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      *

      Eine Stunde später saß Dr. Daniel Norden am Schreibtisch in seinem Büro, das ihm nach der Zeit im OP wie ein Paralleluniversum erschien. Er studierte Bruder Pirmins Fall, als aus dem Vorzimmer ein Lachen herüberwehte. Kurz darauf klopfte es.

      »Dr. Aydin ist hier«, kündigte die Assistentin Andrea Sander den Besucher an.

      Milans Charme hatte deutliche Spuren auf ihren Wangen hinterlassen. Bei Daniel würde er nicht so viel Erfolg haben. In der Tat fackelte Dr. Norden nicht lange.

      »Danke, dass Sie gleich kommen konnten. Es geht um Bruder Pirmin.«

      Milan Aydin hatte es geahnt und sich gewappnet.

      »Der Herzstillstand.«

      Daniel nickte.

      »Sie haben bei unserem Patienten Allergien diagnostiziert und ein Antihistaminikum verordnet«, las er aus der Patientenakte vor. Daraufhin bekam er Atemnot. Sie verabreichten Adrenalin.« Dr. Norden runzelte die Stirn. »Von der Dosierung steht hier nichts.«

      »Es waren 0,1 Milliliter. Soviel ich weiß, ist das die Standarddosis. Die habe ich Bruder Pirmin injiziert.«

      »Man bekommt keinen Herzstillstand von 0,1 Milliliter Adrenalin.«

      Milan Aydin zuckte mit den Schultern. »Ich tippe auf ein bestehendes Herzleiden, das sich erst durch das Adrenalin bemerkbar gemacht hat.«

      Daniel legte das Tablet auf den Schreibtisch. Lehnte sich zurück und verschränkte die Hände vor dem Bauch.

      »Davon steht aber nichts in der Akte.«

      »Das muss ich wohl vergessen haben.«

      Es war zum Haareraufen. Daniel Norden war Klinikchef mit Leib und Seele. Neben vielen anderen Aspekten liebte er die Abwechslung, die diese Aufgabe mit sich brachte. Aber manchmal waren die Szenenwechsel selbst ihm zu abrupt. Noch stand er unter dem Eindruck des Geschehens im Operationssaal und musste trotzdem mit einem Mitarbeiter herumstreiten.

      »Ich habe mich im Behandlungsraum umgesehen. In besagter Schublade liegen zwei Sorten dieser Injektionen nebeneinander. Eine niedrig dosierte Variante und eine höher dosierte. Da greift man schnell mal daneben.«

      »Ich nicht. Und schon gar nicht heute«, behauptete Milan Aydin selbstbewusst.

      Dr. Norden beugte sich vor.

      »Jeder macht mal einen Fehler. Was glauben Sie, warum sich Ärzte nicht davor scheuen, einen Haufen Geld für eine Haftpflichtversicherung auszugeben?«

      Milans rechter Mundwinkel zog sich hoch.

      »Ich gehöre jedenfalls nicht dazu.«

      Daniel verschluckte sich an seinem nächsten Satz. Er hustete.

      »Ein Glück, dass Sie über die Klinik abgesichert sind. Aber Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie im Schadensfall auch persönlich zur Rechenschaft gezogen werden können.«

      »Schon gut, schon gut!« Milan hielt die Hände hoch. »Das hat mir heute schon mal jemand gesagt.«

      »Ein kluger Mensch.«

      »Ich habe trotzdem keine Angst vor einer Klage. Immerhin handelt es sich um christliche Menschen im Dienste Gottes.«

      »Auf der einen Seite, da haben Sie recht«, räumte Dr. Norden ein. »Auf der anderen Seite ist da unsere geschätzte Verwaltungsdirektorin Frau Blume. Wenn ich ihr keinen anständigen Grund für Bruder Pirmins Aufenthalt in unserer Klinik nennen kann, wird sie unsere Juristen verständigen.« Er machte eine kunstvolle Pause. »Was das bedeutet, muss ich Ihnen doch sicher nicht erklären.«

      Betreten starrte Dr. Aydin auf den Fußboden. Mist! Daran hatte er nicht gedacht!

      »Wie viel Zeit habe ich?«, fragte er schließlich heiser.

