Deborah s schwarze Meister. Mark Whiting

Deborah s schwarze Meister - Mark Whiting


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acht Uhr vorbei war, begriff Deborah, daß er nicht anrufen würde.

      An sich hatte sie gar nicht mit ihm sprechen wollen, aber sie kam sich so einsam und verzagt, beinahe verzweifelt vor. Sie konnte noch immer nicht dieses Gefühl abschütteln, daß ihre gegenseitigen Beziehungen durch das, was am Freitagabend geschehen war, irgendwie herabgesetzt und beschmutzt worden waren. Immer wieder mußte sie sich daran erinnern, wie er ausgesehen hatte, als er mit heruntergezogenen Hosen auf der Couch gelegen hatte, das Gesicht fieberhaft gerötet und verzerrt, während sie ihn masturbiert hatte. Es war beinahe, als hätte plötzlich eine gänzlich andere Person in diesem sonst so gepflegten, aristokratischen Äußeren gesteckt … und diese Person war nichts weiter gewesen als ein selbstsüchtiger kleiner Junge. Sie schloß die Augen und versuchte sich daran zu erinnern, wie er wirklich aussah. Aber sie konnte immer nur diesen kleinen Jungen sehen.

      Am nächsten Tag im Büro machte sie sich sofort an die Lektüre der vielen Zeitungen, die Frank für sie beschafft hatte. Sie versuchte Interesse an ihrer neuen Rolle zu finden. Aber sie konnte den Gedanken an Bill einfach nicht aus ihrem Kopf vertreiben. Ständig überlegte sie, ob er wohl überhaupt noch einmal bei ihr anrufen würde. Sie überlegte aber auch, ob sie noch von ihm angerufen werden wollte.

      „Was beschäftigt sie denn so, Kindchen?“ erkundigte sich Julie, kaum daß Frank und Jim das Büro verlassen hatten.

      „Ach, eigentlich nichts“, antwortete Deborah seufzend. „Ich habe wohl nur ein bißchen Kopfschmerzen. Kein Grund zur Besorgnis.“

      Julie schüttelte skeptisch den Kopf.

      „Ich glaube Ihnen nicht“, sagte sie. „Irgend etwas macht Ihnen doch schwer zu schaffen. Aber es geht mich natürlich nichts an.“

      Deborah sah das andere Mädchen an und wollte der letzten Bemerkung schon zustimmen, aber Julies Gesicht war so offen und arglos, daß Deborah es nicht fertigbrachte, die andere zurechtzuweisen.

      „Es sind wohl viele Dinge zusammen“, seufzte Deborah schließlich. „Ich scheine mich einfach an gewisse Dinge hier nicht gewöhnen zu können. Alles ist so anders.“

      „Wie meinen Sie das?“

      Deborah rieb sich nachdenklich die Schläfen.

      „Nun … ich kann mich nicht so recht entspannen … kann mich dem Fluß der Dinge nicht anpassen …“

      „Sie brauchen einen Freund.“

      Deborah lächelte schwach.

      „Ich habe einen“, sagte sie.

      „Dann brauchen Sie vielleicht einen neuen.“

      Deborah schüttelte langsam den Kopf. Sie wollte schon sagen, daß sie Bill liebte. Aber davon war sie gar nicht mehr so sehr überzeugt. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie ihn überhaupt jemals geliebt hatte.

      Julie schien die Gedanken der anderen erraten zu haben.

      „Hören Sie“, sagte sie. „Nehmen Sie mir bitte nicht übel, was ich jetzt sagen werde. Ich habe einen Freund. Er ist ein wunderbarer Mann, ein schöner Mann. Er versteht mehr von Leuten als irgend jemand, den ich je gekannt habe. Ich möchte gern, daß Sie ihn einmal kennenlernen.“

      Deborah sah sie fragend an.

      „Er ist Psychiater“, sagte Julie leise.

      „Oh nein! Ich könnte wirklich nicht …“

      Julie hob eine Hand.

      „Warten Sie einen Moment“, sagte sie. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich halte Sie keineswegs für verrückt oder so. Außerdem ist er nicht dieser Typ von Psychiater. Er arbeitet nicht mit kranken Leuten, sondern nur mit ganz normalen Personen, die irgendwie ein bißchen durcheinandergeraten oder nervös sind. Verstehen Sie?“

      Deborah schüttelte energisch den Kopf.

      „Ich glaube nicht, daß ich …“

      „Hören Sie mir zu“, unterbrach Julie. „Er wird Sie nicht auf eine Couch legen. Er ist einfach da. Er glaubt nicht an all das andere.“

      Jetzt wurde Deborah doch ein bißchen neugierig.

