Fremder Mann an der richtigen Tür. Arno Alexander

Fremder Mann an der richtigen Tür - Arno Alexander


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genannt hatte.

      „Er ist der treueste Freund, den wir haben“, erzählte der Alte weiter. „Er hat sich bewährt — im Unglück. Alle sind auseinandergelaufen, als es damals — hm ja — so kam. Aber Liegnitz nicht. Eine Seele von einem Menschen!“

      „Und Großfeld?“ fragte Werner. Er hatte sich den Namen gut gemerkt, obwohl er ihn von Leiner bestimmt nicht gehört hatte.

      „Großfeld? Richtig, den kennst du ja auch! Nun, Großfeld hat sich auch anständig benommen. Weißt du: Er verehrt Änne ein bißchen. Aber sie macht sich nicht viel aus ihm. Nein, wirklich, du brauchst dich nicht gleich aufzuregen! Es ist gar nichts dabei, Gerd — wirklich…!“

      Höchstwahrscheinlich ist etwas dabei, dachte Werner. Und Leiner pflegte sich über derartige Dinge aufzuregen! Das mußte man sich merken… „Hör mal, mein lieber —“ Werner stockte. „Mein Gott: Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie ich dich immer genannt habe!“ rief er und faßte sich an den Köpf.

      „Onkel Gotthelf natürlich — wie alle zu mir sagen!“

      „Richtig — ja… Entschuldige! Ich bin noch nicht ganz — — Verstehst du?“

      „Ja, ich weiß! Es war gewiß eine schwere Zeit!“ flüsterte der Alte. „Aber weil wir gerade von Änne sprechen, Gerd —: Sie hat doch viel gelitten, weil du — hm — so zu ihr warst. Ich mache dir ja keine Vorwürfe; man kann nicht immer freundlich zu allen Menschen sein. Aber Änne hat mir oft leid getan… Bitte, reg dich nicht auf! Ich weiß, du hast über deine Ehe viel nachgedacht — und du läßt dir von keinem Menschen dreinreden. Aber wenn du mich auch totschlägst — ich kann dir nur sagen, daß Änne um dich viel geitten hat…“

      Ein Gedanke schoß Werner durch den Kopf: Aufstehen, unter irgendeinem Vorwand hinausgehen und verschwinden, für immer aus diesem Leben verschwinden, in dem der wahre Leiner so überverschuldet war! Aber jene sonderbare Neugier, die ihm nun fast verbrecherisch vorkam, hinderte ihn daran, seinen Vorsatz auszuführen. Wie würde es sein, wenn er diese Frau vor sich sah? Wenn sie ihre Arme um seinen Nacken legte? Wenn sie merkte, daß er sich zu ihr anders verhielt als früher — der andere? Mein Gott: Es durfte ja nicht sein! Er durfte es nicht so weit kommen lassen! Es war die Frau des anderen, dieses bücherfälschenden Fabrikanten, und er trieb mit ihr ein leichtfertiges Spiel, wenn er ihr vorlog, er sei Leiner und habe sich in den letzten Jahren verändert, gebessert… „Wie hat sie es aufgenommen, als sie das — hm — erfuhr?“ fragte er plötzlicch.

      „Ach, sie war verzweifelt, Gerd, ganz verzweifelt! Besonders, weil du ihr so streng untersagt hattest, dich zu besuchen oder dir zu schreiben… Alles andere hat sie tapfer ertragen. Ich ahnte gar nicht, was für eine mutige kleine Nichte ich da hatte. Nur in der ersten Zeit merkte man es ihr an; dann hat sie sich zusammengerissen. Und als sie arbeiten mußte… Weißt du: Anfangs fiel es ihr schwer— ich merkte es. Aber sie sagte nichts. Sie war es doch nicht gewöhnt, so von oben herab behandelt und wohl auch mal von fremden Menschen gescholten zu werden. Ihr Erbteil hatte sie ja vor allem Ungemach gesichert… Ach, reg dich doch nur nicht auf, Gerd! ich will auch kein Wort mehr darüber sagen…“

      „Nein, sag es!“ rief Werner rauh. „Was geschah mit dem Erbteil?“

      „Aber, Gerd, du weißt doch! Die Unterschrift auf der Vollmacht…“ Der Alte zögerte.

      „Was war mit dieser Unterschrift?“

      „Du hattest sie doch — gefälscht!“

      Werner dachte nach. Sehr gut erinnerte er sich noch seines Prozesses und all der Straftaten, die man ihm zur Last gelegt hatte. Eine gefälschte Unterschrift auf einer Vollmacht war nicht dabeigewesen. „Und warum wurde mir das nicht nachgewiesen?“ fragte er böse. Er ahnte bereits die Antwort.

      „Weil Änne, um dich zu schützen, doch die Unterschrift als echt anerkannte!“ sagte der Alte leise.

