Ein Kuß als Belohnung. Bernt Danielsson

Ein Kuß als Belohnung - Bernt Danielsson


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so... daneben. Oder: er war natürlich voll daneben, aber irgendwie anders... Und er hatte was, das ich –

      Weiter kam ich nicht in meinen Gedanken.

      „Viel besser, als Ohren zu schicken!“ sagte er grinsend und schlug den Deckel des Verbandskastens zu.

      „Wie besser als Ohren?“ murmelte ich und zog vorsichtig die Jeans wieder hoch.

      „Hast du noch nie was von van Gogh gehört? Vincent?“

      Ich schüttelte den Kopf.

      „Dem Künstler? Dem mit den Sonnenblumen? Aber du mußt doch schon mal was von Vincent van Gogh gehört haben?“ Als ich wieder den Kopf schüttelte, zuckte er hilflos mit den Schultern. „Unglaublich. Aber wie auch immer, er hat sich mal das eine Ohr abgeschnitten, dann hat er es in ein Päckchen gepackt und an eine Braut geschickt, auf die er scharf war.“

      „Und warum?“ fragte ich und zog den Hosenladen zu.

      „Gute Frage. Er war vielleicht betrunken und wahnsinnig, ist doch klar.“ Er warf den Verbandskasten achtlos in den Lieferwagen, er polterte umher und stieß klirrend an leere Flaschen. „Verdammt, ich muß sie irgendwann mal abgeben... Wie alt bist du überhaupt?“

      „Üchzehn“, sagte ich undeutlich und hoffte, daß er nicht nachfragen, sondern glauben würde, siebzehn, mindestens aber sechzehn gehört zu haben. Ich hatte keinerlei Lust, darüber zu reden. „Und wie heißt du?“ fragte ich schnell und schaute ihn an. Mir wurde eiskalt vor Schreck, weil er wieder in der Manteltasche wühlte, mein Herz schlug die Voodootrommel. Stilett, Stilett!

      „Schröder“, sagte er ruhig und bekam mit einiger Mühe seine Hand wieder aus der Tasche. Er nahm eine Zigarette aus einem blauen Paket und steckte sie in den Mundwinkel.

      „Schröder?“

      „Ja, genau. Schröder“, nickte er und strich ein Streichholz an. Er hielt schützend die Hände um die Flamme und zündete die Zigarette an. Es fing fürchterlich zu stinken an. „Raymond Schröder“, sagte er, machte einen tiefen Zug und warf das Streichholz weg. „Aber du kannst zu mir sagen, was du willst.“

      Ich will am liebsten überhaupt nichts zu dir sagen, dachte ich. Ich will nur hier weg.

      „Das... das klingt auch nicht sonderlich schwedisch“, sagte ich und rutschte ein Stück von der stinkenden Zigarette weg.

      „Doch, sehr sogar“, sagte er mit einem halbunterdrückten Lachen. „Es ist ein richtig ehrbarer, uralter schwedischer Name. Was Schwedischeres als die Einwanderer Schröder aus Deutschland gibt es überhaupt nicht.“

      Es klang, als sei er selbst der Meinung, etwas unglaublich Witziges gesagt zu haben.

      Dieser Meinung war ich nicht.

      Er nahm noch einen tiefen Zug und stieß den Rauch mit einem lauten Geräusch durch Mund und Nase aus – genau mir ins Gesicht. Ich konnte mich gerade noch wegducken.

      „Ahh!“ stöhnte er gekünstelt. „There’s nothing like fresh air mixed with tobacco, sagte schon Humpy, bevor er Lungenkrebs bekam und vorzeitig starb.“ Er klappte den Trenchcoatkragen hoch und hob die Schultern, als würde er frieren. „Nein, wir können hier nicht die ganze Nacht rumlümmeln. Wir haben noch was zu tun. Du mußt mir helfen, den Weg zum Skiftesväg zu finden. Du kannst das bestimmt besser als ich. An und für sich wohne ich auch hier in der Gegend, aber ich kann nur den Weg nach Täby Zentrum und in die Stadt – ansonsten bin ich completely lost.“

      „Aber – ich muß doch heim“, protestierte ich.