      „Woran glaubt er dann?“ fragte sie. Deborah hatte noch nie von einem Psychiater gehört, der nicht ,an all das andere“ glaubte.

      „Er glaubt an die Menschen“, sagte Julie schlicht und einfach. „Er glaubt, daß die Menschen lernen sollten, organisch zu leben. Er glaubt, daß Angst die meisten Leute davon abhält, jemals wirklich zu leben. Aber Sie werden ihn schon selbst kennenlernen müssen. Ich kann Ihnen da keine richtige Vorstellung vermitteln.“

      „Ich danke Ihnen“, sagte Deborah. „Ich weiß, daß Sie es gut meinen. Aber ich glaube nicht, daß ich einen Psychiater brauche … nicht einmal einen so ungewöhnlichen, wie Sie ihn eben beschrieben haben. Ich mache eine schwierige Periode der Anpassung durch, und das erfordert wohl ein bißchen Zeit.“

      Julie starrte Deborah eine ganze Weile an und blickte dabei fast ein wenig traurig drein.

      „Ich gebe noch nicht auf“, sagte sie schließlich. „Lassen Sie mich doch heute abend mit ihm in Ihre Wohnung kommen. Vergessen Sie ganz einfach, daß er ein Gehirnklempner ist. Halten Sie ihn nur für einen guten Freund von mir. Okay?“

      Deborah zögerte. Sie wußte nicht, was sie jetzt sagen sollte; wie sie ablehnen könnte. Sie wollte keinen Psychiater kennenlernen, nicht einmal auf gesellschaftlicher Ebene.

      „Also gut“, gab sie aber schließlich doch nach. „Aber versprechen Sie sich davon bloß nichts!“

      „Nein, nein, nein! Sie sollen ihn ja nur mal kennenlernen, das ist alles“, strahlte Julie. „Ich bin ja so froh!“ Dann lehnte sie sich zu Deborah hinüber und drückte ihr rasch einen Kuß auf die Wange. Das kam so überraschend und unerwartet, daß Deborah unwillkürlich einen leise keuchenden Laut ausstieß und mit einer Hand die Stelle berührte, wo Julie sie eben geküßt hatte. Aber das andere Mädchen war bereits wieder an seinen eigenen Schreibtisch zurückgekehrt und pfiff vergnügt vor sich hin.

      Julie traf mit ihrem Freund pünktlich um halb acht Uhr ein.

      Einen Mann wie ihn hätte Deborah zuallerletzt erwartet.

      Er war groß, etwa einsneunzig, und sehr schlank und muskulös. Sein Alter schätzte sie auf etwa fünfunddreißig. Er trug das Haar ziemlich lang, aber sehr ordentlich. Seine Haut war tiefgebräunt, und Deborah hatte das Gefühl, daß diese Bräune nicht von einer Höhensonne stammte. Am meisten aber fesselten sie seine Augen. So tiefblaue, durchdringende Augen hatte Deborah noch nie gesehen.

      „Das ist mein Freund David Anders“, sagte Julie fröhlich. „David, das ist Deborah Adams.“

      Er streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. Seine Haut war kühl und trocken, und sein Händedruck verriet Kraft. Lächelnd betrat er das Appartement und sah sich um.

      Seine Bewegungen verrieten Anmut und Selbstsicherheit, wie es Deborah noch bei keinem anderen gesehen hatte. Aber von ihm ging auch eine Macht aus, die Deborah ängstigte. Er schien ein sanfter Mann zu sein, aber zugleich auch ein Mann, der erschreckend sein konnte, wenn das Tier in ihm erst einmal losgelassen werden sollte.

      „Julie hat mir erzählt, daß Sie aus Boston kommen“, sagte David und setzte sich auf die Couch.

      Deborah nahm ihm gegenüber in einem Sessel Platz. Einen Moment lang ärgerte sie sich beinahe über sein arrogantes Benehmen. Er war sich — so entschied sie — seiner Männlichkeit sehr bewußt. Und Deborah konnte gar nicht anders, als diese seine Männlichkeit ebenfalls sehr deutlich zu spüren.

      „Ja“, antwortete sie. „Und ich nehme an, daß Sie aus Kalifornien stammen.“

      „Ja“, sagte er. „Nun, und wie gefällt’s Ihnen hier bei uns?“

      „Es ist alles so ganz anders.“

      Er nickte und lächelte dabei immer noch.

      „Sehr


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