielte insbesondere in der evangelikalen Missionslandschaft in Deutschland eine nachhaltige Wirkung. Sie ermöglichte eine missionstheologische Standortbestimmung in deren Folge „sich gegenüber der ökumenischen Missionstheologie eine eigenständig evangelikale Missionstheologie in Deutschland“ entwickelte.75 Einerseits trug die Frankfurter Erklärung so zur Bewahrung des missionstheologischen Erbes lutherisch-pietistischer Tradition bei. Anderseits wurde ihre anti-ökumenische Haltung zu einem identitätsbildenden Element evangelikaler Missionstheologie in Deutschland und zementierte so den Bruch zwischen Evangelikalen und Ökumenikern.76

       Lausanne in Sicht

      Als im Jahr 1974 der große evangelikale Weltevangelisationskongress in Lausanne stattfand, an welchem rund 4.000 Missionare, Theologen und Leitungspersönlichkeiten teilnahmen, hatten die Evangelikalen definitiv ihren eigenen Weg unter die Füße genommen. Der Bruch zwischen dem ökumenischen und dem evangelikalen Lager war vollzogen. Der Lausanner Kongress wurde von der Billy Graham Evangelistic Association aus dem Bewusstsein ins Leben gerufen, dass sich die ökumenische Missionstheologie immer weiter von ihren biblischen Grundlagen entfernte. So hält Billy Graham in seiner Autobiografie mit Blick auf Bangkok 1973 fest: „Man konzentrierte sich noch stärker auf Themen wie soziale und politische Gerechtigkeit. Die erlösende Kraft des Evangeliums für eine verlorene Welt spielte kaum noch eine Rolle (…) Dieser Trend alarmierte die evangelikalen Christen, die daraufhin begannen, sich um ein gründlicheres Verständnis der biblischen Theologie der Evangelisation zu bemühen.“77 Fortan wurde in der aus dem Kongress hervorgegangenen Lausanner Bewegung intensiv über Grundlage und Praxis der christlichen Mission diskutiert. Der Begriff der Missio Dei spielte dabei keine tragende Rolle. Er war für den ökumenischen Diskurs reserviert und sollte erst zu Beginn des neuen Jahrtausends auch für Evangelikale Bedeutung erlangen.

       2.4Ein Gott, der sendet

      Die Missio Dei ist ein aus der Missionstheologie nicht mehr wegzudenkendes Konzept. Auch missional gesinnte Theologen aus dem evangelikalen Segment beginnen neuerdings, ihn für ihre Sichtweise zu reklamieren. Ein besonderes Problem in der Entstehungsgeschichte des Konzepts bestand in seiner Vieldeutigkeit. So konnte es geschehen, dass unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Ansichten in das Konzept hineingelesen wurden. Diese Unschärfe bedarf der Korrektur. Noch zu Beginn der 1980er-Jahre konnte David Bosch sagen, „dass die Trinitätslehre in Kirche, Mission und Theologie eine nur recht vage Funktion ausübt“. Es sei daher notwendig, „detaillierter auszuführen, was wir unter einer trinitarischen Grundlage der Mission verstehen“.78 Deshalb halte ich es für angebracht, im Folgenden einige biblische Grundzüge der Missio Dei herauszuarbeiten.79

       Gott sendet

      Obwohl wir den Begriff „Mission“ zu Recht mit dem Neuen Testament – und dort insbesondere mit dem sogenannten Missionsbefehl in Mt 28 und Parallelen – in Verbindung bringen, ist Mission nicht auf das Neue Testament beschränkt. Das neutestamentliche Missionsverständnis hat tiefe alttestamentliche Wurzeln.