      „Papperlapapp!“ schnaubte er. „Es dauert nicht lang, und ich bringe dich dann nach Hause. Los jetzt!“

      2

      Mit Bogart zum Skiftesväg

      Natürlich hätte ich klipp und klar nein sagen und nach Hause humpeln müssen. Ich meine, ich wußte ja überhaupt nicht, was dieser Raymond Schröder für ein Kerl war. Und die Welt ist ja voll von Verrückten, und man kann sich nicht einfach auf die Leute verlassen. Ich wäre auch irgendwie nach Hause gekommen – so hilflos war ich nun auch wieder nicht. Und doch habe ich es nicht gemacht. Das war sehr merkwürdig. Ich war total überzeugt davon, daß ich diesem Irren absolut nicht helfen wollte. Er hatte mich ja fast totgefahren und benahm sich wie der Knallkopp des Jahrhunderts. Und doch – tja...

      Was ist man doch komisch, dachte ich.

      (Und da hatte ich völlig recht.)

      Schröder drehte sich um und flatterte davon.

      Die Absätze klackerten auf dem Asphalt, und die Zigarette wippte, wenn er schnaubend daran zog.

      Ich kletterte von der Ladefläche und testete mein Knie. Es tat immer noch weh, aber ich mußte doch zugeben, daß es mit seiner Bandage besser war. Es war warm und angenehm. Ich ging um die offene Tür herum, um zu sehen, wo er hingegangen war. Er hatte mein Moped geholt... Mit beiden Armen hoch über dem Kopf trug er es und kam mit riesigen Schritten wieder auf mich zu. Er grinste mich irgendwie komisch an, und dann warf er das Moped einfach hinten in den Wagen. Es krachte, polterte und klirrte.

      „O je“, sagte er ruhig, „das war mein wundervoller Sonnenschirm.“

      „Was machst du denn!“ schrie ich. „Also jetzt reicht es wirklich!“

      „Kevin“, sagte er und seufzte. „Wir haben keine Zeit, hier rumzustehen und zu streiten. Du willst doch so schnell wie möglich nach Hause – und ich werde euch alle nach Hause fahren, dich, dein ramponiertes Knie und dein dahingeschiedenes Moped. Aber zuerst mußt du mir helfen, diesen gottverdammten Skiftesväg zu finden, wie gesagt. Ich bin ein bißchen unruhig, verstehst du, aber jetzt, wo ich dich getroffen habe, bin ich schon viel ruhiger.“

      „Ruhiger?!“

      „Ja, nicht mehr so einsam und verlassen unterm Sternenzelt. Und zwei sind ja immer besser als einer, nicht?“ Er schlug die hinteren Türen zu und schob mich zur Vordertür. „Ich versprech dir’s. Es dauert nicht lange. Paß auf deinen Hintern auf!“ rief er und schlug die Tür hinter mir zu, lief um die platte Schnauze des Autos herum und kletterte hinter das Steuer.

      Ich habe noch nie in meinem Leben in einem so unordentlichen, versifften und stinkenden Auto gesessen. Der Boden sah aus wie eine Zirkusmanege – er war fast völlig von zerkrümelten Kippen bedeckt. Auf der Ablage vorn lagen jede Menge zerknüllte Zigarettenpäckchen von der gleichen Sorte, wie er sie in der Manteltasche gehabt hatte, sie hießen Gitanes. Da lagen außerdem drei leere Coladosen und ein Telefonbuch (Gelbe Seiten, Teil 1). Hinter dem Steuer lag ein Berg mit Zeitungen, gegen das Fenster gestapelt und von einem großen, schwarzen Feldstecher gekrönt. Die Fahrerkabine war von der Ladefläche durch eine Wand abgetrennt, die wie eine grob zugehauene Spanplatte aussah. Was sie auch war...

      Schröder drehte den Zündschlüssel, und der Motor sprang mit einem ohrenbetäubenden knatternden Krach an. Ich verstand überhaupt nicht, wie der John-Vollem-Song das hatte übertönen können – es klang wie drei Bagger auf einmal.

      „Skiftesväg!“ schrie Schröder und schob die Zigarette zwischen den Zähnen von einem Mundwinkel in den anderen.

      „Das ist ein Stück von hier“, sagte ich.

      „Was hast du gesagt?!“

      „Das ist ein Stück von hier!“

      „Na so was aber auch“, sagte er erstaunt. „Ist die Straße denn nicht hier in Täby?“

      „Doch, aber am anderen Ende.“

      „Ich habe gedacht, das hier ist das andere Ende. Sehr merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, immer im Kreis gefahren zu sein und sehr weit.“

      „Wo wohnst du denn?“

      „Ähm... dort irgendwo“, murmelte er, nahm die Zigarette aus dem Mund und wedelte undeutlich in meine Richtung. Als er das machte, fiel Asche auf den Sitz zwischen uns, und er schaute überrascht die Zigarette an, als ob


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