Franz Sternbalds Wanderungen. Ludwig Tieck
Leben, in dieses Joch eingespannt sind, aber darum müssen wir doch nie das Höhere aus den Augen verlieren. Sei redlich in deinem Gewerbe, damit es dich ernährt, aber laß nicht deine Nahrung, deine Bekleidung den letzten Gedanken deines Lebens sein; trachte auch nicht nach dem irdischen Ruhme, denn alles ist doch nur eitel, alles bleibt hinter uns, wenn der Tod uns fordert. Male, wenn es sein kann, die heiligen Geschichten recht oft, um auch in weltlichen Gemütern die Andacht zu erwecken.
Franz aß wenig zu Mittage, der Alte schien sich gegen Abend zu erholen. Die Mutter war nun schon daran gewöhnt, daß Franz wieder da sei; sie machte sich seinetwegen viel zu tun und vernachlässigte den Vater beinah. Franz war unzufrieden mit sich, er hätte dem Kranken gern alle glühende Liebe eines guten Sohnes gezeigt, auf seine letzten Stunden gern alles gehäuft, was ihn durch ein langes Leben hätte begleiten sollen, aber er fühlte sich so verworren und sein Herz so matt, daß er über sich selber erschrak. Er dachte an tausend Gegenstände, die ihn zerstreuten, vorzüglich an Gemälde von Kranken, von trauernden Söhnen und wehklagenden Müttern, und darüber machte er sich dann die bittersten Vorwürfe.
Als sich die Sonne zum Untergange neigte, ging die Mutter hinaus, einige Gemüse aus ihrem kleinen Garten, der in einiger Entfernung lag, zur Abendmahlzeit zu holen. Der Alte ließ sich im Sessel von seinem Sohne vor die Haustüre tragen, um sich von den roten Abendstrahlen bescheinen zu lassen.
Es stand ein Regenbogen am Himmel, und im Westen regnete der Abend in goldnen Strömen nieder. Schafe weideten gegenüber, und Birken säuselten, der Vater schien stärker zu sein. Nun sterb ich gerne, rief er aus, da ich dich noch vor meinem Tode gesehen habe.
Franz konnte nicht viel antworten, die Sonne sank tiefer und schien dem Alten feurig ins Gesicht, der sich wegwendete und seufzte: Wie Gottes Auge blickt es mich noch zu guter Letzt an und straft mich Lügen; ach! wenn doch erst alles vorüber wäre! Franz verstand diese Worte nicht, aber er glaubte zu bemerken, daß sein Vater von Gedanken beunruhigt würde. Ach wenn man so mit hinuntersinken könnte! rief der Alte aus, mit hinunter mit der lieben Gottessonne! O wie schön und herrlich ist die Erde, und jenseits muß es noch schöner sein; dafür ist uns Gottes Allmacht Bürge. Bleib immer fromm und gut, lieber Franz, und höre mir zu, was ich dir jetzt noch zu entdecken habe.
Franz trat ihm näher, und der Alte sagte: Du bist mein Sohn nicht, liebes Kind. – Indem kam die Mutter zurück; man konnte sie aus der Ferne hören, weil sie mit lauter Stimme ein geistliches Lied sang, der Alte brach sehr schnell ab und sprach von gleichgültigen Dingen. Morgen, sagte er heimlich zu Franz, morgen!
Die Herden kamen vom Felde mit den Schnittern, alles war fröhlich, aber Franz war sehr in Gedanken versunken, er betrachtete die beiden Alten in einem ganz neuen Verhältnisse zu sich selber, er konnte kein Gespräch anfangen, die letzten Worte seines vermeintlichen Vaters schallten ihm noch immer in den Ohren, und er erwartete mit Ungeduld den Morgen.
Es ward finster, der Alte ward hineingetragen und legte sich schlafen; Franz aß mit der Mutter. Plötzlich hörten sie nicht mehr den Atemzug des Vaters, sie eilten hinzu, und er war verschieden. Sie sahen sich stumm an, und nur Brigitte konnte weinen. Ach! so ist er denn gestorben, ohne von mir Abschied zu nehmen? sagte sie seufzend; ohne Priester und Einsegnung ist er entschlafen! – Ach, wer auf der weiten Erde wird nun noch mit mir sprechen, da sein Mund stumm geworden ist? Wem soll ich mein Leid klagen, wer wird mit mir davon reden, daß die Bäume blühen und ob wir die Früchte abnehmen sollen? – O! der gute alte Vater! Nun ist es also vorbei mit unserm Umgang, mit unsern Abendgesprächen, und ich kann gar nichts dazu tun, sondern ich muß mich nur so eben darin finden. Unser aller Ende sei ebenso sanft!
Die Tränen machten sie stumm, und Franz tröstete sie. Er sah in Gedanken betende Einsiedler, die verehrungswürdigen Märtyrer, und alle Leiden der armen Menschheit gingen in mannigfaltigen Bildern seinem Geiste vorüber.
Sechstes Kapitel
Die Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet, und Franz stand sinnend vor der Tür. Die Nachbarn traten herzu und trösteten ihn; Brigitte weinte von neuem, sooft darüber gesprochen wurde, sein Herz war zu, seine Augen waren wie vertrocknet, tausend neue Bilder zogen durch seine Sinne, er konnte sich selber nicht verstehn, er hätte gern mit jemand sprechen mögen, er wünschte Sebastian herbei, um ihm alles klagen zu können.