      Das Alte Testament offenbart einen sendenden Gott, der sich aus Liebe offenbart und Menschen zu Werkzeugen seines Heils macht. Gott selbst ist der erste Missionar. Nach dem Sündenfall geht er zu den Menschen und kündigt ihnen Gericht und Rettung an: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse“ (1Mo 3,15). Mit diesem Versprechen kündigt Gott den Menschen die Überwindung des Bösen an. An diesem Punkt in der Geschichte beginnt inmitten der menschlichen Unheilsgeschichte die Heilsgeschichte Gottes. Hier werden die Grundzüge biblischen Heils sichtbar:80 Gott geht aus sich heraus und sucht das Heil des Menschen. Das Heil ist Gottes Werk, die Selbsterlösung steht schon hier ganz am Anfang im Gegensatz zum Wirken Gottes. Das Heil wird Satan, den Feind der Menschen, zerstören. Damit ist angedeutet, dass die Geschichte nicht endlos weitergeht. Sie hat mit der Schöpfung einen Anfang und mit Gericht und Neuschöpfung ein Ende (Offb 21,1ff). Das Heil wird durch einen Menschen kommen, den „Nachwuchs“ Evas. Dies ist ein verhüllender Hinweis auf Jesus Christus. Durch sein Leiden („du triffst ihn an der Ferse“) verwirklicht er das Heil. Damit wird schon auf den ersten Seiten der Bibel klar: Gott gebraucht Menschen als seine Werkzeuge, um sein Heil zu verwirklichen. Die Initiative geht von Gott aus und das Heil, das er anbietet ist ein Geschenk. Doch dieses Geschenk muss vermittelt werden. Die Vermittlung des Heils, die sowohl im Alten als auch im Neuen Testament eine wichtige Rolle spielt, klingt hier bereits an. Denn wo es keiner menschlichen Vermittlung bedarf, ist auch keine Mission nötig. Und auch das Zusammengehen von Gericht und Gnade findet sich hier: „Gott selbst kommt und verkündigt ihnen [Adam und Eva] das Gericht. Das gehört immer zur Mission dazu. Denn wenn das Gericht nicht wäre, brauchten wir nicht von Gnade und Vergebung zu sprechen.“81

      Die Grundzüge der Missio Dei sind auf den ersten Seiten der Bibel also bereits vorgezeichnet. Entlang dieser Linien entfaltet sich im Alten Testament eine immer deutlicher werdende Theologie der Sendung, in welcher Gott der Handelnde ist. Einige Beispiele: Gott sendet einen Engel, um Abrahams Knecht zu helfen, eine Frau für Isaak zu finden (1Mo 24,7). Gott sendet Josef nach Ägypten, um seine Familie zu retten (1Mo 45,7). Gott sendet Mose zum Pharao, um die Freilassung seines Volkes zu fordern (2Mo 3,10). Gott sendet einen Engel, um sein Volk in das verheißene Land zu führen (2Mo 23,20).

       Gott liebt

      Die zentrale Motivation der Sendung Gottes ist seine Liebe, die sich in seiner Barmherzigkeit zeigt. Nirgends im Alten Testament wird das deutlicher als im Exodus, der paradigmatischen Erfahrung Israels. Das rettende Eingreifen Gottes wird zweifach begründet:

      Zum einen gründet Gottes heilbringendes Handeln in seiner Bundestreue, die auf das Versprechen an Abraham zurückgeht, aus ihm ein Volk zu schaffen. „Gott hörte ihr Stöhnen und Gott gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob. Gott blickte auf die Söhne Israels und gab sich ihnen zu erkennen“ (2Mo 2,24f), steht wie eine Überschrift über dem Exodus. Gott hatte Abraham versprochen, dass seine Nachkommen Gottes Volk sein sollten und dass er ihnen das Land Kanaan zum Pachtbesitz geben würde (1Mo 12,1–3). In der Befreiung aus Ägypten begann Gott dieses Versprechen einzulösen.

      Zum andern ist es die in Gottes Wesen begründete Barmherzigkeit, die ihn zur rettenden Tat drängt. „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen“ (2Mo 3,7f). In diese Situation des Elends sendet Gott Mose, um die Israeliten zu befreien: „Jetzt ist die laute Klage der Israeliten zu mir gedrungen und ich habe auch gesehen, wie die Ägypter sie unterdrücken. Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!“ (2Mo 3,9f). Sowohl hier als auch in den mosaischen


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