      »Eine Einweisung zur Beobachtung kann ich 24 Stunden lang rechtfertigen. Innerhalb dieser Zeit müssen Sie herausfinden, was Bruder Pirmin fehlt. Also beeilen Sie sich!«

      *

      »Ein Jammer.« Schwester Josepha stand im Schwesternzimmer und knabberte an einem Keks. »Der schöne Milan steckt ganz schön in Schwierigkeiten.«

      »Sag bloß, er hat was mit der Pflegedienstleitung angefangen?«, platzte ihre Freundin Astrid heraus.

      Der Pfleger Henri stand in der Ecke und räumte Verbandmaterial aus einer Schachtel in den Schrank. Mit dieser Unterhaltung war die Arbeit nicht halb so langweilig wie gedacht.

      Er spitzte die Ohren, um nur ja nichts zu verpassen.

      Die beiden Schwestern nahmen indes keine Notiz von ihrem Kollegen.

      »Dafür hat er im Augenblick wohl keinen Kopf«, erwiderte Josepha geheimnisvoll.

      »Jetzt spann mich nicht so auf die Folter!«

      »Ich habe gehört, wie er vorhin mit seinem Vermieter telefoniert hat. Rein zufällig versteht sich.«

      »Natürlich.«

      Die beiden Freundinnen sahen sich in die Augen und glucksten vor Vergnügen.

      »Und?«, hakte Astrid nach. »Was hat er gesagt?«

      »Sein Vermieter will ihn auf Schadensersatz verklagen, weil er den Schmorbrand fahrlässig verursacht hat.«

      »Der Ärmste. Wir könnten für ihn sammeln.«

      Schritte näherten sich. Schwester Elena kam herein.

      »Sammeln? Für wen?« Sie nahm einen Keks vom Teller in Josephas Hand.

      »Für Dr. Aydin. Warum schauen Sie denn so? Natürlich können wir keine neue Wohnungseinrichtung bezahlen. Aber ein kleines Geschenk wenigstens.«

      »Zum Beispiel einen Mehrfachstecker«, platzte Henri in seiner Ecke heraus.

      »Ich glaube kaum, dass Milan das sehr witzig fände.« Elena bemühte sich um einen strengen Tonfall. Doch das Lächeln um ihre Lippen verriet sie. »Mal abgesehen davon könnte er bestimmt ein paar Haushaltsgegenstände gebrauchen.«

      »Er hat nämlich keine Haftpflichtversicherung«, verriet Josepha und mied den Blick der Pflegedienstleitung.

      »Waaaaas?« Schwester Astrid riss die Augen auf. »Ich kenne mich ja wirklich nicht gut aus. Aber dass Kranken-, Haftpflicht- und Berufsunfähigkeitsversicherungen die wichtigsten Versicherungen überhaupt sind, weiß sogar ich.«

      »Hoffentlich ist es ihm nicht peinlich, dass wir alle wissen, dass er in Schwierigkeiten steckt«, bemerkte Josepha.

      Elena stemmte die Hände in die Hüften und funkelte die Lästerschwestern an.

      »Darüber nachzudenken ist ja wohl ein bisschen zu spät, nachdem Sie es ja schon allen erzählt haben.«

      Sie hatte kaum ausgesprochen, als ein Quietschen vom Gang herüberwehte.

      Jeder im Raum wusste, was das bedeutete. Das Geräusch kam näher. Gleich darauf bog Dr. Aydin um die Kurve. Er war sichtlich in Eile.

      »Sind die Befunde von Bruder Pirmin schon da?«, fragte er und durchwühlte die Patientenakten auf dem Tisch.

      Elena, Astrid, Josepha und Henri standen nebeneinander und sahen ihn an.

      »Ähm, nein, noch nicht«, antwortete Josepha.

      »Zu dumm. Machen Sie den Kollegen …« Milans Blick fiel auf seine Mitarbeiter. »Sagt bloß, ihr habt gerade über mich geredet.« Seine Züge glätteten sich. »Wie schmeichelhaft. Aber über wen solltet ihr auch sonst reden als über euren Lieblingdoc?«

      Verlegene Blicke, scharrende Füße.

      »Es hat sich leider herumgesprochen, dass Sie in finanziellen Schwierigkeiten stecken«, antwortete Josepha.

      »Ach ja?« Milans Augen wurden schmal. Sein Blick fiel auf Elena.

      »Ich kann


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