Am dritten Tage war das Begräbnis, und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe, als sie den nun mit Erde zudeckten, den sie seit zwanzig Jahren so genau gekannt hatte, den sie fast einzig liebte. Sie wünschte auch bald zu sterben, um wieder in seiner Gesellschaft zu sein, um mit ihm die Gespräche fortzusetzen, die sie hier hatte abbrechen müssen. Franz schweifte im Felde umher und betrachtete die Bäume, die sich in einem benachbarten Teiche spiegelten. Er hatte noch nie eine Landschaft mit diesem Vergnügen beschaut, es war ihm noch nie vergönnt gewesen, die mannigfaltigen Farben mit ihren Schattierungen, das Süße der Ruhe, die Wirkung des Baumschlages in der Natur zu entdecken, wie er es jetzt im klaren Wasser gewahr ward. Über alles ergötzte ihn aber die wunderbare Perspektive, die sich bildete, und der Himmel dazwischen mit seinen Wolkenbildern, das zarte Blau, das zwischen den krausen Figuren und dem zitternden Laube schwamm. Franz zog seine Schreibtafel hervor und wollte anfangen, die Landschaft zu zeichnen; aber schon die wirkliche Natur erschien ihm trocken gegen die Abbildung im Wasser, noch weniger aber wollten ihm die Striche auf dem Papiere genügen, die durchaus nicht das nachbildeten, was er vor sich sah. Er war bisher noch nie darauf gekommen, eine Landschaft zu zeichnen, er hatte sie immer nur als eine notwendige Zugabe zu manchen historischen Bildern angesehn, aber noch nie empfunden, daß die leblose Natur etwas für sich Ganzes und Vollendetes ausmachen könne und so der Darstellung würdig sei. Unbefriedigt ging er nach der Hütte seines Pflegevaters zurück.
Seine Mutter kam ihm entgegen, die sich in der ungewohnten Einsamkeit nicht zu lassen wußte. Sie setzten sich beide auf eine Bank, die vor dem Hause stand, und unterredeten sich von mancherlei Dingen. Franz ward durch jeden Gegenstand, den er sah, durch jedes Wort, das er hörte, niedergeschlagen, die weidenden Herden, die ziehenden Töne des Windes durch die Bäume, das frische Gras und die sanften Hügel weckten keine Poesie in seiner Seele auf. Er hatte Vater und Mutter verloren, seine Freunde verlassen, er kam sich so verwaist und verachtet vor, besonders hier auf dem Lande, wo er mit niemand über die Kunst sprechen konnte, daß ihn fast aller Mut zum Leben verließ. Seine Mutter nahm seine Hand und sagte: Lieber Sohn, du willst jetzt in die weite Welt hineingehn, wenn ich dir raten soll, tu es nicht, denn es bringt dir doch keinen Gewinn. Die Fremde tut keinem Menschen gut; wo er zu Hause gehört, da blüht auch seine Wohlfahrt; fremde Menschen werden es nie ehrlich mit dir meinen, das Vaterland ist gut, und warum willst du so weit weg und Deutschland verlassen, und was soll ich indessen anfangen? Dein Malen ist auch ein unsicheres Brot, wie du mir schon selber gesagt hast, du wirst darüber alt und grau; deine Jugend vergeht, und mußt noch obenein wie ein Flüchtling aus deinem Lande wandern. Bleib hier bei mir, mein Sohn, sieh, die Felder sind alle im besten Zustande, die Gärten sind gut eingerichtet, wenn du dich des Hauswesens und des Ackerbaues annehmen willst, so ist uns beiden geholfen, und du führst doch ein sichres und ruhiges Leben, du weißt doch dann, wo du deinen Unterhalt hernimmst. Du kannst hier heiraten, es findet sich wohl eine Gelegenheit; du lernst dich bald ein, und die Arbeit des Vaters wird dann von dir fortgesetzt. Was sagst du zu dem allen, mein Sohn?
Fanz schwieg eine Weile still, nicht weil er den Vorschlag bei sich überlegte, sondern weil an diesem Tage alle Vorstellungen so schwer in seine Seele fielen, daß sie lange hafteten . . .
Es kann nicht sein, liebe Mutter, sagte er endlich, ich habe so lange auf die Gelegenheit zum Reisen gewartet, jetzt ist sie gekommen, und ich kann sie nicht wieder aus den Händen gehen lassen. Ich habe mir ängstlich und sorgsam all mein Geld, dessen ich habhaft werden konnte, dazu gesammelt; was würde Dürer sagen, wenn ich jetzt alles aufgäbe?
Die Mutter wurde über diese Antwort sehr betrübt, sie sagte sehr weichherzig: Was aber suchst du in der Welt, lieber Sohn? Was kann dich so heftig antreiben, ein ungewisses Glück zu erproben? Ist denn der Feldbau nicht auch etwas Schönes, und immer in Gottes freier Welt zu hantieren und stark und gesund zu sein? Mir zuliebe könntest du auch etwas tun, und wenn du noch so glücklich bist, kömmst du doch nicht weiter, als daß du dich sattessen