      „Dieser Lump!“ entfuhr es Werner.

      „Wer? Wen meinst du?“

      „Mich!“ rief Werner. „Wen sonst?“ Er war aufgestanden und begann unruhig hin und her zu rennen. Das also hatte dieser Leiner auch noch fertiggebracht? Und mit einer solchen Schuldenlast beladen, sollte jetzt er, Werner, vor die tapfere kleine Frau treten und ihr in die vorwurfsvollen Augen blicken? Nein, nein! Nie! „Hör, ich muß noch mal zu einem Freund!“ sagte er hastig. „Ich komme gleich wieder!“

      „Aber Änne —“, stammelte der Alte verwundert, „Änne muß doch jeden Augenblick kommen!“

      „Ich bin ja auch gleich wieder zurück. Gleich, gleich!“ Weg, nur weg von hier!

      „Bleib!“ Der Alte klammerte sich an Werners Arm fest. „Bleib, Gerd! Wenn du wüßtest, wie sie dich erwartet! Jeden Tag hat sie von dir gesprochen. Jeden Tag mußte ich zuhören. Und sie ist dir nicht böse. Du darfst jetzt nicht gehen, Gerd! Du darfst nicht!“

      Doch Werner riß sich loß und schlug die Zimmertür hinter sich zu. Er konnte das nicht länger mit anhören! Er lief durch das kleine Vorzimmer, zerrte seinen Pelz vom Haken, riß die Wohnungstür auf und — prallte gegen die Frau, vor der er fliehen wollte…

      „Gerd — du?!“ sagte sie leise, mit halb erstickter Stimme.

      Und dann geschah das, was Werner befürchtet, was er vorausgeahnt hatte: Zwei Arme umschlangen seinen Nacken, ein zitternder Frauenkörper preßte sich an ihn, und auf die Hand, die er abwehrend zwischen sie und sich geschoben hatte, tropften heiße Tränen…

      II

      Werner hätte später nicht zu sagen vermocht, wie er wieder ins Speisezimmer gekommen war. Er tat etwas, er sagte etwas; aber was er tat, was er sagte, das wußte er nicht. Alles vollzog sich wie unter Zwang. Es gab kein Zurück, es gab kein Ausweichen mehr… Er kam erst wieder etwas zur Besinnung, als er am Tisch saß — rechts neben sich die Frau, links den Onkel Gotthelf — und rechts und links, wo er auch hinblicken mochte, in ein glückliches Augenpaar sah.

      „Gerd! Wie ist das möglich? Wie ist das nur möglich?“ fragte die Frau.

      Man muß antworten! dachte Werner und versuchte die nötigen Worte zu dieser einfachen Antwort zu finden. Es war aber viel schwerer, als er geglaubt hatte. „Ja —“, sagte er endlich nach einer langen Weile, „gute Führung, siehst du… Eineinviertel Jahr wurden mir geschenkt…“

      „Wie wunderbar!“ rief sie, und ihre schmale Hand berührte gleichsam ängstlich seine Rechte.

      Er hielt den Blick gesenkt und wagte nicht, aufzusehen. Der alte Gotthelf hatte ihn nicht erkannt, hatte den Betrug nicht durchschaut, doch konnte er ja auch den wahren Leiner nicht so gut kennen, wie die Frau ihn kannte. Werner hatte das schreckliche Gefühl, als müsse er schon beim ersten Blick geheimen Einverständnisses versagen.. Ich muß weg von hier! grübelte er und starrte das Muster des Tischtuches an. Ein Kreis, ein Rechteck, noch ein Rechteck… Weg von hier, so schnell wie möglich! Dreidreiviertel Jahr wogen leicht gegen die Qual dieser Minuten… Aber wie kam man von hier weg? Warum war er nicht fähig, aufzuspringen und davonzurennen? Übrigens war das gar nicht nötig. Er konnte einfach aufstehen und sagen: „Sie irren sich, gnädige Frau! Ich habe wohl für ihren Mann fast vier Jahre abgesessen, aber ich bin nicht der — nein, nein…“

      Die drückende Stille wurde durch den alten Onkel Gotthelf unterbrochen.

      „Jetzt mache ich Tee!“ rief er und erhob sich.

      „Nein, nein — ich will nichts trinken!“ widersprach Werner schnell. Jetzt mit dieser Frau allein bleiben —?

      Gotthelf aber ließ sich nicht beirren. Er wußte, daß man ein Ehepaar in solchen Fällen allein zu lassen habe. Und mit einem verschmitzten Lächeln drückte er sich zur Tür hinaus.

      „Gerd!“ flüsterte sie. „Wie hab’ ich diesen Augenblick herbeigesehnt —! Wie hab’ ich mich darauf gefreut —! Gerd!“

      Er faßte nach ihren Händen, um sie von seinen Schultern


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