Ein Kuß als Belohnung. Bernt Danielsson

Ein Kuß als Belohnung - Bernt Danielsson


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schob die Brille hoch, drehte sich um und schaute mich an.

      „Ja, das ist doch meine Rede: Was zum Teufel macht ihr heutzutage bloß den lieben langen Tag in der Schule?“

      Ich setzte mich achselzuckend aufs Sofa, um mein linkes Bein auszuruhen. Ich mied seinen Blick und massierte mein verletztes Knie.

      „Inferno habe ich gesagt“, sagte er. „Oder anders ausgedrückt: Es sah bei ihr zu Hause immer aus wie Sau. Verstehst du mich vielleicht dann?“ Er schüttelte den Kopf und ließ seinen Blick über das ordentliche Zimmer schweifen. „Verdammt noch mal, allmählich wird das ganze schwedische Volk ein einziger Haufen ungebildeter Dummköpfe“, brummte er leise und ließ die Schultern hängen. Dann las er weiter die Namen und Titel auf den Buchrücken.

      „Ich habe dich nur nicht richtig gehört“, sagte ich störrisch.

      „Schon gut“, sagte er und schwang seinen einen Arm. „Aber wie auch immer, das war ihr Stil, verstehst du? Unordnung und Chaos. Schiefe Bücherstapel, Zeitungsberge, überall Stoffballen, Mappen und –“

      „Stoffballen?“

      „Mhm, sie näht auch manchmal. Nähmaschine auf dem Boden, Schreibmaschine auf dem Fernseher, alte Weinkisten mit Manuskripten unter den Tischen und Kram kreuz und quer auf allen Stühlen und so.“

      Ich schaute mich vorsichtig um und mußte ihm zustimmen, daß es absolut nicht so aussah. Im Gegenteil. Dieses Zimmer sah eigentlich ganz normal aus – wie Wohnzimmer bei Leuten eben aussehen.

      „Sie ist vielleicht genau wie mein Vater“, schlug ich vor.

      „Und wie ist der?“

      „Also, sein Schreibtisch im Büro und auch zu Hause ist immer total unaufgeräumt, aber er legt größten Wert darauf, daß es sonst zu Hause ordentlich und sauber ist.“

      Schröder schüttelte langsam den Kopf, machte einen Schritt und las die Rücken der Videokassetten. „Nein, irgend etwas stimmt hier nicht“, murmelte er, seine Hand verschwand in der Manteltasche und tauchte mit dem Zigarettenpäckchen wieder auf.

      „Mußt du schon wieder rauchen?“ fragte ich ärgerlich. „Es stinkt so.“

      „Stinkt?!“ keuchte er und wollte offenbar seinen Ohren nicht trauen. Er drehte sich um, schaute erst mich und dann das Päckchen in seiner Hand an. Er steckte es wieder ein. „Nein, verstehst du“, sagte er dann nachdenklich und kratzte sich die Bartstoppeln, „jemand hat hier aufgeräumt, und ganz bestimmt nicht sie.“ Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

      „Ähm, vielleicht ihre Mutter?“ schlug ich vor.

      „Sie ist tot. Nein, ich bin ganz sicher, irgend etwas ist hier faul.“

      „Faul?“

      „Mhmm... Sie ist nämlich verschwunden. So ist es: Sie ist seit drei Wochen spurlos verschwunden.“

      „Sie ist vielleicht in Ferien gefahren.“

      Er schüttelte den Kopf. „Nein, dazu hat sie weder Zeit noch Geld. Und wir hatten ausgemacht, daß ich sie anrufe und wir dann hier zusammen essen. Und das war vor drei Wochen. Und obwohl sie ansonsten Chaos um sich verbreitet, was Termine betrifft, da ist sie sehr genau. Beinahe pedantisch. Wenn sie sich verspätet, ruft sie sofort an, auch wenn es nur eine Viertelstunde ist. Und... Tja.“ Er breitete die Arme aus.

      „Du?!“ sagte ich ernst. Ich spürte, daß mir das alles zuviel wurde.

      „Mhm?Was?“

      „Ich möchte jetzt wirklich nach Hause fahren. Mir gefällt das hier nicht.“

      „Mir auch nicht. Es sieht aus, als ob jemand das ganze Bücherregal durchforstet hätte, das ganze Zimmer.“

      „Wovon redest du eigentlich?“

      „Sie haben irgend etwas gesucht, ganz einfach.“

      Jetzt reicht es, dachte ich. „Sie ist vielleicht krank?“

      Er schüttelte den Kopf.

      „Nein. Ich habe es überprüft. Ich habe jedes Krankenhaus in der weiteren Umgebung angerufen und mit Unmengen von bescheuerten Krankenschwestern und Ärzten gequatscht. Also, werd bloß nicht krank, Junge, das rate ich dir wirklich – werd nicht krank. Die schwedische Ärzteschaft ist ein übles Pack, alles Stümper, die dich nur mit Chemie vollstopfen wollen und –“ Er unterbrach sich plötzlich und schaute mich mit einem erstaunten, fast blöden Gesichtsausdruck an, als ob er kaum noch wüßte, wer ich bin.

      „Und was ist mit ihren Freunden?“ fragte ich.

      „Ihren Freunden? Ach so, ihren Freunden. Mhm, sie hat keine.“

      „Sie hat keine Freunde?“

      „Nein, keinen einzigen.“

      „Wie schrecklich“, sagte ich mitleidig.

      „Nein, überhaupt nicht. Sie will es nicht anders. Und ich habe alle angerufen, die sie kennt, und die sagen genau das gleiche.“

      „Was?“

      „Daß das alles sehr merkwürdig ist. Und daß sie – verdammt!“ rief er, lief zum Bücherregal, legte den Kopf schräg und las den Text auf dem Rücken einer Videokassette mit Hilfe des Zeigefingers. „Sie hat ihn!“ murmelte er. „So was aber auch. Den muß ich mir ausleihen...“

      Da hörte ich deutlich, wie der Boden im ersten Stock knarrte.

      Schröder hörte nichts.

      „Du?“ flüsterte ich, meine Stimme zitterte.

      „Mhm, was ist?“

      „Hast du es nicht gehört?“

      „Was gehört?“

      „Da oben?“ Ich machte eine Geste zur Decke.

      „Was da oben?“

      „D-d-da hat hat der Boden geknarrt.“

      „Da oben?“

      Er zuckte zusammen und erschreckte mich zu Tode. Er drehte sich auf dem Absatz, sein Trenchcoat flatterte wie ein weiter Rock um ihn, als er aus dem Zimmer lief. Ich hörte, wie er mit polternden Schritten die Treppe hochspurtete.

      Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Mein Gehirn war ein einziges Knäuel von verwirrten Gedanken und Fragezeichen. Mein Herz schlug ein wahnsinniges Drum-Solo, und meine Handflächen wurden ganz feucht.

      Ich versuchte, mich zu beruhigen, und dachte mir, noch schlimmer kann man sich gar nicht erschrecken.

      Konnte man sehr wohl.

      In einem der Nachbarhäuser bellte ein Hund, und mein Herz machte noch einen Satz.

      Genau als das Hundegebell aufhörte und ich vor Erleichterung seufzte, hörte ich einen schweren, dumpfen Schlag vor der Terrassentür. Als ich hinschaute, sah ich eine schwarzgekleidete, große Person, die gerade aufstand – und offenbar aus einem Fenster im ersten Stock gesprungen war.

      Schröder?! dachte ich erschrocken, aber der Gedanke beruhigte mich auch. Aber wo war sein Mantel? dachte ich. Und warum hat er sich einen Schnurrbart angeklebt? dachte ich dann.

      Es war nicht Schröder. Ganz einfach, auch wenn mein Gehirn und mein armes Herz es gar nicht einfach fanden.

      Der Schnurrbart hatte sich umgedreht und starrte direkt ins Zimmer. Er stand einfach da und glotzte mich an. Er hatte wohl eine schwarze Strickmütze auf. Sein Gesicht war blaß, fast weiß, es leuchtete richtig scharf, ansonsten wurde er vom Dunkel verschluckt. Es war ein großer Schnurrbart. So ein riesengroßer, Modell Walroß.

      Ich war einer Ohnmacht nahe.

      Ich stand auf, um seinem starrenden Blick zu entgehen, aber ein Stich fuhr mir ins Knie, das Bein knickte ab, ich stürzte über den Tisch und riß die ganzen Zeitungen mit. Ich stand auf und schaute über


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